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Versuchsweise sollen auf der Bellerivestrasse die vier Fahrspuren auf zwei reduziert werden. (Bild: Stadt Zürich)

Das Vertrauen steckt im Stau

Von: Christian Saggese

22. September 2020

Die vier Fahrspuren auf der Bellerivestrasse sollen vorübergehend auf zwei reduziert werden, die freien Spuren könnten dann von Velofahrern genutzt werden. Dies verkündete kürzlich Stadtrat Richard Wolff vor dem Gemeinderat. Was folgte, ist Kritik, insbesondere die Kommunikation wird bemängelt. 

Stadtrat Richard Wolff weht derzeit ein eisiger Wind entgegen. Grund ist ein Verkehrsversuch, welchen die Stadt ab Frühjahr 2021 auf der Bellerivestrasse durchführen will. Konkret sollen während eines halben Jahres die vier Fahrspuren auf zwei reduziert werden, und zwar im Abschnitt Bahnhof Tiefenbrunnen bis Kreuzstrasse. Dadurch entsteht auf dieser kantonalen Hauptverkehrsstrasse beidseitig Platz für eine Veloinfrastruktur. Verkehrsstudien hätten ergeben, dass mit dieser Lösung das heutige Verkehrsaufkommen weiterhin bewältigt werden könne, da das maximale Verkehrsaufkommen durch den Flaschenhals beim Bellevue bestimmt werde, teilt die Stadt in einer Medienmitteilung mit.

Hintergrund für dieses Pilotprojekt ist die geplante Sanierung der Bellerivestrasse ab 2025. Die Strasse befindet sich in einem schlechten Zustand. Die Ergebnisse dieses Versuchs sollen dann in die weiteren Planungen einfliessen.

Während Richard Wolff derzeit zu diesem Thema schweigt (siehe Box), sind die Gegner gar nicht still. Sie kritisieren insbesondere zwei Punkte: das Projekt an sich, wie auch die Kommunikation seitens des Stadtrats.

«Ein Vertrauensbruch»

Rund um die Sanierung Bellerivestrasse gibt es ein Beteiligungsverfahren mit Interessengruppen aller Verkehrsteilnehmenden, dem örtlichen Quartier- und Gewerbeverein sowie Anwohnenden. Ziel: ein realisierbares und konsensfähiges Projekt zu erarbeiten. Davon scheinen die Teilnehmenden momentan aber weit entfernt zu sein. Der TCS, der ACS, der Gewerbeverein Seefeld, der Gewerbeverband der Stadt Zürich sowie der kantonale KMU- und Gewerbeverband haben sich kürzlich aus dem Beteiligungsverfahren zurückgezogen. Den Grund erläutern sie in einem gemeinsamen Statement. In diesem heisst es, dass sie erst bei einem dritten Workshop im Dezember darüber diskutieren sollten, ob und in welcher Form ein solcher Verkehrsversuch möglich ist. Deswegen reagierten sie durchaus überrascht, als Stadtrat Wolff scheinbar ohne Vorwarnung bereits Anfang September das Projekt im Gemeinderat ankündigte. Damit wurden «in seiner Gegenwart getroffene und protokollierte Abmachungen» gebrochen, heisst es in der gemeinsamen Mitteilung weiter. Und «mit seinem Vorpreschen hat er das ganze Beteiligungsverfahren als Alibiübung enttarnt». Ihre wirtschaftsbewussten Stimmen seien ausgebootet worden. Für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit fehle nun die Basis.

Verärgert sind auch die FDP und die SVP Stadt Zürich. Beide Parteien kritisieren in Medienmitteilungen den «Alleingang von Wolff». Der Zürcher Stadtrat sei nun gefordert, das Vertrauen zwischen allen involvierten Parteien wieder aufzubauen.

 

AL-Stadtrat Richard Wolff äussert sich aktuell gegenüber den Medien nicht zum Thema Bellerivestrasse. Es fänden derzeit aber Gespräche statt, interne wie auch mit den Beteiligten, lässt sein Tiefbaudepartement auf Anfrage ausrichten.

 

 

Anwohner beunruhigt

Kritik gibt es aber auch generell am Projekt. Einerseits von den Anwohnern. So haben sich Mieter der Bellerivestrasse 22/24 gemeinsam beim «Tagblatt» gemeldet. Sie befürchten, dass durch den Spurabbau noch mehr Stau und Lärm entstehen würde, was letztlich der Lebensqualität schade. Bereits die aktuelle Situation «lässt nicht zu, in den unteren Wohnungen die Fenster zu öffnen», heisst es in dem Schreiben, das im Namen der «Verwaltungs GmbH» erfolgte.

Auch anliegende Gemeinden stellen sich gegen das Vorhaben. So hat beispielsweise der Zol­liker Gemeinderat in einem Brief an den Stadtrat sein Missfallen ausgedrückt. Und Pia Guggenbühl, Küsnachter Gemeinderätin und Co-Präsidentin der IG Bellerue, die die Sanierungen rund um die Bellerivestrasse im Auge behält, ist sich in einer Medienmitteilung sicher, dass der Stadtrat ein Verkehrschaos produziere: «Wir, als anliegende Unternehmer, Anwohner und Gemeinden, sind überzeugt, dass der Spurabbau zu wesentlich mehr Schleichverkehr und Lärmbelastung in den anliegenden Gemeinden und städtischen Wohnquartieren führen wird», so Guggenbühl.

Die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich war über den geplanten Versuch informiert und nimmt dessen Durchführung im Rahmen der Kompetenz der Stadt Zürich zur Kenntnis, heisst es in einer Medienmitteilung. Sollte aber der Spurabbau einst mittels baulichen Massnahmen in einen Dauerzustand übergehen, müsste dies vom Regierungsrat bewilligt werden. Dieser würde eingehend prüfen, ob die Verminderung der Leistungsfähigkeit einzelner Strassenabschnitte im umliegenden Strassennetz mindestens auszugleichen sei. «Das Stimmvolk des Kantons Zürich hat 2017 den Gegenvorschlag zur Anti-Stau-Initiative mit deutlicher Mehrheit angenommen. Diesen demokratischen Entscheid gilt es zu respektieren», sagt Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh.

Doch nicht alle Stimmen stellen sich gegen das Projekt. Der Quartierverein Riesbach beispielsweise begrüsst die Versuchsanordnung. Der Rückzug von TCS, ACS und dem Gewerbeverein hingegen sei bedauerlich, «denn der damit eingeleitete, breit abgestützte und auf seriös durchgeführten Messungen und Berechnungen beruhende Entscheidungsprozess ist im Interesse des direkt betroffenen Quartiers», halten Urs Frey und Martin Schmid vom Quartierverein schriftlich fest. Zudem hiess es in der letzten Einladung vom Tiefbauamt, dass bei der nächsten Sitzung das Versuchskonzept präsentiert werde und man sich gerne Rückmeldungen einhole: «Der geforderten Vernehmlassung steht also nach wie vor nichts im Wege, selbst wenn jetzt der voraussichtliche Beginn und die Dauer des Versuches genannt wurden», so der Quartierverein.

Yvonne Ehrensberger vom Vorstand Pro Velo Zürich sieht in diesem Versuch die einzige Möglichkeit, die dortige Sicherheit und Attraktivität für Velofahrer zu erhöhen: «Die Bellerivestrasse stellt auch für den Veloverkehr die direkteste Verbindung zwischen den Seegemeinden, dem Bahnhof Tiefenbrunnen und der Stadt Zürich dar. Durch den Pilotversuch wird für alle ein gerechtes und sicheres Angebot geschaffen, welches gemäss Verkehrsberechnungen keine zusätzlichen Kapazitätsbeschränkungen aufweist.»

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echo@tagblattzuerich.ch

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