mobile Navigation

News

Gelegenheit macht Diebe

Von: Isabella Seemann

24. Dezember 2018

Eine drogenabhängige Frau schlich sich unbemerkt in offene Häuser und stahl bei sechs Beutezügen Gegenstände im Wert von 20 000 Franken – gemäss Angaben der Geschädigten.

Kaum im geheizten Gerichtssaal, zieht sie ihren gelben Strickpullover über den Kopf und verheddert sich beim Versuch, das Tageslicht wiederzufinden. Wüste Worte fallen. Sie wirken nicht aggressiv. Eher, als ob eine Schiffbrüchige wild mit einer Flagge fuchtelt: «Hilfe, hier bin ich!»

Jacqueline P.* ist angeklagt wegen Einbruchdiebstahls. Nicht zum ersten Mal, wie der Richter beim Vorlesen des Vorstrafenregisters untermauert. Einmal erhielt sie wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe, die mit der Auflage einer therapeutischen Massnahme verbunden war. «Dort habe ich meine Teilnahmepflicht erfüllt, aber nicht innerlich teilgenommen», räumt Jacqueline ein. 

Der richterliche Versuch, das chaotische Leben der 41-Jährigen zu ordnen, scheitert – als hätte ein Windstoss die losen Akten durcheinandergewirbelt. Da ist von einem tyrannischen Vater die Rede und einer alkoholsüchtigen Mutter, von gekündigten Wohnungen und Jobs, von Aufenthalten in Heimen, psychiatrischen Anstalten und Kliniken. «Irgendwann brachte ein Freund Heroin mit, und ich probierte es aus», wirft sie ein. «Mir war sowieso alles verleidet.»

Seit längerem bekommt sie das Ersatzmittel Methadon, fixt aber trotzdem noch regelmässig. Warum sie denn wieder so viele Delikte begangen habe, wo sie doch eine IV-Rente beziehe, will der Richter wissen. «Es ist halt einfach passiert», rechtfertigt sie ihre Beutezüge. 

Geld für neuen Stoff

Auf Spaziergängen durch die Stadt habe sie manchmal spontan auf die Klingel gedrückt, irgendeinen Frauennamen in die Gegensprechanlage gemurmelt, und schon surrte der Türöffner. Manche Haustüren standen bereits offen, und wenn sie in ein Haus gelangt sei, habe sie einfach alle Klinken gedrückt, und wo sich die Tür öffnete, packte sie ein, was in Reichweite lag. Unbemerkt von den anwesenden Bewohnern. Das Geld brauchte sie für den Stoff, die einen Sachen für sich selbst, oder sie habe das Zeug einfach gegen Drogen getauscht und fertig.

Minutiös listet die Anklageschrift die Beute der sechs Einbrüche auf: Kopfhörer im Wert von knapp 300 Franken, eine Handtasche mitsamt Inhalt, zwei Smartphones, ein Tablet, eine Sonnenbrille Marke Gucci, ein Wollmantel, Schmuck und so weiter und so fort. Summa summarum machten die Geschädigten eine Deliktsumme von 20 000 Franken geltend. Die will Jacquelines Verteidigerin aber nicht auf ihrer Mandantin sitzen lassen. «Frau P. war immer allein und zu Fuss unterwegs. Also kann sie unmöglich zwei Kisten Wein und mehr abtransportiert haben, wie es ein Büro angab.» Sie spricht von höchstens 10 000 Franken. 

Angesichts der offenkundigen Nutzlosigkeit der bisherigen Geldbussen und Strafen fragt der Richter ratlos: «Was machen wir mit Ihnen?» Jacqueline zuckt müde die Schultern: «Mir wurscht.» Die Staatsanwaltschaft fordert 15 Monate hinter Gittern; die Verteidigerin plädiert auf sechs Monate bedingt. «Was bringt es der Gesellschaft, wenn man Frau P. ins Gefängnis steckt?», fragt sie mehr rhetorisch. «Das kostet viel, aber es besteht keine Aussicht auf Resozialisierung.»

Der Richter rechnet es Jacqueline an, dass sie nie Menschen bedrohte und «ein leichter Fall von Beschaffungskriminalität» sei. Er billigt ihr zudem eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zu, korrigiert die Deliktbeträge der Anklage nach unten und verurteilt sie zu 6 Monaten Gefängnis unbedingt. «Wir hoffen», so fügt er ohne grosse Euphorie bei, «dass Sie Ihre Zukunft nach der Haftentlassung ohne Drogen und Diebstähle gestalten.»

* Persönliche Angaben geändert.

zurück zu News

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare