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Der organisierte Tod

Von: Ginger Hebel

20. Februar 2018

Letztes Jahr haben sich 734 schwer leidende Menschen beim Sterben begleiten lassen. Die Organisation Exit zählt mehr Mitglieder als je zuvor.

Im letzten Jahr sind 10 078 Menschen dem Selbstbestimmungsverein Exit beigetreten, aktuell zählt er 110 391 Mitglieder, die meisten kommen aus dem Kanton Zürich. «In Städten wie Zürich sind die Menschen gegenüber der Freitodbegleitung offener als in ländlichen Gebieten, wo das Thema immer noch tabuisiert wird», sagt Jürg Wiler, Kommunikationsvorstand von Exit.

Mehr Frauen begleitet

Wie die aktuellsten Zahlen von Exit belegen, haben sich im letzten Jahr 734 schwer leidende Menschen beim Sterben begleiten lassen – 11 Personen mehr als im Vorjahr. Erstmals waren es deutlich mehr Frauen als Männer. «Wir stellen fest, dass sich Frauen oft intensiver und auch früher mit dem Tod und dem Sterben auseinandersetzen», sagt Wiler. Selbstbestimmt zu leben, ist vielen Menschen ein grosses Anliegen. «Viele haben sich bewusst für eine Karriere oder Familie entschieden. Darum wollen sie sich auch das Recht bewahren, über ihren Tod entscheiden zu dürfen», so Wiler. Ein weiterer Grund sei aber auch die deutliche Alterung der Gesellschaft. «Die moderne Medizin sorgt dafür, dass wir länger leben. Viele wehren sich jedoch dagegen, dass sie leben müssen, obwohl die Lebensqualität für sie nicht mehr stimmt.» Das Durchschnittsalter der begleiteten Menschen liegt bei 78,1 Jahren. Die häufigsten Diagnosen sind Krebsleiden, gefolgt von Altersmorbidität und chronischen Schmerzerkrankungen.

Jürg Wiler war dabei, als seine Eltern sich beim Sterben begleiten liessen. Seine Mutter erkrankte unheilbar an einem Hirntumor und entschied sich mit 68 Jahren für den assistierten Suizid. Sein Vater litt an einer aggressiven Nervenkrankheit, «mit 93 Jahren wollte und konnte er nicht mehr kämpfen». Die Freitodbegleitungen hat er gut verarbeitet. «Es ist etwas anderes, wenn man sich gemeinsam auf den Tod vorbereiten kann, als wenn ein geliebter Mensch unverhofft aus dem Leben gerissen wird.» Er erinnert sich, wie sie ein letztes Mal zusammen Fotos anschauten und gemeinsame Erlebnisse Revue passieren liessen. Sie diskutierten auch heikle Themen aus, die sie früher nie angesprochen hätten. «Wir konnten uns noch alles sagen, was uns beschäftigte, das hat mich später sehr entlastet.»

Leiden Unheilbarer lindern

Das Bedürfnis nach Freitodbegleitungen ist trotz des Ausbaus der Palliativmedizin gross. Monika Obrist, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Care und Geschäftsleiterin der Sektion Zürich-Schaffhausen, kann die Beweggründe verstehen. «Die Palliativmedizin macht grosse Fortschritte. Wir kämpfen dafür, das Leiden unheilbar Kranker und Sterbender zu lindern, doch leider ist die Finanzierung der Palliative-Care-Leistungen nicht gewährleistet, und somit fehlen an vielen Orten qualifizierte Angebote», sagt Obrist.

Als besonders problematisch erachtet sie die Entwicklung im ambulanten Bereich. Seit diesem Jahr gibt es Änderungen im Ärztetarif Tarmed. Für die Patienten am spürbarsten sind die sogenannten Limitationen, bei denen Ärzte für die Koordination ihrer Leistungen mit Spezialisten, Spitex und Spitälern nur noch maximal eine Stunde in drei Monaten verrechnen können. «Das Bedürfnis kranker Menschen, über ihren weiteren Weg und ihre Behandlungsmöglichkeiten zu reden, bleibt dadurch auf der Strecke», findet Obrist.

Hoffnung setzt sie in den Ausbau des Advance Care Planning, wo Patienten zur gesundheitlichen Vorausplanung (Patientenverfügung) beraten werden. In der Stadt Zürich beschäftigt sich aktuell eine Arbeitsgruppe mit der Frage, wie bei der Palliative Care Versorgungslücken geschlossen werden können. Erste Lösungsvorschläge werden diesen Herbst erwartet. 

 

 

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