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Die Konzerte im X-tra waren immer wieder legendär: 2017 trat hier auch Bob Marleys Sohn Damian auf. Bild: X-tra

Ein Palast schliesst die Tore

Von: Jan Strobel

13. Oktober 2020

Für das junge Zürcher Kulturleben war es ein Schock, als vergangene Woche die Schliessung des Klub- und Konzertlokals X-tra im Kreis 5 bekannt wurde. Ende 2022 sollen die Betreiber nach 25 Jahren das Limmathaus verlassen. Für das Nachtleben in der Stadt leistete das X-tra Pionierarbeit. 

Das Zürcher Nachtleben, das sich ohnehin bereits im Krisenmodus befindet, ereilte vergangene Woche ein mittleres Beben, das vom Limmatplatz her die Szene erschütterte. Ausgerechnet das X-tra, jener legendäre Klub- und Konzertpalast, der die Musik- und Partylandschaft – und damit ein Stück Zürcher Kultur – seit den 1990er-Jahren massgeblich mitprägte, muss Ende 2022 das Limmathaus verlassen. Bereits im August war die Schliessung des Hotels X-tra aufgrund der Coronakrise bekannt geworden.

Die Stiftung Limmathaus als Eigentümerin der Liegenschaft möchte das denkmalgeschützte Gebäude ab Anfang 2023 umfassend sanieren. Als neuer Pächter soll danach die Impact Hub Zürich AG einziehen, die bereits mehrere so genannte «Co-Working-Spaces» für Start-ups in der Stadt betreibt, etwa im Viadukt oder im ehemaligen Unterwerk Selnau. Gemeinsam werde das Ziel verfolgt, hiess es in einer Medienmitteilung, «dem Haus und Zürich eine attraktive Perspektive zu eröffnen sowie der Gesellschaft einen Leuchtturm für die Zukunft im Zeichen von Arbeit, sozialer Vernetzung, Kultur und Nachhaltigkeit zur Verfügung zu stellen».

Die Stiftung Limmathaus gewährte der X-tra Production AG als Betreiberin des Klubs aufgrund des Corona-bedingten Ertragsausfalls eine Reduktion des Pachtzinses und verlängerte das Pachtverhältnis, das eigentlich bereits 2021 ausgelaufen wäre. Zudem können die Räumlichkeiten des Hotels bis zum Ende des Pachtvertragsverhältnisses alternativ genutzt werden. Die Betreiber möchten weiter für ein Limmathaus als Ort für Musik und Live-Konzerte kämpfen. Derzeit stehe aber ohnehin die Bewältigung der gegenwärtigen Krise im Vordergrund. Aktuell bleibt das X-tra für öffentliche Veranstaltungen grösstenteils bis auf Weiteres geschlossen. Die Hoffnung, bereits im September wieder grössere Konzerte durchführen zu können, erfüllte sich nicht.

Delikat und progressiv
Auch wenn die gegenwärtige Situation ihresgleichen sucht; für die Betreiber des X-tra sind Neuorientierungen keineswegs neu. Bereits im August 1995 hatte es einmal so ausgesehen, als ob die Party unwiderruflich vorbei sein könnte. Damals musste der Klub seinen Standort im Schoeller-Areal an der Hardturmstrasse räumen. Die alten Industriegebäude wurden abgerissen. Es war die Zeit, als sich das Gesicht von Zürich-West zu wandeln begann.

In diesen Jahren galt das X-tra als der «kulturelle Melting Pot» schlechthin, als einer der Fixpunkte der innovativen Untergrund-Szene. Hiphop und Rave eroberten von der Hardturmstrasse aus die Stadt. Die DJs legten «Detroit-Techno», «Acid», «Progressive House» oder «Jungle» auf. Internationale Konzeptkünstler bespielten den Raum. 1993 traten zum ersten Mal Rockbands aus dem kommunistischen China im Westen auf – auf der Bühne des X-tra. Als Experimentierfeld bot der Klub auch Raum für Provokantes, etwa mit der Porno-Ausstellung «More Pricks than Kicks», die ebenfalls 1993 stattfand, mit einem «Grabsch-Automaten» als besonders delikates Publikumserlebnis.

Entstanden war die X-tra Production AG um Gründer Jürg Burkhardt 1988 als Verein für kulturelle Kommunikation. Ein erstes Lokal betrieb er ab 1989 in Zürich-Witikon, bevor 1991 die Hardturmstrasse als Standort bezogen wurde. Als schliesslich das Aus an der Hardturmstrasse kam, bot sich nach längerer Suche mit dem markanten Limmathaus mitten im aufstrebenden Kreis 5 eine neue Chance. Dort stand der Genossenschaft Limmathaus, die Vorgängerin der heutigen Stiftung, das Wasser bis zum Hals. Sie hatte das Gebäude zu einem Kongresszentrum umgebaut, das sich aber als finanzielles Fiasko erwies. Dazu kam die Rezession und die Drogenszene, die sich im Quartier breit gemacht hatte. Die X-tra Production AG als Pächterin war deshalb ideal. Ein Tanz- und Konzertlokal erschien erfolgversprechend. Bedenken kamen lediglich von Anwohnern, die eine Zunahme der Lärmimmissionen fürchteten. Gleichwohl konnte am 1. November 1997 der neue Zürcher Partypalast seine Eröffnung feiern.

Institution im Grossformat
Aus dem einstigen Untergrundlokal war jetzt eine Institution im Grossformat geworden. Der grosse Saal, das «Palais», bot Platz für 1800  Gäste, dazukam das «Podium» als kleiner Saal und der «Salon» als «Chill-out-Lounge». Das Ensemble komplett machten das Restaurant mit Bar und das Hotel. Für Zürich war diese Verbindung von Nachtleben, Hotellerie und Gastronomie in dieser Grössenordnung einmalig.

Die Anlässe im X-tra gehörten bald auch jenseits der innvovativen Szene zu festen Terminen des Ausgangpublikums, besonders auch aus der Agglomeration. Funk-, Hiphop- oder Soul-Liebhaber tanzten jeweils jeden Montag an der «Cool Monday» in die Nacht, eine Partyreihe, die bereits seit 1994 im Programm stand. Die Gothic- und Wave-Szene wiederum fand an der legendären «More Than Mode» oder am «Schwarzen Ball» ihre Heimat. Schlagerfans strömten jeweils an die «Lollipop»-Party. Viele Jugendliche erlebten im X-tra damals ihre erste grosse Party überhaupt. Der Vergnügungstempel wurde zum Eckpfeiler, der ihr soziales Leben formte.

Zu sehen bekam das Publikum im «Palais» jetzt auch internationale Stars. Eminem, Iggy Pop, The Prodigy, Marilyn Manson, Kanye West,  Moby, Paul Kalkbrenner, Missy Elliott oder Snoop Dogg traten hier ebenso auf wie Rammstein oder die Fantastischen Vier, die im X-tra zum ersten Mal ausserhalb Deutschlands ein Konzert gaben.

Das alles wirkt aus der heutigen krisengetrübten Sicht wie aus einer anderen Ära. Dennoch muss das Aus für das X-tra nicht gleich das Ende der Musikkultur an dieser Adresse bedeuten. Die Stiftung Limmathaus hält es durchaus für vorstellbar, dass das X-tra auch in Zukunft Konzerte im neuen Haus veranstalten kann. Der grosse Saal soll erhalten bleiben.

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