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Männliche und weibliche Toiletten: Zürcher Jungparteien räumen mit dieser Zweiteilung der Geschlechter auf. (Bild: M. Berg / Adobe Stock)

Drittes Geschlecht erobert Zürich

Von: Clarissa Rohrbach

24. Mai 2022

Inklusive Sprache hält Einzug in die Zürcher Politik. Damit werden nicht binäre Personen in der Gesellschaft sichtbarer. In der Stadt Zürich wird derzeit geprüft, ob das Reglement für gendergerechte Sprache überarbeitet werden soll. Ältere und Bürgerliche hingegen setzen sich gegen den Trend und beharren auf die konventionelle Zweiteilung der Geschlechter. 

Mann oder Frau. Diese Geschlechtskategorien halten Junge für veraltet. Wer in Zürich in den Ausgang geht, kommt an inklusiver Sprache nicht vorbei. Diese soll auch nicht binäre Personen ansprechen, also Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann fühlen. Auf Plakaten wird darauf hingewiesen, dass man, wenn man jemanden anspricht, nach dessen Pronomen fragen soll. Neben «er» und «sie» benutzen die Jungen das aus dem Schwedischen entnommene «hen», das englische «they» oder die Neukreation «xier» für das dritte Geschlecht.

Laut der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) leben in der Schweiz 154'000 nicht binäre Personen. Diese begrüssen die neue, inklusive Sprache, denn so können sie aus ihrem Schattendasein treten. Viele werden wegen des Drucks der heteronormativen Geschlechtsrollen depressiv, weil sie ihr wahres Ich nicht ausleben können. 40 Prozent der Transpersonen haben bereits einen Suizidversuch hinter sich. Der Leidensdruck ist gross. Deshalb fordern immer mehr Junge die Aufhebung der Mann-/Frau-Etikettierung. Geschlecht ist heutzutage fluid, ein Spektrum von Möglichkeiten.


Unabhängig von Körper

Nun halten nicht binäre Pronomen auch Einzug in die Zürcher Politik. Die JUSO der Stadt Zürich macht es vor. Auf deren Website schreiben Vorstandsmitglieder seit einem Jahr ihre Geschlechtspronomen in Klammern dazu. So bezeichnet sich Sekretärin Sofia Rohrer als Frau. Die Transfrau hat sich vor zwei Jahren geoutet und lebt seither viel freier. «Meistens errät man das Geschlecht einer Person anhand von deren Aussehen, doch das ist eine falsche Annahme», sagt die 23-Jährige. Geschlechtsidentität definiere sich unabhängig vom Körper. Mit den Pronomen wolle die JUSO die Akzeptanz aller Geschlechter signalisieren, da die Partei auch eine inklusive Politik führe. Anfangs seien viele Leute verwirrt gewesen, vor allem ältere, doch für die Jungen sei das kein Ding. «Wir machen alle Geschlechter sichtbar, das schafft Bewusstsein.»

Auch die Jungen Grünen stellen sich bei Veranstaltungen mit ihren Pronomen vor. «Es ist uns wichtig, alle Geschlechtsidentitäten anzuerkennen», sagt Vorstandsmitglied Anna-Béatrice Schmaltz. Die Nennung der Pronomen sei nicht obligatorisch, denn es könne auch gefährlich sein, sich zu outen. Letztes Jahr kam es in Zürich zu 22 Hatecrimes gegen Queers. Dass es zu Anfeindungen kommt, erstaunt Schmaltz nicht. «Die Akzeptanz von nicht binären Geschlechtern ist noch nicht so verbreitet.» Dies merkt die Gemeinderätin auch im Stadtzürcher Parlament. Dort seien die Geschlechtspronomen noch kein Thema. Es wäre jedoch laut Schmaltz wichtig, dass der Gemeinderat gendergerechte Sprache benutzt. Auch die Mutterpartei will sie dazu bewegen.

Stadt prüft noch

Die Grünen Kanton Zürich winken ab. «Wir haben zurzeit andere Prioritäten», sagt Co-Präsidentin Selma L’Orange Seigo. Die Verwendung von Geschlechtspronomen sei vor allem eine Generationenfrage: Junge würden diese gerne benutzen, ältere eher nicht. Dass es noch Überzeugungsarbeit braucht, zeigt auch die SP der Stadt Zürich. Laut Präsidentin Liv Mahrer ist es für ältere Parteimitglieder schwierig, sich an die inklusive Sprache zu gewöhnen. Man müsse noch viel dazulernen, bis die nicht binären Normen etabliert seien.

Progressiver zeigt sich die Stadt. Laut dem Präsidialdepartement wird zurzeit geprüft, ob das 26 Jahre alte Reglement für gendergerechte Sprache überarbeitet werden soll. Die sprachliche Gleichstellung von Frauen und Männern würde darin auf nicht binäre Personen erweitert. Damit kommt die Stadt auch einer Anregung des Büros des Gemeinderats nach. Laut Sprecher Lukas Wigger sind Gendersterne oder Doppelpunkte sowie geschlechtsneutrale Formulierungen Teil der Prüfung. Die genaue grammatikalische Umsetzung sei aber noch offen und würde letzt­lich vom Stadtrat entschieden. Damit wäre die Stadt Zürich nach Bern eine Pionierin. Bereits heute verzichtet die Stadt in Formularen wenn möglich auf die verpflichtende Erhebung des Geschlechts. Anders sieht es beim Personenstandsregister aus. Das obliegt dem Bund, der weiterhin nur das weibliche und das männliche Geschlecht zur Wahl anbietet.

Im Ausland sind die Behörden schon weiter. In Deutschland gibt es seit drei Jahren die Möglichkeit, sich als «divers» zu bezeichnen. In Malta darf man seinen Kindern im Personenstandsregister ein «u» für «undetermined» zuweisen, bis sie 18 Jahre alt sind und ihr Geschlecht selber wählen. In den Niederlanden wird die Nennung des Geschlechts in Personalausweisen ab 2024 ganz weggelassen.

Bald im Duden?

Für Bürgerliche sind die nicht binären Pronomen ein No-Go. «Diese Sprache entspricht nicht der Realität», sagt Camille Lothe, Präsidentin der Jungen SVP Kanton Zürich. Bei 99 Prozent der Menschen könne man das Geschlecht anhand des Aussehens definieren, das sei eine Tatsache. Dass nun alles für eine winzige Minderheit umgekrempelt werde, sei übertrieben. Dieser Trend sei in einer kleinen urbanen und akademischen Bubble entstanden: «Auf der Baustelle fragt niemand nach dem Pronomen», sagt Lothe. Wenn die linken Jungparteien und die linke Stadt auf inklusive Sprache setzen wollten, könnten sie das tun, doch man könne nicht erwarten, dass die Allgemeinheit auf dieseFormulierungen umsteige. Umfragen hätten gezeigt, dass die Mehrheit Gendersprache ablehnt.

Lothe stört sich auch an den umständlichen sprachlichen Konstrukten. Befürworter meinen hingegen, dass Sprache bestimmt, wie wir die Realität sehen. Gleichbehandlung in der Sprache führe auch zu Gleichbehandlung in der Gesellschaft. Dass die Gralshüter der Sprache nichts dagegen haben, zeigt das französische Wörterbuch Petit Robert. Seit Anfang Jahr wird dort neben «elle» und «il» das dritte Geschlecht «iel» aufgeführt. Es ist wahrscheinlich, dass auch der deutsche Duden bald gendergerechte Schreibweisen aufnehmen wird.


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