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Viktoria Finnegans Mutter, Tatiana Butsenko, hat eine beschwerliche Reise auf sich genommen, bis sie zwei Wochen nach Kriegsbeginn am Flughafen Zürich angekommen war und ihre Tochter glücklich in die Arme schliessen konnte. Bild: PD

Ein erkämpftes Wiedersehen

Von: Clarissa Rohrbach

22. März 2022

Die Ukrainerin Viktoria Finnegan hat ihre Mutter aus der Kriegshölle in der Heimat gerettet. Nun hilft sie weiteren Flüchtlingen, die in Zürich gestrandet sind, eine Unterkunft zu finden. 

Die Bombe schlug mitten in der Nacht ein. Viktoria Finnegans Mutter war erschüttert. Ein Wohngebäude, nur eine Strasse von ihrer Wohnung in Kiew entfernt, lag in Asche. Viktoria Finnegan rief sie sofort an: «Du musst das Land verlassen.» Doch ihre Mutter Tatiana Butsenko (69) wollte nicht, sie habe alles in der Ukraine, ihr ganzes Leben.

Das war am 26. Februar, zwei Tage, nachdem der Angriff der russischen Truppen auf die Ukraine begann. Viktoria Finnegan sitzt nun in Altstetten im Büro der Hilfsorganisation Campax. Ihr Telefon klingelt im Minutentakt. Es sind ukrainische Flüchtlinge, die auf die Hotline anrufen. Sie haben viele Fragen: «Wie komme ich ins Bundesasylzentrum?», «Wie bekomme ich den Schutzstatus S?», «Wo kann ich übernachten?» Sie antwortet ruhig und verständnisvoll. Zusammen mit der Flüchtlingshilfe Schweiz vermittelt Campax Gastfamilien an die Ukrainer, damit jeder ein Dach über dem Kopf hat. 4400 Personen konnten bereits platziert werden. Einige würden zurückrufen, sobald sie eine Unterkunft gefunden hätten, und sich bedanken. «Sie sind dankbar, sie spüren, dass sie in dieser furchtbaren Krise nicht alleine sind», sagt die 40-Jährige.

Hilfe für die Heimat

Viktoria Finnegan hatte Glück im Unglück. Die ehemalige Mitarbeiterin der indonesischen Botschaft in Kiew befand sich über Weihnacht 2021 in Zürich, um mit Bekannten zu feiern. Sie vernahm aus diplomatischen Kreisen bereits im Januar, dass sich russische Panzer an der Grenze zur Ukraine befanden – bereit zum Einsatz. Also entschied sich die Ukrainerin, in der Schweiz zu bleiben. Und doch war es für sie ein Schock, als der Krieg wirklich begann. Es wurde ihr klar, dass sie alles zurücklassen musste: Job, Wohnung, Freunde. «Ich lebe von einem Tag zum anderen, ohne zu wissen, was morgen sein wird.» Nur eins wisse sie, sie wolle alles tun, um ihrem Heimatland zu helfen. Die an der Universität Kiew ausgebildete Transportwissenschaftlerin arbeitet viel, oft mehr als acht Stunden. Das hätten Ukrainer und Schweizer gemeinsam, sie seien fleissig.

Auch ihre Mutter benötigte Hilfe. Anfang März verschlechtert sich die Situation in Kiew von Tag zu Tag. Die Regierung verhängt Sperrstunden, in denen die Bewohner gezwungen sind, in Luftschutzräumen zu verharren. Panik macht sich breit, weil immer weniger Güter in den Läden vorhanden sind. Während jeden Tag in der Nähe Raketen einschlagen, wissen viele nicht, ob sie bleiben oder flüchten sollen. So auch Viktoria Finnegans Mutter, die erst, nachdem sie ihre Tochter mit Nachdruck bat, die Ukraine zu verlassen, in einen Bus Richtung Lwiw stieg. Um die Flucht zu organisieren, suchte sie tagelang nach Transportangeboten. «An den Bahnhöfen warten Tausende Frauen und Kinder, es ist schwierig, im Zug einen Platz zu finden.» Schliesslich stiess sie auf eine Hilfsorganisation, die Menschen aus Kiew evakuiert. Von Lwiw aus nahm Tatiana Butsenko den Bus nach Warschau. An der polnischen Grenze musste sie 24 Stunden lang warten. Sie bekam Suppe und Brot von Helfern. «Die Freiwilligen sind gut organisiert», erzählt Viktoria Finnegan, «die Hilfsbereitschaft ist enorm». Am 7. März kam ihre Mutter schliesslich mit einem Flug aus Warschau in Zürich an. Die Erleichterung war riesig.

Alles hinter sich lassen

Viktoria lebt nun mit ihrer Mutter bei ihren Zürcher Bekannten. Sie fühlen sich sicher, aber auch traurig. «Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht am liebsten nach Hause gehen würden.» Doch das käme für sie erst infrage, wenn Präsident Wolodymyr Selenskyj Flugverbotszonen aushandeln könne. Zurückgehen sei im Moment keine Option. Die Gefahr in ihrer Heimatstadt Kiew wächst zunehmend. Die Truppen unter der Führung von Bürgermeister Vitali Klitschko würden die Hauptstadt gut verteidigen, doch sei es beängstigend, wie ein Vorort nach dem anderen in die Hände der Russen falle.

Das Gefühl, dass man nicht wisse, wie es nun weitergeht, sei schwierig zu ertragen. Das merkt Viktoria Finnegan auch bei den Flüchtlingen, die sie jeweils am Telefon habe. «Man muss akzeptieren, dass man alles hinter sich lässt.» Um weiterzuleben und sich an die neue Realität zu gewöhnen, brauche es viel Kraft. «Der Geruch des Bombenrauchs liegt ihnen noch in der Nase, sie sind traumatisiert.» Ihre Weiterbildung als Psychologin hilft ihr, aufgebrachte Menschen zu beruhigen.

«Trotzdem wirken die Flüchtlinge auf mich gesammelt. Sobald sie von mir die Adressen erhalten, an die sie hinfahren müssen, sind sie erleichtert. Sie merken, dass in der Schweiz alles reibungslos abläuft, das gibt Sicherheit.»

Von den über drei Millionen geflüchteten Ukrainern haben seit Kriegsbeginn vor vier Wochen bereits 10'000 die Schweiz erreicht. Das Staatssekretariat für Migration rechnet mit mehreren 100'000 bis im Sommer.

Viktoria Finnegan hofft, dass sich die Ukraine und Russland einigen. Es gebe so viele Verwandte und Freunde, die aus den beiden Ländern stammen. «Wir müssen jetzt stark sein», sagt sie.

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