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Auf der Wartebank
Von: Jan Strobel
Im Juli kam es im Niederdorf erneut zu einem brutalen Hassverbrechen gegen einen homosexuellen Mann. SVP-Gemeinderat Samuel Balsiger wollte das Gewaltproblem für dringlich erklären. Das Stadtparlament lehnte ab.
Der Patient, der in der Nacht des 4. Juli in der ambulanten Notfallstation des Stadtspitals Triemli behandelt wurde, klagte über Schmerzen am linken Kiefer und wies eine Riss-Quetsch-Wunde an der linken Augenbraue auf. Später wurde gemäss Arztbericht, der dem «Tagblatt» vorliegt, eine leichte Fraktur des Unterkieferknochens diagnostiziert.
Der 27-Jährige war in dieser Nacht im Niederdorf unterwegs gewesen. An einem Geldautomaten wurde er von einer Gruppe angepöbelt, worauf einer aus dieser Gruppe den jungen Mann mit einem Faustschlag zu Boden warf. Dem Gewalttäter war der Betroffene «zu schwul» gewesen. Als das Opfer in der Bellevue-Apotheke Verbandsmaterial besorgen wollte, sei er erneut angegangen worden. Der Vorfall wurde polizeilich nicht gemeldet.
In jener Nacht begleitete SVP-Gemeinderat Samuel Balsiger das blutverschmierte Opfer in den Notfall. Die Gewalttat nahm er zum Anlass, am 8. Juli mit seinem Fraktionskollegen Stephan Iten im Stadtparlament ein Postulat einzureichen. Darin wird der Stadtrat gebeten zu prüfen, wie nachts, besonders an den Wochenenden, «die Polizeipräsenz und somit die Sicherheit im Niederdorf und am Bellevue massiv erhöht werden kann».
In einer emotionsgeladenen persönlichen Erklärung während der Gemeinderatssitzung machte Balsiger seinem Standpunkt zu den Tätern Luft: Solche Leute, die «oft aus dem arabischen Raum oder aus dem Balkan» stammen würden, hätten hier «nichts zu suchen, wenn sie unsere liberale westliche Kultur ablehnen». Um seinem Anliegen einer noch massiveren Polizeipräsenz Nachdruck zu verschaffen, beantragte Balsiger Mitte August, das Postulat für dringlich zu erklären. Letzte Woche allerdings lehnte die Mehrheit des Gemeinderats den Dringlichkeitsantrag der SVP knapp ab. Somit landete das Geschäft unbearbeitet wieder auf der Traktandenliste. Wäre dem Dringlichkeitsantrag stattgegeben worden, hätte das Parlament heute Mittwoch über das Postulat abgestimmt.
Enttäuschende Ablehnung
Für Samuel Balsiger ist die Ablehnung seines Antrags eine Enttäuschung. «Das bedeutet, dass der rot-grüne Gemeinderat Gewalt gegen Schwule und andere friedliche Menschen im Ausgang vorläufig nicht unterbinden will. Es kann nicht sein, dass unschuldige Menschen von betrunkenen Pöblern zusammengeschlagen werden», sagt er. Und: Es sei traurig, «dass es offenbar eine ausschlaggebende Rolle spielt, von wem ein politischer Vorstoss kommt».
Der Vorfall vom Juli im Niederdorf reiht sich ein in ähnliche Gewalttaten, welche in der jüngsten Vergangenheit für Schlagzeilen sorgten. Häufig waren dabei Homosexuelle das Ziel der Angriffe. Nach einem Übergriff in der letzten Silvesternacht reagierte die Stadtpolizei bereits mit zusätzlichen Patrouillen und auch mit dem Einsatz von Zivilpolizisten im Quartier.
Die Zürcher Gruppe «Pink Cop», der Verein homosexueller Polizistinnen und Polizisten, fordert unter anderem mit einem Flyerprojekt Opfer auf, bei Straftaten keine Scheu zu zeigen und bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Überdies soll gemäss Gemeinderatsbeschluss vom letzten November künftig eine Statistik für Hassverbrechen gegen Homosexuelle geführt werden. Damals lehnte einzig die SVP diesen Vorstoss ab.
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