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Ein Ort, der Theatergeschichte schrieb: der historische Pfauensaal des Schauspielhauses Zürich. Bild: Baugeschichtliches Archiv Zürich

Gräben in der Kulturszene

Von: Jan Strobel

18. Februar 2021

Der Plan, den historischen Pfauensaal abzureissen und zu ersetzen, entfacht in der Zürcher Kulturszene eine heftige Kontroverse. Der Kampf für oder wider einen Abriss wird mitunter emotional geführt.

Es ist eine Debatte, in welcher mit martialischen, emotionsgeladenen Begriffen nicht gespart wird. Die Rede ist von «Denkverboten» und von einem neuen «Kulturkampf».  Was die verschiedenen Lager zu ihrem Aktionismus treibt, sind die Pläne des Stadtrats und des Schauspielhauses, den historischen Pfauensaal im Zug der Instandsetzung und Modernisierung der Liegenschaft am Heimplatz vollständig zu ersetzen. Zusätzlich sollen auch die Bühne und das Foyer neu gebaut werden. Nur so könne ein künstlerischer und betrieblicher Erfolg des Pfauen langfristig ermöglicht werden. Der Pfauen entspreche bei weitem nicht mehr den heutigen und künftigen Bedürfnissen des Publikums. Die Bühnensituation sei veraltet und lasse moderne Inszenierungsformen nur schlecht zu. Der technische Betrieb gestalte sich überdies aufgrund der engen Nebenbühne sehr umständlich. Für die Zuschauer seien die Sicht auf die Bühne, die Akustik, das Raumklima sowie die Aufenthaltsqualität und die Situation im Foyer nicht ideal. Die Pläne hatte der Stadtrat bereits 2018 präsentiert.

Die Zürcher Sektion des Schweizer Heimatschutzes rekurrierte allerdings gegen den Entscheid, den Pfauensaal abzureissen. Der Gemeinderat verlangte zudem die Ausarbeitung alternativer Varianten, bei denen der Saal erhalten bliebe. Der Stadtrat und das Schauspielhaus hielten letzten November nach Prüfung aller Varianten an einem Neubau fest.

DNA nicht zerstören
Der Zürcher Heimatschutz veröffentlichte daraufhin zusammen mit prominenten Künstlerinnen und Künstlern einen Protestaufruf für den Erhalt der historischen Bausubstanz. Ein Totalabriss sei künstlerisch nicht zu vertreten. Die Gruppe widerspricht der Behauptung, der Theaterraum am Pfauen sei für Aufführungen zeitgemässer Produktionen auf höchstem Niveau nicht mehr geeignet. Zudem werde mit einem Abriss ein wichtiger Erinnerungsort an den Widerstand gegen die Nazidiktatur während des Zweiten Weltkriegs zerstört. Zusätzlich lancierten Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer der Denkmalpflege, Baugeschichte, Architektur- und Kunstgeschichte eine Petition, in welcher sie die Bemühungen des Heimatschutzes unterstützen.

Jetzt hat sich zusätzlich noch ein überparteiliches Komitee «Rettet den Pfauen» in den Kampf gegen einen Abriss eingeschaltet und eine weitere Petition lanciert. Hinter dem Komitee stehen der Werber Peter Lesch, Grafiker und SP-Urgestein Bruno Kammerer, Martin Fueter, der langjährige Chef der Produktionsfirma Condor, sowie Journalist und Verleger Matthias Ackeret.

«Es ist doch irrig, dass man einen Theatersaal mit solcher Tradition – ein Exiltheater während des Zweiten Weltkriegs, Premierenort von Brecht, Frisch und Dürrenmatt – einfach dem Baggerzahn opfern will», sagt Matthias Ackeret. Dies zeuge von grosser Geschichtsvergessenheit. Dass jetzt gleich mehrere Petitionen für den Erhalt des Pfauensaals lanciert wurden, empfindet Ackeret als äusserst positiv: «Es ist der beste Beweis, dass viele Bevölkerungsschichten mit den stadträtlichen Plänen unzufrieden sind», zeigt er sich überzeugt. Der Zürcher Heimatschutz habe schon früh gegen einen Abriss opponiert. «Bekannte Autoren wie Charles Lewinsky oder Thomas Hürlimann haben dort unterschrieben. Namhafte ETH-Architektinnen und Architekten wie auch ihre ausländischen Fachkolleginnen und Kollegen wehren sich mit einer eigenen Liste gegen den Abriss.»

Wenn schon ein Umbau, argumentiert das Komitee, dann einer, der die DNA des Saals nicht zerstöre. Und das laufe auf deren Erhalt heraus. Zudem sei mit der Schauspielhaus-Dependance im Schiffbau vor genau zwanzig Jahren bereits ein modernes Theater eröffnet worden. Warum es jetzt ein zweites brauche, sei völlig unklar. Ein neues Gebäude garantiere kein besseres Theater, sowenig wie ein neues Stadion ein Garant für besseren Fussball sei. Zu den Unterstützern dieser Petition zählen unter anderen Schriftsteller Martin Walser, Gerd Leo Kuck, der ehemalige Intendant des Schauspielhauses, Publizist Peter Hartmeier oder Hanna Scheuring, die Direktorin des Bernhard-Theaters.

Appell ans Parlament

Trotz dieses breiten Widerstands gibt es allerdings auf der anderen Seite vor allem auch aus der Kultur- und Theaterszene Zustimmung für die Pläne des Stadtrats und des Schauspielhauses. Sie manifestiert sich im Aufruf «Pfauen mit Zukunft». Hinter der Initiative steht der Verwaltungsrat der Schauspielhaus Zürich AG. Zu den Erstunterzeichnenden gehören unter anderen Schriftstellerin Sibylle Berg, Autor Roger de Weck, Komiker Viktor Giacobbo, Kurator Martin Heller oder Historiker Georg Kreis.

Die Petition richtet sich in einem Appell an den Zürcher Gemeinderat. «Wir wehren uns gegen die Verurteilung, über einen Neubau des Theatersaals nur schon nachzudenken», so die Unterzeichnenden. Die umfassenden Grundlagen und Argumente, die Fachleute in rund zehn Jahren Arbeit zusammengetragen hätten, sollten gehört und sorgfältig geprüft werden. Das Schauspielhaus kämpfe am Pfauen mit wachsenden Problemen, was die Bedürfnisse des Publikums, der Künstler und der Mitarbeitenden betreffe. Das Haus brauche deshalb langfristige Perspektiven und gute Arbeitsbedingungen. Ob diese Zukunft mit einem Erhalt des Saals oder nur mit einem Neubau verwirklicht werden könne, darüber müsse sachlich und ohne «Denkverbote» diskutiert werden.

Die Diskussion entzündet sich auch an der Frage, was einen Erinnerungsort eigentlich ausmacht. Für die Befürworter der Abrisspläne ist er nicht an die Bausubstanz des Originalsaals gebunden, sondern er könne auch anders vermittelt werden. Einer Erhaltung des Saals um jeden Preis hafte mitunter etwas Museales an. Matthias Ackeret vom Komitee «Rettet den Pfauen» lässt diesen Einwand nicht gelten. «Es käme in Berlin auch niemandem in den Sinn, das geschichtsträchtige Berliner Ensemble abzureissen – oder in Mailand die Scala», sagt er.

Um die Frage der Erinnerungskultur zu klären, liess die Stadt einen interdisziplinären Dialog zum Thema «Erinnerungsort Pfauen» durchführen. Historiker und weitere Experten wurden dazu befragt und zu einem Austausch eingeladen. Dabei sei klar geworden, so der Stadtrat, dass der Erhalt der Bausubstanz weniger ausschlaggebend sei für die Pflege der bedeutsamen Vergangenheit als eine aktive Vermittlung. Diese aktive Vermittlung des Erinnerungsorts werde als verbindliche Aufgabenstellung in den Architekturwettbewerb aufgenommen und integraler Bestandteil des zukünftigen Bauprojekts sein.

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