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1994 entgleiste beim Bahnhof Affoltern ein Benzinzug. Der Stadtzürcher Berufsfeuerwehrmann Ruedi Walther war damals einer der Ersten am Unfallort.

Er ging für Zürich durchs Feuer

Von: Ginger Hebel

09. August 2022

Ruedi Walther arbeitete über 40 Jahre lang bei der Berufsfeuerwehr der Stadt Zürich. Er hat rund 16' 000 Einsätze absolviert. Freud, Leid, Ärger, alle Emotionen waren mit dabei. Über seine Erfahrungen und seinen Berufsstolz hat der Stadtzürcher ein Buch geschrieben.

Frontalkollision zwischen einem Lastwagen und einem Personenwagen. Zwei Personen, eingeklemmt. Hinten im Auto: schreiende, weinende Kinder. «Für mich verging eine gefühlte Ewigkeit, bis wir handeln konnten. Wir waren wie gelähmt. Es roch nach ausgelaufenem Motorenöl», erinnert sich der Stadtzürcher Berufsfeuerwehrmann Ruedi Walther. Vorsichtig hoben sie die Kleinen vom hinteren Sitz über die toten Eltern hinweg aus dem Auto. Dieser Einsatz ist mittlerweile 44 Jahre her. Vergessen hat ihn Ruedi Walther nie. «Manche Erlebnisse haben sich tief im Kopf eingebrannt. Diese Bilder bringt man nie mehr los.»

16 000 Einsätze

Ruedi Walther wuchs in Schwamendingen auf, wo er heute noch lebt. Er machte eine Lehre als Eisenbetonzeichner und bastelte in seiner Freizeit an Autos und Motorrädern. 1977 startete er seine Karriere bei der Berufsfeuerwehr der Stadt Zürich. Ein Job, der für ihn zur Berufung wurde. Mit über 42 Dienstjahren und 16 000 Einsätzen prägte er die Berufsfeuerwehr massgeblich mit. Über «Ein halbes Leben und etwas mehr» bei der Feuerwehr hat er jetzt zusammen mit Markus Marthaler ein Buch geschrieben, welches er selber finanziert hat. Er widmet es seinem Vater, der ebenfalls mit Stolz bei der Berufsfeuerwehr arbeitete, seiner Frau und seinem Sohn, aber auch allen Kolleginnen und Kollegen von Schutz & Rettung Stadt Zürich. «Ich durfte einen privilegierten Beruf ausüben. Freud, Leid, Ärger, alle Emotionen waren mit dabei», resümiert der 66-Jährige. Der Start bei der Berufsfeuerwehr war hart. «Ich musste mich durchsetzen gegen die pessimistischen Stimmen bezüglich Vater-­Sohn-Beziehung in der Feuerwehr», erzählt Ruedi Walther. Anfangs hatte er deswegen das Gefühl, sich mehr als alle anderen beweisen zu müssen. Nach herausfordernden Einsätzen haderte er oft, ob er es nicht hätte besser machen können.

Seine Karriere prägten folgenschwere Einsätze, die ihm alles Können abverlangten, wie im März 1994, als am Bahnhof Zürich-Affoltern ein Benzinzug entgleiste. Innert Sekunden standen 400 000 Liter Brennstoff in Flammen. «So eine Flammenhölle hatte ich nie zuvor erlebt.» Fünf Zisternenwagen explodierten, drei Menschen wurden schwer verletzt. Ruedi Walther war damals einer der Ersten am Unfallort, er fuhr das zweite Löschfahrzeug. «Die Hitze war extrem.» Benzin floss in die Kanalisation und explodierte. Menschen aus den benachbarten Häusern verloren ihr Hab und Gut. 150 bis 200 Personen standen im Einsatz. Mit vereinten Kräften kühlten sie die unbeschädigten Tankkessel, um weitere Explosionen zu verhindern.

Rauch ist das Problem

Im November 2007 ein weiterer verheerender Grossbrand. Am Limmatquai brannte das Zunfthaus zur Zimmerleuten nieder. Ruedi Walther sah, wie das historische Gebäude lichterloh brannte und sich die Flammen in der Limmat spiegelten. Der Einsatz verlief normal, bis die Meldung kam, dass ein Feuerwehrmann beim Einsturz des Dachstocks ums Leben kam. «Die Stimmung vor Ort änderte sich schlagartig. Wir mussten sofort neue Kollegen aufbieten, um die bestehende Mannschaft aus dem Einsatz herauszulösen», erinnert sich Ruedi Walther. Erstmals in der Geschichte der Berufsfeuerwehr Zürich kam ein Feuerwehrmann ums Leben. Dieses düstere Ereignis habe das ganze Team sehr lange beschäftigt. «Es ging ein Ruck durch die Mannschaft. Uns allen wurde wieder einmal klar: Wir sind keine Helden, es kann jedem von uns passieren.» Ruedi Walther hat viele Brände miterlebt, auch Wohnungs- und Küchenbrände. «Das Problem ist oft nicht nur das Feuer, sondern der Rauch, die toxischen Gase. Die meisten Opfer ersticken.» Als Vorsichtsmassnahme hat er auch daheim immer eine Löschdecke parat. «Das Wichtigste ist aber, sich immer selber zu schützen und in Sicherheit zu bringen.»

In den letzten Jahren seien grosse Brände in der Stadt Zürich immer weniger geworden, auch dank der baulichen und feuerpolizeilichen Vorschriften. Auch die Ausrüstung der Feuerwehrleute habe sich markant verbessert. «Früher trugen wir plastifizierte Feuerwehrjacken und Baumwollhosen, so etwas wäre heute unvorstellbar.»

Katzen auf den Bäumen

Ruedi Walther beschreibt in seinem Buch viele lustige und witzige Momente auf der Wache, den familiä­ren Zusammenhalt in der Dienstgruppe und alltägliche Einsätze wie Katzenrettungen vom Baum, aber auch die Trainings im Brandhaus, wo sie immer wieder den Ernstfall probten und schwierige Situationen durchspielten. Er erläutert aber auch den gesellschaftlichen Wandel bei der Berufsfeuerwehr, die dieses Jahr ihren 100. Geburtstag feiert. «Unsere Berufsgattung verfügte lange Zeit über ein klares Frauenbild und machte keinen Hehl daraus, dass Frauen bei der Feuerwehr nichts zu suchen hatten. Heute ist das überhaupt kein Thema mehr. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Feuerwehrfrauen unser Berufsbild, aber auch die einzelnen Dienstgruppen bereichern», sagt Ruedi Walther.

Störende Sensationslust

1992 wurde er zum Wachtmeister befördert. Er hatte sich vorgenommen, ein anderer Vorgesetzter zu sein, als er es erlebt hatte. «Früher hatten bei uns die Wachtmeister das Sagen. Ihr Wort war Gesetz. Widerspruch zog unweigerlich Konsequenzen nach sich.» Durch das neue Schichtmodell arbeitete Ruedi Walther 24 Stunden und hatte danach 48 Stunden Pause, was ihm mehr Flexibilität in der Freizeit ermöglichte, die er für Fussball und Eishockey und seine Familie nutzte. Mit seiner Frau gönnte er sich Ferien in Asien und machte Kreuzfahrten. Sein Sohn bewarb sich erfolgreich bei der Stadtpolizei. Ruedi Walther arbeitete später als Ausbildungsverantwortlicher in der Wache Süd und als Einsatzleiter. Dabei fiel ihm auf, wie sich die Haltung gegenüber helfenden Personen verändert hat. «Auf Blaulichtfahrten zeigte man uns wegen des Lärmpegels der Sirenen den Mittelfinger oder liess spontan die Hosen runter. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.» Auch sei es vor Jahren noch undenkbar gewesen, dass die Polizei bei Einsätzen Rettungssanitäter und Feuerwehrleute vor aufgebrachten Schaulustigen schützen muss. «Die Gewaltbereitschaft, aber auch die Sensationslust stellt manchmal grosse Probleme dar.» Auch der zunehmende Verkehr sei eine Herausforderung. «Es wird für unsere Einsatzkräfte immer schwieriger, schnell ans Ziel zu kommen.»

Die Veränderungen innerhalb von Schutz & Rettung und die zunehmende Büroarbeit fesselte ihn immer mehr an den Schreibtisch. Einsätze wurden immer seltener, die Distanz zur Mannschaft grösser. Nach 42 Jahren und 11 Monaten hing Ruedi Walther seine Uniform an den Nagel. Der Vergangenheit trauert er nicht nach, auch wenn er sehr gerne an die Zeit bei der Berufsfeuerwehr zurückdenkt. «Ich bin nicht abgebrüht. Erinnerungen, Gerüche und Bilder kommen zwischendurch immer wieder hoch.» Er ist überzeugt: «Uns Feuerwehrleute verbindet der Berufsstolz. Wir lieben, was wir tun. Und wir geben unser Bestes, mit allen Risiken und lauernden Gefahren.»

Weitere Informationen: «Ein halbes Leben und etwas mehr» Ein Leben für die Feuerwehr – Ruedi Walther, Berufsfeuerwehrmann, bestellbar für 25 Franken (5 Franken zu Gunsten Stiftung Sternschnuppe)
über ruwa@bluewin.ch oder www.marthaler.blog

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