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Das Haus «Zum Mohrentanz» an der Niederdorfstrasse 29. Die heute noch sichtbare Inschrift wurde erst im 20. Jahrhundert angebracht. (Bild: PD)

Debatte ohne Ende

Von: Jan Strobel

29. März 2023

Gemäss Baurekursgericht dürfen die «Mohr»-Inschriften in der Altstadt bleiben. Der Stadtrat veröffentlichte gestern eine ETH-Studie zum Thema.

Als der Stadtrat im November 2021 seine Entscheidung publik machte, die historischen Inschriften «Zum Mohrenkopf» am Neumarkt 13 und «Zum Mohrentanz» an der Niederdorfstrasse 29 abdecken zu wollen, entbrannte eine emotionale Debatte über Sinn oder Unsinn des Vorhabens. Für den Stadtrat weisen diese beiden Inschriften eine aus heutiger Sicht «rassistische Wirkung» auf. Er reichte deshalb ein Baugesuch für die Abdeckung ein. Dagegen legte der Zürcher Heimatschutz unter der Leitung des Stadtzürcher Heimatschutzes Rekurs beim Baurekursgericht ein. Der Stadtrat, so der Einwand des Heimatschutzes, habe den historischen Kontext und die Herkunft der Häusernamen und deren Aussagen zur Geschichte der betreffenden Liegenschaften «nicht einmal ansatzweise» abgeklärt. Die Häusernamen erinnerten «an die frühen Beziehungen zwischen zürcherischen Kaufleuten und Mauren, also zu Kulturen in Nordafrika und im Nahen Osten», so der Heimatschutz. In den historischen Quellen taucht der Name «Zum Mohrenkopf» erstmals 1443 auf, «Zum Mohrentanz» 1682.

Vergangene Woche musste der Stadtrat nun eine Niederlage einstecken. Das Baurekursgericht hiess die Beschwerde des Heimatschutzes gut. Eine Abdeckung der Inschriften, so die Begründung, beeinträchtige den Schutzzweck der Gebäude. Die Thematik des Rassismus könne etwa auch mit erläuternden Infotafeln vertieft behandelt werden. Damit würden die Hausnamen nicht stillschweigend toleriert und werde die rassistische Wirkung gebrochen. Bereits im Herbst 2021 hatte die Stadt solche erläuternden Infotafeln mit QR-­Codes an den Häusern angebracht.

Der Stadtrat möchte das Urteil des Baurekursgerichts nicht akzeptieren und zieht den Entscheid ans Verwaltungsgericht weiter. Zu laufenden Verfahren nimmt er keine Stellung. Just eine Woche nach dem Urteil des Baurekursgerichts präsentierte der Stadtrat gestern Dienstag die Ergebnisse der ETH-Studie «Zürcher ‹Mohren›-Fantasien. Eine bau- und begriffsgeschichtliche Auslegeordnung, ca. 1400–2022». Den Bericht hatte das Präsidialdepartement bei der neugeschaffenen Professur Geschichte der modernen Welt der ETH in Auftrag gegeben.

Erfindung der Altstadt
Die Studie, verfasst von Ashkira Darman und Bernhard C. Schär, kommt unter anderem zum Schluss, dass die heute noch sichtbaren Inschriften an den beiden Häusern relativ jung sind. Beide seien erst im 20. Jahrhundert in einem Prozess entstanden, der als «Erfindung der Altstadt» umschrieben werden könne. Damals wurden die unpopulär gewordenen Innenstädte baulich aufgewertet. Die Beschriftungen seien nicht Teil eines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erbes oder einer ungebrochenen historischen Tradition. Es handle sich vielmehr «um nachträgliche Konstruktionen, die mehr über die Wünsche ihrer Auftraggebenden als über die Vergangenheit» aussagen. Der Bericht legt zudem nahe, dass der Mohr-Begriff und die Mohr-Symbolik in Zürich und darüber hinaus seit jeher eine abwertende Funktion hatte. Der Bezug etwa zu Mauren sei «wissenschaftlich unhaltbar». Im Spätmittelalter hätten schwarze Menschen im christlichen Weltbild unter anderem die Sünde oder das Böse verkörpert.

Auch auf die Figur des Heiligen Mauritius, welche in der Debatte wiederholt als Beleg ins Feld geführt wurde, dass Mohren-Darstellungen nicht rassistisch seien, geht der ETH-Bericht ein. Dieser Heilige, so der Befund, sei im Zürcher Raum im Mittelalter nicht schwarz dargestellt oder beschrieben worden, «sondern als Mann, der heute europäisch und weiss gelesen würde». Vom 18. bis ins 20. Jahrhundert sei der Mohr-Begriff schliesslich vom transatlantischen Sklavenhandel und den Rassentheorien geprägt worden, die Menschen in hierarchische «Rassen» einteilten.

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echo@tagblattzuerich.ch

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