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Mit den Abschlussarbeiten am Comic beschäftigt: Marc Locatelli in seinem Atelier in Affoltern. (Bild: W. Schüepp)

Comic lässt Radrennen aufleben

Von: Werner Schüepp

30. Juli 2019

Marc Locatelli war sich unsicher, ob er seine Lebensgeschichte erzählen soll. Nun hat sie der ehemalige Radrennfahrer in einem Comic gezeichnet und lässt so die grossen Radrennen der Siebziger auferstehen.

Am 10. Februar 1978 fand im Zürcher Hallenstadion im Rahmen der «Nacht der Superstars» das «Blaue Band von Zürich» statt. Zu diesem Velorennen kam alles, was damals Rang und Namen hatte: Gimondi, Sercu, Thurau und Eddy Merckx, der heute von Experten als der grösste Rennfahrer der Radsportgeschichte eingestuft wird. In dieser legendären Nacht dabei war auch der Zürcher Elite-Amateur Marc Locatelli, der damals nicht sicher war, ob er im Rennen auf der Bahn mit den berühmten Namen mithalten könnte. «Ich hatte schon ein bisschen Schiss, aber auch Respekt», sagt er rückblickend. Er hielt mit und übersprintete am Ende sogar Merckx. Wirklich? In der Schlussrangliste der Zeitung «Sport» war Merckx auf alle Fälle vor Locatelli platziert. Was ist nun wahr?

Auflösung am 1. September

Locatelli sitzt am Zeichnungspult in seinem Atelier in Oerlikon und lacht: «Die Auflösung liefert mein Comic, genauso wie die ­Story von der hübschen Sylvie, die ich damals anhimmelte.» Am 1. September erscheint Locatellis erster Comic in Buchform mit dem Titel «Die Nacht, in der ich Eddy Merckx bezwang». Der Comiczeichner nimmt seine Leserschaft mit ins Hallenstadion und lässt die längst vergangene Welt der grossen Radrennen der Siebzigerjahre auferstehen. Mit allem Drum und Dran wie verrauchter Atmosphäre, Bierseligkeit und Emotionen des Publikums, aber auch die Anspannung und Konzentration der Radrennfahrer, Nostalgie pur. «Es hat alles so stattgefunden wie im Comic. Ich habe nichts erfunden», sagt der Zeichner, der 1978 wegen eines Ausfalls einen Startplatz beim Rennen um «Das blaue Band von Zürich» ergatterte und gegen sein Idol Merckx antreten durfte.


Derzeit befindet sich Marc ­Locatelli im Schlussspurt. In den vergangenen Tagen war er vor allem mit den letzten digitalen Korrekturen beschäftigt, diese Woche muss er sein fertig gezeichnetes Werk dem Verlag abliefern. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat er den Zeichnungsstift kaum aus der Hand gelegt, seine Frau musste ihm gar verbieten, am Sonntag auch noch zu zeichnen. «Es war ein Knochenjob, aber ich bin glücklich, dass ich mich 18 Monate lang ausschliesslich meiner eigenen Velogeschichte widmen konnte.» Seinen Lebensunterhalt bestritt er in dieser Zeit mit dem geerbten Geld seines Vaters. Zudem lancierte er im Internet für seinen Comicband ein Crowdfunding, welches gut gelaufen ist und zusätzliche Franken in die Kasse spülte.

Ein Traum geblieben

Marc Locatellis grosse Leidenschaft ist das Zweirad. Diese Liebe entdeckt er, als er als Dreikäsehoch zum ersten Mal auf ein Dreirad steigen durfte, und sie hat ihn bis heute nicht mehr losgelassen. Kein Wunder, wird er zum begeisterten Radsportler. Der gelernte Grafiker setzte voll auf den Radrennsport und fuhr in seinen Zwanzigern fünf Jahre lang als Elite-Amateur Velorennen in Europa und Amerika. Der grosse Durchbruch gelingt ihm allerdings nicht, der Berufswunsch Professional bleibt ein Traum, Locatelli spricht heute von «begrenztem Leistungsvermögen». Neben dem Sportler meldete sich auch der Künstler in ihm. «Das Fahrerfeld, die Trikots, die aufgeheizte Stimmung, diese Ästhetik sprach mich schon immer an», sagt er. Nach zehn Jahren als aktiver Radrennfahrer und Trainer des RV Hönggs, absolviert er eine Weiterbildung zum Designer. Nach dem Ende seiner aktiven Sportkarriere entschied er sich für die die Selbstständigkeit. Er machte eine Weiterbildung zum Designer und war damit beschäftigt, Schulbücher zu illustrieren und zeichnerische Aufträge von Zeitschriften auszuführen. Daneben widmet er sich, nach Sport und Illustration sein drittes Standbein, der Schauspielerei. ­Locatelli steht seit über fünfzehn Jahren als Mitglied des Kindertheaters Dampf auf der Bühne.

In Zürich machte Locatelli auf sich aufmerksam, als er 2004 auf der offenen Rennbahn Oerlikon in einer ausrangierten Telefonzelle aus den 1960er-Jahren die kleinste Galerie der Stadt eröffnete und bis heute als Kurator ­betreibt. Zuerst stellte er seine eigenen Werke aus, es folgten ­abwechslungsweise Fotografien, Cartoons, Comics und Kunst (zum Beispiel Sempé, Karl Geiser, Felix Schaad). Es versteht sich von selbst, dass die ausgestellten Bilder den Radrennsport zum Thema haben müssen. Jeden Dienstagabend ist die Kunstkabine geöffnet. Vor zwei Jahren schlüpfte er in die Rolle des Herausgebers, als er die Anthologie «Tour de Suisse» herausgab, in der sich Schweizer Comiczeichner mit weltbekannten Radrennen auseinandersetzen.

Unterstützung durch «Tagi»-Karikaturist

Bis zur Realisierung hat Marc Locatelli jahrelang an seinem Comic herumstudiert, verschiedene Abläufe skizziert, erwogen, wieder verworfen, aber immer vor der endgültigen zeichnerischen Umsetzung gezögert. «Letztlich kam immer etwas dazwischen. Eine Zeit lang war ich auch unsicher, wie ich die Leserschaft mit meiner Story überhaupt packen kann.» Locatelli, der sich mehr als Handwerker denn als Künstler sieht, ­bekam Unterstützung von «Ta­ges‑Anzeiger»-Karikaturist Felix Schaad. «Er hat mir gezeigt, wie man Figuren schärft und Dialoge zuspitzt und die Geschichte zum Laufen bringt.»
Nun ist der 65-Jährige froh, dass sein Werk vollendet ist. Sein Blick fällt auf das hellblaue Bahnvelo, welches mitten im Atelier steht und oft als Anschauungsmaterial für den Comic herhalten musste. «Das Velofahren hat in letzter Zeit gelitten, aber das wird sich in den kommenden Wochen ändern.» Dann wird er wieder wie gewohnt, einmal pro Woche, im Betonoval der offenen Rennbahn Oerlikon seine Runden drehen.

«Die Nacht, in der ich Eddy Merckz bezwang». 40 Seiten. Edition Moderne. Ab 1. September erhältlich.
www.editionmoderne.ch

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