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Der Angeklagte zerrte das Opfer in sein Auto und raste von der Waid nach Altstetten. (Symbolbild)

«Amour fou» mit Folgen

Von: Isabella Seemann

09. Juli 2019

Als seine Freundin Schluss machte, sah der junge Albaner rot: Er zerrte sie gegen ihren Willen ins Auto, verpasste ihr Ohrfeigen, raste mit ihr durch die Stadt – und überfuhr dabei fast Passanten. Vor Gericht bricht der Balkan-Macho in Tränen aus.

Die Sonne brennt vom Himmel, das Thermometer zeigt 35 Grad. Sämtliche Fenster im Gerichtssaal sind sperrangelweit geöffnet. Nach Erlaubnis des vorsitzenden Richters machen es ihm die Herren gleich und entledigen sich ihrer Anzugjacken, die Staatsanwältin hält am korrekten Auftritt im Deuxpièces fest. Der Angeklagte zupft am T- Shirt, das an seinem trainierten Körper klebt, und wischt sich die schweissnassen Hände an den schwarzen Jeans ab. Er sei jetzt wieder mit Nesrin* zusammen, sagt Murat bei der Befragung zu seiner Person. Nesrin ist eine der Geschädigten in diesem Verfahren. Allerdings hat sie am Morgen des Verhandlungstags eine Desinteresse-Erklärung eingereicht.

Freiheitsberaubung ist aber ein Offizialdelikt, weshalb Murat gleichwohl vor der Anklagebank steht. Nun erzählt er dem Richter, dass er nicht mehr mit Nesrin zusammen sein wolle und nach der Verhandlung mit ihr Schluss machen werde. «Ich verstehe nicht», sagt der Richter trocken. «Ich verstehe es auch nicht», antwortet der 21-jährige Albaner in breitem «Balkan-Deutsch». «Ich liebe sie, aber sie ist die falsche Frau für mich, sie tut mir nicht gut.»

Angeklagter sah rot

An einem kalten Montagabend im Februar traf sich Nesrin mit einem befreundeten Paar beim Restaurant Die Waid. Murat stellte ihr nach, er glaubte, der Kollege sei ihr Neuer, und sah rot. Es kam zum Streit. Murat packte Nesrin, warf sie ins Auto, prügelte sie, beschleunigte von null auf 75, überfuhr dabei fast die Bekannten – und raste mit ihr durch die Stadt bis zur Tankstelle in Altstetten. So schildert es die Staatsanwaltschaft und fordert wegen mehrfacher Freiheitsberaubung – ein ähnlicher Vorfall fand bereits wenige Tage zuvor statt –, Gefährdung des Lebens und grober Verkehrsverletzung eine bedingte Freiheitsstrafe von 24 Monaten und einen Landesverweis von 5 Jahren. «Herrn Murat fällt es schwer, sozial verträglich zu handeln und seine Emotionen zu zügeln», führt die Staatsanwältin aus. In den zehn Jahren, in denen er in der Schweiz lebt, sei es ihm nicht gelungen, den Respekt und den Umgang mit Frauen den hier üblichen Gepflogenheiten anzupassen. 

 Der Balkan-Macho bricht in Tränen aus. «Hat jemand ein Nastuch?», fragt der Richter in die Runde. Die Gerichtsreporterin wühlt in ihrer Handtasche und reicht dem Angeklagten über die Schranken hinweg eine Packung Tempo-Taschentücher. «Ich bin nicht das Monster, das hier beschrieben wird», schluchzt er unter dem Ansturm von Gefühlen. «Ich wollte nur mit Nesrin reden.»

Sein Verteidiger zeichnet das Bild einer leidenschaftlichen Beziehung, einer Amour fou. An jenem Abend seien seinem Mandanten die Pferde durchgegangen. «Aber sein Macho-Gehabe wird sich sicher auswachsen.» Von einem Landesverweis sei abzusehen, weil ein Härtefall vorliege. Nachdem Murats Tränen während den Plädoyers leise weiterflossen, erteilt ihm der Richter das letzte Wort. «Ich will mich entschuldigen, weil ich falsch reagiert habe. Es wird nie mehr vorkommen. Ich mache einen Fehler nur einmal.»

Kein Landesverweis

Nach einer mehrstündigen Beratung spricht der Richter Murat der mehrfachen Nötigung und der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und bestraft ihn mit einer 17-monatigen bedingten Freiheitsstrafe. Der Landesverweis fällt dadurch weg. Das milde Urteil kompensiert er mit einer gehörigen Standpauke. «Sie müssen an sich schaffen, Kamerad!», sagt er und empfiehlt Murat ein Anti-Aggressionstraining. «Sie müssen lernen, wie man eine Beziehung führt.» Und führt als positives Beispiel seine eigene 30-jährige Ehe an. «Freiheit kann nur in Freiheit Freiheit sein. Merken Sie sich das!» Eine Frau habe das gleiche Recht auszugehen, wann und mit wem sie wolle, wie er. «Schreiben Sie sich das hinter die Ohren!»

* persönliche Angaben geändert

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