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Wenn Kinder machen, was sie wollen, sind Eltern oft verzweifelt. «Unser Angebot ist anonym, das wird geschätzt», sagt Berater Matthias Gysel (kl. Foto) vom Elternnotruf.

Familien sind gefordert - und immer häufiger überfordert

Von: Ginger Hebel

10. Januar 2023

Der Elternnotruf in Zürich ist seit 40 Jahren die Fachstelle für aktuelle Belastungen in Erziehungssituationen. Berater Matthias Gysel stellt fest: «Viele Eltern sind gestresst und suchen Hilfe.»

4185 Mal griffen Mütter und Väter letztes Jahr zum Hörer und suchten Rat beim Elternnotruf in Zürich. Ein Gespräch dauert im Schnitt 24 Minuten. Neu finden auch Chat-Beratungen statt, weil sie den schnellen und niederschwelligen Austausch ermöglichen. «Viele Eltern sind gestresst und suchen Hilfe», sagt Matthias Gysel, Berater beim Elternnotruf. Meist seien es Mütter, die professionellen Rat suchen, aber auch immer mehr Väter überwinden ihre Scham und kontaktieren den Elternnotruf, um Lösungen für ihre Probleme zu finden. «Das Angebot ist auf Wunsch anonym, das wird geschätzt», betont Gysel. Wer persönlich reden möchte, kann vor Ort in Zürich vorbeikommen, mit oder ohne Kinder.

Während viele Kliniken und Praxen ausgelastet sind, ermöglicht der Elternnotruf in der Regel Termine innerhalb von zwei Wochen. Der Elternnotruf ist seit 40 Jahren die Fachstelle für aktuelle Belastungen in Erziehungssituationen. Die Auswirkungen der Pandemie würden jetzt erst richtig spürbar, auch die weltpolitische Situation führe zu grösserer Verunsicherung und Ängsten. «Familien sind gefordert – und immer häufiger überfordert», beobachtet Matthias Gysel. Die Folgen: Aus Überforderung entsteht oft Ohnmacht und Resignation. «Dadurch kann die Beziehung zum Kind verloren gehen.»

Regelmässig organisiert der Elternnotruf Kurse und ermöglicht somit den Austausch unter Eltern, was bei ihnen auf grosses Interesse stösst. In der beliebten Gruppe «Neue Autorität» beispielsweise geht es nicht darum, als Eltern alles zu bestimmen und die Kinder zu unterdrücken, sondern durch Beziehung Präsenz zu zeigen sowie standhaft und beharrlich zu bleiben.

Unnötiger Machtkampf

Immer wieder melden sich Eltern, die sich machtlos fühlen, weil ihre pubertierenden Teenager gamen, so lange sie wollen, und überhaupt machen, was sie wollen. «Viele Eltern tragen mit ihren Kindern einen Machtkampf aus. Doch es geht in der Erziehung nicht darum, zu gewinnen», betont Gysel. Wenn Emotionen hochkochen, sind normale Gespräche nicht möglich, Streit eskaliert. «Es ist ratsam, zu warten, bis sich alle beruhigt haben, und dann gemeinsam nach Lösungen zu suchen.» Warum gamt der Teenager nur noch, anstatt Freunde zu treffen? Welche Bedürfnisse und Gefühle stecken dahinter? Sucht er Zuwendung, Bestätigung? «Diese Fragen gilt es zu klären. Das heisst, dranbleiben und im Gespräch und in Beziehung mit dem Kind bleiben.»

Da ist die Mutter, die sich sorgt, weil die Tochter Gemüse verweigert. Matthias Gysel ist selber Vater zweier inzwischen erwachsener Söhne und erinnert sich daran, wie sein Bub damals eine Zeit lang nur Pasta ass. Er beruhigt die Mutter. Es ist eine Phase. Sie geht vorbei. Die nächste Anruferin ist erschöpft, weil ihr Kleinkind schlimme Wutanfälle hat und in der Öffentlichkeit schreit. Und im Winter keine Jacke anziehen will. Die Mutter verliert jeden Tag ein bisschen mehr die Geduld. Gysel rät: Dann verzichten Sie für einmal auf die Jacke. Das Kind wird frieren, wenn es draussen ist, und die Jacke von selber wieder verlangen. Manchmal koste es nur unnötige Energie, den elterlichen Willen durchzusetzen. «Kinder sollen auch ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen.» Der Elternnotruf berät auch gewaltbetroffene Eltern, die von ihren Sprösslingen beleidigt oder geschlagen werden. Fachpersonen befähigen die Eltern, aus dieser familiären Gewaltspirale auszusteigen.

Regelmässig hat Gysel eine Familie am Telefon, die jeden Morgen einen Streit austrägt, weil die Jungs nicht in die Schule wollen. Darum kommen auch die Eltern zu spät zur Arbeit. Gysel rät, zu überlegen, wie sich der Morgen anders strukturieren lasse. «Beziehen Sie die Kinder mit ein. Sie sind kreativ und haben tolle Ideen.» Bei Problemen in der Familie fokussieren sich viele nur noch auf das Schlechte. «Viel besser: Betonen, was gut läuft, und mit dem Kind auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Klappt es eine Woche lang gut, darf sich abwechselnd ein Familienmitglied einen gemeinsamen Ausflug wünschen.»

Und wenn der Geduldsfaden reisst und es laut wird? Matthias Gysel: «Heftige Emotionen gehören dazu, es ist aber wichtig, dass sich Eltern bei den Kindern dafür entschuldigen, wenn sie sich nicht im Griff haben. Eltern tragen die Verantwortung für ihre Gefühle.»

Weitere Informationen: Elternnotruf, Weinbergstrasse 135 0848 35 45 55 (Festnetztarif)

www.elternnotruf.ch

 

 

 

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