mobile Navigation

News

Ideen von starken Kindern für starke Eltern: Die Präventionskampagne von Kinderschutz Schweiz zeigt Wirkung. Viele Eltern hinterfragen ihr Erziehungsverhalten. Dennoch schlagen immer noch viele zu. Bild: Kinderschutz

Gewalt ist Alltag

Von: Ginger Hebel

03. November 2020

Eine neue Studie zeigt: Jedes 20. Kind wird zu Hause körperlich bestraft. Jüngere Kinder sind am häufigsten von Gewalt betroffen. 

Das Kind trotzt, weint und schreit. Die Eltern sind genervt, der Geduldsfaden reisst, die Hand rutscht aus. Gewalt ist in vielen Schweizer Familien Alltag. Kinderschutz Schweiz macht die Problematik öffentlich. Die brandneue Studie zeigt auf: Jedes 20. Kind wird zu Hause körperlich bestraft. Durchschnittlich gibt es in jeder Schulklasse ein Kind, welches Gewalt erfährt, auch psychische.

ie Auswertung macht deutlich: Jüngere Kinder sind öfter von Körperstrafen betroffen als ältere. Auch die Eltern, die Gewalt ausüben, sind oft jüngeren Alters und leben häufiger in unglücklichen Beziehungen. Oft war ihre eigene Kindheit ebenfalls von Gewalt geprägt. «Eltern kleiner Kinder sind aufgrund der veränderten Umstände schneller gereizt», sagt Yvonne Feri, Nationalrätin und Stiftungspräsidentin von Kinderschutz Schweiz. Nach der Geburt eines Kindes kämen häufig mehrere Stressfaktoren zusammen. «Die Zufriedenheit in der Partnerschaft und in der Sexualität sinkt, hinzukommen Schlafmangel und bei Müttern oft die Isolation daheim alleine mit dem Kind», sagt Yvonne Feri. Als ehemals alleinerziehende und berufstätige Mutter zweier mittlerweile erwachsener Töchter liegt ihr das Thema Erziehung besonders am Herzen. «Es kann nicht sein, dass Kinder Gewalt erfahren, egal, in welcher Lebenslage sich die Erziehenden befinden.»

Zeichen von Überforderung

Die Studie macht deutlich: Regelmässig Gewalt ausübende Eltern beurteilen Erziehungsziele wie Anpassungsfähigkeit, Ordentlichkeit und Fleiss bedeutend wichtiger als andere Eltern. Sie möchten mit ihrer Erziehung bei den Kindern ein hohes Selbstbewusstsein und Neugierde erreichen. Väter legen mehr Wert auf einen guten Bildungsstand und Bescheidenheit. Mütter hingegen finden echte Gefühle, Fähigkeitsentfaltung und ein gutes Selbstvertrauen wichtiger. In der Deutschschweiz setzen Eltern weniger auf Angepasstheit und Verhaltenskontrolle als in der Romandie und dem Tessin.

«Körperliche und psychische Gewalt an Kindern ist meist ein Zeichen von Überforderung», sagt Georg Staubli, Chefarzt und Leiter der Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle des Kinderspitals Zürich. Sie behandeln jedes Jahr zwischen 450 und 550 Fälle. Es komme selten vor, dass Eltern zugeben, ihr Kind geschlagen zu haben. «Wenn sie jedoch darüber reden, kann ihnen auch geholfen werden, da sie dann erkennen, dass Gewalt keine Lösung ist», sagt Staubli. In der Realität sei es häufiger, dass Gewalt entweder durch Verletzungen am Kind, durch Aussagen der Kinder oder durch Verhaltensauffälligkeiten sichtbar werde. Viele betroffene Kinder zeigen aggressives Verhalten, ziehen sich zurück oder sind traurig bis hin zu Entwicklungsstörungen. «Je näher die Person dem Kind ist und je öfters ein Kind Gewalt erlebt, desto stärker sind normalerweise die Folgen. Manche entwickeln auch psychosomatische Symptome wie Bauch- und Kopfschmerzen oder erneutes Einnässen», so Georg Staubli.

Auch die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf das Familienleben. «Die aktuelle Situation ist sehr belastend. Viele Familien leiden unter Existenzängsten. Was vorher noch einigermassen geklappt hat, wird fragil», erklärt Yvonne Feri. Seit 2017 wird die Präventionskampagne «Starke Ideen – es gibt immer eine Alternative zur Gewalt» wissenschaftlich begleitet. Die Resultate der aktuellen Studie weisen bei körperlicher wie auch psychischer Gewalt einen leichten Rückgang auf. «Das ist zwar gut, aber nicht gut genug. Wir werden uns weiterhin für eine gewaltfreie Erziehung starkmachen», betont Regula Bernhard Hug, Leiterin Geschäftsstelle Kinderschutz Schweiz.

Die Befragung zeigt, dass die Kampagne viele Eltern angesprochen hat. Sie haben daraufhin ihr Erziehungsverhalten hinterfragt und versucht, es zu ändern. Kinderschutz Schweiz setzt sich dafür ein, dass alle Kinder gewaltfrei aufwachsen können. «Wir fordern eine gesetzliche Verankerung einer gewaltfreien Erziehung», sagt Nationalrätin Yvonne Feri.

Weitere Informationen:

www.kinderschutzgruppe.ch

www.kinderschutz.ch

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

zurück zu News

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
4.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare