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Kinder werden an der Schule aufgrund ihres Geschlechts gehänselt und verzichten sogar auf den Toilettengang. Geschlechtsneutrale Toiletten sollen einen geschützten Raum für alle bieten. Auch an der ZHdK gibt es bereits auf jedem Stock All-Gender-Toiletten (Bild oben).

Die Stadt Zürich setzt auf Unisex-Toiletten für alle

Von: Ginger Hebel

26. Juli 2022

An der Stadtzürcher Volksschule werden geschlechtsneutrale Toiletten Standard – Pissoirs fallen dafür teilweise weg. Während sich einige darüber aufregen, sehen andere darin vor allem Vorteile.

Öffentliche Toiletten, nach Geschlechtern getrennt. So kennt man es im Alltag. Die Stadt Zürich beschreitet neue Wege und macht genderneutrale Toiletten an Volksschulen zum Standard. Ein Drittel aller WC-Anlagen in neuen Schulhäusern wird künftig geschlechtsneutral sein. Heisst: ausnahmslos alle Schülerinnen und Schüler dürfen diese benutzen, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität. «Es wird weiterhin geschlechtergetrennte Toiletten an Zürcher Volksschulen geben, aber neu eben auch Anlagen für alle Menschen», erklärt Daniel Bekcic von Immobilien Stadt Zürich. Hinter dieser Entwicklung steckt nicht etwa ein Vorstoss von Lehrerinnen und Lehrern, die auf die Befindlichkeiten von Intersexuellen oder Transmenschen Rücksicht nehmen.

Die neuen städtischen Raumstandards für den Bau von Volksschulanlagen schreiben Toiletten für Mädchen, Knaben und Unisex-Toiletten vor. Bei der Stadt sei man froh um diese praktische Lösung. «Wir schaffen damit die Möglichkeit, zum Beispiel für nonbinäre Menschen eine geschlechterneutrale Toilette zu benutzen. Auch alle anderen dürften sich aber über diese zusätzliche Möglichkeit freuen, spätestens dann, wenn alle anderen Toiletten besetzt sind», sagt Bekcic.

Geschützten Raum bieten

Transgender Network Switzerland (TGNS) begrüsst diesen Schritt. «Viele Transmenschen getrauen sich nicht auf öffentliche Toiletten, wenn es nur Frauen- und Männertoiletten gibt, weil sie angefeindet werden. Genderneutrale WCs sind eine wichtige Massnahme zur Chancengleichheit», sagt Alecs Recher, Leiter Rechtsberatung von TGNS. Er sieht in den neuen Toiletten einen Vorteil für alle Menschen. «Sie können auf genderneutrale Toiletten ausweichen, wenn sich vor den Frauen-Toiletten mal wieder lange Schlangen bilden.» Zudem werde es auch für Begleitpersonen älterer oder behinderter Menschen einfacher wie auch für Mütter, die mit ihren Buben die Toi­lette aufsuchen müssen, oder für Väter mit Töchtern.

Für Aner Voloder, Jurist und Projektleiter bei der Stadtzürcher Fachstelle für Gleichstellung, entsprechen genderneutrale Toiletten unter anderem auch einem klaren Schutzbedürfnis. «Die Gesellschaft spricht offener darüber und das Thema wird enttabuisiert; das ist positiv.» Die Fachstelle erhalte Anfragen vom Schulpersonal oder von besorgten Eltern von Kindern, die an der Schule aufgrund ihres Geschlechts gehänselt werden und darum sogar auf den Toilettengang verzichten. «Genderneutrale Toiletten bieten einen geschützten Raum. Das ist wichtig fürs Kindeswohl, aber auch für betroffene Lehrkräfte.»

Weniger Pissoirs

Dass es in Buben-WCs keine Pissoirs mehr gibt, finden einige Väter haarsträubend. «Wie kann etwas plötzlich nicht mehr zeitgemäss sein, was jahrzehntelang immer für alle normal war», enerviert sich Paul Müller, dessen zwölfjähriger Sohn eine Schule in Altstetten besucht. Daniel Bekcic erklärt: «Es stecken tatsächlich praktische Überlegungen dahinter. Einheitlich gebaute Einzelkabinen, die von allen genutzt werden können, geben der Schule maximale Flexibilität, die Toiletten nach Bedarf zuzuordnen und zu beschriften.» Zudem seien Pissoirs überall vorhanden, wo sie einen Mehrwert haben, also in Gemeinschaftsbereichen wie der Mensa, der Turnhalle oder der Bibliothek.

Die Regelung der neuen Raumstandards bezieht sich auf Neubauten. In bestehenden Schulhäusern sollen die Toiletten bei Renovationen entsprechend angepasst werden. Auch für das Schul- und Lehrpersonal sollen künftig genderneutrale Toiletten zur Verfügung stehen – eine auf bis zu zehn Mitarbeitende. Mehrkosten sollen gemäss Stadt dadurch nicht entstehen. «Die neuen Toiletten sind nicht nur geschlechts-, sondern auch kostenneutral», erklärt Bekcic. In allen WC-Kabinen würden die gleichen WC-Schüsseln eingebaut. Eine geschlechterneutrale Toilette unterscheide sich von einer geschlechtergetrennten also einzig durch die Beschriftung an der Tür.

Die einheitlichen Einzelkabinen bestehen aus einer Toiletten-Schüssel und einem Lavabo. Dafür müssen zwar im Vergleich zu den bisherigen WC-Anlagen mehr Lavabos verbaut und Wände eingezogen werden, dafür fallen Pissoirs und Vorräume weg, wodurch weniger Fläche verbaut wird. «Es geht generell darum, Flächen effizient auszunützen», sagt Bekcic. Auch Informatikräume fallen weg, da heute alle Schülerinnen und Schüler mobile Computer nutzen.

Diversität und Vielfalt

Die Stadt Zürich zieht mit der neuen Verordnung mit den Gymnasien im Kanton Zürich gleich. Diese haben bereits heute bei Neubauten vorgeschrieben, Toiletten zu erstellen, die von allen Geschlechtern benutzt werden können. Auch im Stadthaus steht eine Unisex-Toi­lette zur Verfügung. Die ETH und die Uni Zürich sowie die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) haben ebenfalls geschlechtsneutrale Toiletten signalisiert. Im Toni-­Areal und an der Gessnerallee gibt es seit zwei Jahren auf jedem Stock barrierefreie All-Gender-Toiletten. Nach wie vor seien aber auch geschlechtergetrennte WCs vorhanden. «Die ZHdK setzt sich für Diversität und Vielfalt ein. Genderneutrale Angebote erachten wir daher als sehr wichtig. Sie ermöglichen Menschen, die Toiletten zu benutzen, die der eigenen Geschlechtsidentität entsprechen», sagt Irène Hediger, stv. Leiterin der Fachstelle Gleichstellung & Diversity an der ZHdK.

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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