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Während des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) spielte der Circus Knie in Zürich im verdunkelten Zelt. Trotz der schwierigen Zeiten wurde nie eine Vorstellung abgesagt. Die Corona-Krise zwingt den Circus erstmals dazu. Bild: Archiv Circus Knie

Die grösste Krise im Schweizer Zirkuszauber

Von: Ginger Hebel

14. April 2020

Der Nationalzirkus Knie hat in seiner langen Geschichte schwere Krisen – hauptsächlich bedingt durch Kriege – meistern müssen. Dass er ereignisbedingt mehrere Wochen oder gar Monate seine Vorstellungen aussetzen musste, so etwas gab es nie. Die aktuelle Situation mit Corona ist daher bisher einmalig.

Vergangenes Jahr feierte der Circus Knie sein 100-Jahr-Jubiläum. Er wurde gefeiert und gelobt. «Nach der Jubiläumshow ist die momentane Situation ein Schlag auf den Kopf», sagt Fredy Knie. Die berühmteste Schweizer Zirkusdynastie hat in seiner Geschichte schon so manche Krise bewältigt, aber so etwas Einschneidendes wie das aktuelle Corona-Virus, das hätten sie noch nie erlebt. «Es ist die grösste Lebensprüfung für uns, es sind sehr schwierige Zeiten», sagt Fredy Knie am Telefon.

1918, ein Jahr vor der Gründung des Nationalzirkus in seiner heutigen Form, brach die Spanische Grippe aus. Eine Influenza-Pandemie, der vor allem 20- bis 40-jährige Menschen erlagen. Der Knie musste seine Tournee während sechs Wochen im Sommer unterbrechen. Damals tourte er allerdings noch als «Arena Knie» durchs Land, als Freiluftbühne mit einer Hand voll Artisten. Der Ausfall war für die Gebrüder Knie finanziell tragbar, ein Jahr später gründeten sie den Zeltzirkus. «Die Spanische Grippe dauerte zwar noch an, doch sie hielt das Publikum nicht davon ab, unseren Zirkus zu besuchen. Sie kamen in Scharen», berichtet Fredy Knie.

Auch die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren traf den Knie nicht so hart wie manch anderes Unternehmen. «Die Leute verzichteten damals eher auf grosse Reisen als auf die kleine Auszeit in unserer Manege», erzählt Fredy Knie im Gespräch. Für das Gastspiel in Zürich, 1931, stellten die Verantwortlichen erstmals ein Chapiteau mit einer Kapazität von 5000 Personen auf den ehemaligen Tonhallenplatz. 238 Mitarbeitende und 326 Tiere reisten mit dem Unternehmen durchs Land. Der Knie wurde immer grösser und bekannter. In den Wintermonaten absolvierten sie erfolgreiche Gastspiele in London, Paris, Amsterdam. Das Programm im Jahr 1934 namens «Circus unter Wasser», mit einem gigantischen Wasserbecken in der Manege, war ein Publikumsrenner. Erst 1935, mit dem Pantomime-Programm «India», ging der Knie fast Konkurs. Die Show verfehlte den Geschmack des Publikums. Friedrich Knie rettete das Unternehmen mit Geld aus seinem Privatvermögen.

Im verdunkelten Zelt

Der Zweite Weltkrieg, von 1939 bis 1945, erforderte von den Gebrüdern Knie einen strikten Sparkurs. «Das waren schlimme Zeiten», resümiert Fredy Knie. Futter für die Zirkustiere wurde rationiert. Weil es an rohem Fleisch fehlte, konnten sie keine Raubtiere mehr auftreten lassen. «Heu und Stroh hatten wir für unsere geliebten Tiere aber immer», erzählt Fredy Knie. Glücklicherweise hatte seine Grossmutter Margrit Knie-Lippuner einen guten Draht zu General Guisan, dem Oberbefehlshaber der Schweizer Truppen. Dank dessen Schirmherrschaft konnte der Knie während des Krieges im verdunkelten Zelt weiterspielen. «Sie haben unseren Zirkus durch den Krieg gebracht», sagt Fredy Knie stolz. Damals kam dem Zirkus die elementare Aufgabe zu, die Bevölkerung und die Soldaten (in einem Jahr waren es 90 000!) in dieser schwierigen Zeit zu unterhalten und zu motivieren.

Die momentane Corona-Krise trifft das Unternehmen pickelhart. 200 Artisten und Saisoniers sitzen derweil im Winterquartier in Rapperswil in ihren Wohnwagen fest, jeder für sich, um sich nicht gegenseitig anzustecken. Die sonst so frequentierte und beliebte Mannschaftsküche ist zwar offen, obliegt aber strengen Regeln. «Alle fassen ihr Essen einzeln und essen auch allein, mit drei Meter Abstand», erzählt Fredy Knie. Artisten aus Marokko und der Ukraine, die allesamt nicht ausreisen können, verfolgen das Weltgeschehen via Satellitenschüssel. «Sie sehen, dass es in ihrer Heimat oft noch schlimmer zu- und hergeht als bei uns. Das Verständnis für die Situation ist bei allen gross, der Zusammenhalt auch.» Die Löhne für die Mitarbeitenden müssen weiterhin bezahlt werden. Der Knie hat Kurzarbeit beantragt, noch ist ungewiss, ob und wann diese genehmigt wird. «Auch wir werden kämpfen müssen. Doch was zählt ist das Wohlbefinden der Mitarbeiter und der Tiere», sagt Fredy Knie. Er schätze es, wie der Bundesrat das Volk sachlich und ohne Panikmache informiere und leite.

Die Tiere sind alle gesund. «Sie spüren nichts von den momentanen Chaos-Zeiten. Für sie geht der Alltag weiter wie gewohnt», sagt Fredy Knie. Training, Auslauf, Weidegang. Die Tiere sind umgeben von ihren vertrauten Bezugspersonen, momentan dürfen aber keine fremden Personen in die Ställe, was ungewohnt sei. «Unser Zirkus lebt von der Transparenz.» Tournee in Gefahr Aktuell erarbeitet das Knie-Team einen neuen Tourneeplan. Sie rechnen damit, dass die Tournee auf fünf Monate verkürzt wird. Zürich wäre als Spielort im Herbst statt im Mai an der Reihe. «Zürich ist für uns eine wichtige Stadt. Wir wollen sie auf keinen Fall auslassen.» Derzeit können jedoch keine Tickets für die Spielorte ab Anfang Mai erworben werden. Das Knie-Büro hat alle Hände voll zu tun. Gekaufte Tickets werden zurückerstattet, müssen dann aber neu gekauft werden. «Die Leute rufen uns an und fragen, ob sie uns das Ticketgeld schenken können, was natürlich nicht geht. Es ist rührend, wie herzlich viele Menschen in der Krise reagieren», betont Fredy Knie.

Mit seinen 74 Jahren gehört er zur Corona-Risikogruppe, zudem leidet er an Diabetes. Er passe jedoch gut auf sich auf, trage einen Mundschutz, vermeide soziale Kontakte. Seinem Enkel Ivan sieht er durch eine Glasscheibe zu, wie er die Pferde dressiert. «Manchmal will ich ihm Tipps geben, dann würde ich am liebsten durch die Scheibe springen», sagt Fredy Knie lachend. Mit vier Jahren trat der ehemalige Pferdedresseur in Antwerpen zum ersten Mal vor Publikum auf. «Derzeit leben wir in Unsicherheit. Niemand weiss, wie es weitergeht und wann. Aber jammern nützt uns nichts. Wir sitzen alle im selben Boot», sagt er gefasst.

Möglicherweise, so Fredy Knie, lerne man durch diese Krise auch, dass andere Sachen eben doch wichtiger sind auf der Welt anstatt immer noch mehr Geld und Rampenlicht. «Luxus hat mir noch nie viel bedeutet. Ich war immer zufrieden mit dem Zirkus und den Tieren.»

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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