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Blutrot und unter Umständen tödlich: Burgunderblutalgen-Ansammlung im Zürichsee. Bild: PD

Die rote Gefahr aus der Tiefe

Von: Sacha Beuth

22. September 2020

ALGENSCHWEMME Der Temperaturumschwung zu Monatsbeginn sorgte dafür, dass Burgunderblutalgen aus den Tiefen des Zürichsees an die Oberfläche geschwemmt wurden und das Wasser rot färbten. Ein kurioses Schauspiel – von dem allerdings eine Gefahr für Mensch und Tier ausgehen kann.

Nicht wenige Zürcher nutzten zuletzt wegen des unerwartet warmen Wetters die Möglichkeit, noch einmal im Zürichsee zu schwimmen. Auch der Temperatursturz Anfang des Monats hielt die Badewilligen nicht von ihrem Vorhaben ab. Was vielleicht anders gewesen wäre, hätten diese von den Vorgängen gewusst, die sich in dieser Phase im See abspielten. Denn der Temperaturumschwung brachte etwa vor Küsnacht, Horgen und Wädenswil Wasserorganismen zu Tage, die nicht nur die Wasseroberfläche rot färbten, sondern auch ein Toxin absondern: Burgunderblutalgen.

Die Organismen zählen zu den Cyanobakterien oder Blaualgen und leben schon seit über 100 Jahren im Zürichsee – im Sommer und Frühherbst aber normalerweise in einer Tiefe von 10 bis 15 Metern, der sogenannten Sprungschicht. «Erst im Oktober oder November, wenn sich der See so weit abgekühlt hat, dass sich die Wasserschichten mischen, kommen die Burgunderblutalgen an die Oberfläche. Je nach Konzentration kann sich dann ein roter Algenteppich bilden», erklärt Pius Niederhauser, Sektionsleiter Oberflächengewässerschutz des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft AWEL.

Licht setzt Gift frei

Solange sich die Burgunderblutalgen in der relativ dunklen Tiefe befinden und intakt sind, besteht für Mensch und Tier keine Gefahr. «Problematisch wird es erst, wenn die lichtempfindlichen Cyanobakterien an die Oberfläche geschwemmt werden oder in den Verdauungstrakt eines Menschen, Hundes oder anderen Säugetieres gelangen», sagt Thomas Posch, Gruppenleiter am Limnologischen Institut der Universität Zürich. «Denn starkes Licht zerstört die Bakterienzelle ebenso wie die Enzyme im Verdauungstrakt und setzt verschiedene Gifte, vor allem aber Microcystin frei. Letzteres kann bei geringer Dosis zu Hautreizungen oder – wenn es oral eingenommen wird – zu Übelkeit oder Bauchschmerzen führen. Zudem können selbst kleinere Mengen die Leber irreparabel schädigen. Hohe Dosen wirken auch auf andere Organe und es besteht dann akute Lebensgefahr.» Wie hoch genau diese Dosis sein muss, ist noch nicht gesichert, da derlei Messungen erst bei Tierversuchen unternommen wurden.

Die Art und Weise, wie das Gift freigesetzt wird, ist eine mögliche Erklärung, warum Hunde trotz ihrer feinen Nase immer wieder mit Burgunderblutalgen kontaminiertes Wasser trinken. «Vermutlich riecht das Wasser, solange die Bakterienzellen noch intakt sind, für einen Hund dann nicht anders als sonst auch», glaubt Posch. Mit fatalen Folgen, denn das Gift wirkt relativ schnell. So seien in Berlin einmal zwölf Hunde innert sechs Stunden verendet, nachdem sie mit Cyanobakterien durchsetztes Wasser aus einem Gewässer getrunken hatten.

Ob vor einer Gefahr für Mensch und Tier gewarnt werden muss, erfolgt im Kanton Zürich nach Einschätzung des Kantonalen Labors, welches dann Empfehlungen an die entsprechende Gemeinde abgibt. «Solche Algenteppiche treten sehr sporadisch auf, üblicherweise meist ausserhalb der Badesaison. Darum handelt es sich immer um eine Einzelfallbeurteilung. Messungen zum Toxingehalt dauern zu lange, als dass sie für eine Abschätzung der Gefahr für Badende geeignet wären», erklärt Kantonschemiker Martin Brunner. Allfällige Empfehlungen an die Betreiber von Seebadis, eine Warnung vor dem Algenteppich anzubringen, würden in der Regel nach einer Einzelfallbeurteilung vor Ort erfolgen. Aktuell lägen für die zur Stadt Zürich gehörenden Uferzonen (Stand gestern Dienstag, 10 Uhr) keine Gefahrenmeldungen vor. Wo keine Verfärbung des Wassers sichtbar sei, sei Baden bedenkenlos möglich.

Trinkwasser ist sicher

Entwarnung gibt es auch für das Trinkwasser der Stadt Zürich, das zu rund 70 Prozent aus dem Zürichsee stammt. «Die Fassungen für das Trinkwasser befinden sich in über 30 Metern Tiefe, also deutlich tiefer als die Zone, in der sich die Burgunderblutalgen während der warmen Jahreszeit befinden. Selbst wenn sich die Schichten mischen, ist die Konzentration der Cyanobakterien nur noch schwach, so dass keine Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten besteht. Zudem durchläuft das Seewasser einem mehrstufigen Filterprozess, bei dem auch Burgunderblutalgen herausgefiltert werden», weiss Niederhauser vom AWEL. Der Verzehr von Fischen aus dem Zürichsee scheint in diesem Zusammenhang ebenfalls ungefährlich. «Es gibt zwar Hinweise, dass Fische über die Kiemen Blaualgen aufnehmen. Aber diese Untersuchungen fanden unter nicht realistischen Bedingungen statt», betont Posch.

Kalte Winter helfen

Nichtsdestotrotz sind Burgunderblutalgen ein immer wiederkehrendes Problem, das sich nicht so einfach beseitigen lässt. «Diese Cyanobakterien haben im Zürichsee dank ihres Giftschutzes fast keine natürlichen Feinde. Ihre Zahl hängt vorab vom Wetter ab. Je kühler der Winter und je wechselhafter der Frühling, desto mehr Burgunderblutalgen sterben ab und je wärmer die Winter, desto mehr vermehren sie sich», erklärt Niederhauser. Und verweist auch gleich aufs kommende Wochenende. «Da fallen die Temperaturen wieder deutlich und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wieder Cyanobakterien an die Oberfläche des Sees geschwemmt werden.»

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