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Die Pandemie macht viele Menschen dünnhäutig. Getrennt lebende Eltern streiten sich vermehrt härter ums Besuchsrecht. «Darunter leiden besonders die Kinder», sagt der Stadtzürcher KESB-Präsident Michael Allgäuer (Bild unten). Bildhinweis: Adobe Stock

Harter Elternstreit ums Kind

Von: Ginger Hebel

29. Juni 2021

Besuchsrecht: Getrennt lebende Eltern streiten sich in der Corona-Krise häufiger ums Umgangs- und Besuchsrecht und tragen Konflikte härter aus. Darunter leiden vor allem Kinder und Jugendliche. KESB-Präsident Michael Allgäuer ist überzeugt: «Die Pandemie hat auf verletzliche Personen einen starken Einfluss.» 

 

Wenn Eltern streiten, sind es meist die Kinder, die besonders darunter leiden. Sie sind hin- und hergerissen zwischen Mami und Papi. «Die Pandemie hat Spuren hinterlassen», sagt Michael Allgäuer, Präsident Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Stadt Zürich. Unter getrennt lebenden Eltern hätten sich die Konflikte ums Besuchsrecht nach dem Lockdown verschärft. «Bedingt durch die vielen Unsicherheiten, waren die Auseinandersetzungen oft heftig und anspruchsvoll», resümiert Michael Allgäuer. Durch die Streitereien verschlechtert sich oft auch die Beziehung zum eigenen Kind.

 

Schlichten und reden

Der Lockdown warf die 14-jährige Sekschülerin Larissa* aus der Bahn (*Name geändert / Fallbeispiel). Ihre Eltern leben getrennt. Sie wohnt hauptsächlich bei der Mutter, aber auch zum Vater hat sie regelmässig Kontakt. Das Verhältnis zwischen Eltern und Teenager ist angespannt. Larissa bekam immer mehr Probleme in der Schule, ihre Leistungen verschlechterten sich, sie störte den Unterricht. Die Schulleitung suchte das Gespräch mit den Eltern. Doch die Zusammenarbeit erwies sich als schwierig. Deshalb wandte sich die Schule an die Sozialarbeiterin. Nach mehreren Gesprächen schlug diese externes Wohnen vor. Darauf wollten sich Larissas Eltern aber nicht einlassen. Die Situation eskalierte, als Larissa mal wieder Streit mit ihrer Mutter hatte. Anstatt das Wochenende beim Vater zu verbringen, riss sie aus. Es dauerte vier Tage, bis die Polizei sie fand. Da Larissa nicht mehr zu ihren Eltern zurückwollte, stellte die Sozialarbeiterin bei der KESB einen Antrag für Platzierung in einem Jugendheim. Die Mutter erzählt, dass sie den Draht zur Tochter während des Lockdowns verloren habe, sie ihr regelrecht entglitten sei. Zudem hätten Larissas neue Kolleginnen einen schlechten Einfluss auf sie. Auch aus dem Heim haut sie immer wieder ab. Sie hat keinen Bock auf Schule. Die Beiständin, aber auch KESB-Präsident Michael Allgäuer stehen mit ihr in Kontakt und versuchen ihr klarzumachen, wie wichtig ein Schulabschluss für die Zukunft sei.

Im vergangenen Jahr hat die KESB 73 Minderjährige in externen Institutionen oder Pflegefamilien platziert – zwölf mehr als im Vorjahr.

Mehr Schutzmassnahmen

Die KESB hat den Auftrag, Kinder und Erwachsene zu schützen und zu unterstützen, wenn sie selbst oder ihre Familien dazu nicht mehr in der Lage sind und andere Betreuungs- und Unterstützungsangebote nicht greifen. Die Anzahl Gefährdungsmeldungen stieg letztes Jahr leicht auf 1783. Total wurden 460 Kindesschutzmassnahmen angeordnet, 78 mehr als im Vorjahr. Sie werden ergriffen, wenn eine Gefährdung des Kindswohls vorliegt. Als mildeste Massnahme kann die KESB die Eltern oder das Kind ermahnen oder Weisungen erteilen. Sie darf aber auch eine Fachperson bestimmen, welche die Eltern bei Konflikten ums Besuchsrecht berät und beaufsichtigt. Oder dem Kind einen Beistand zur Seite stellen, der das Entscheidungsrecht der Eltern – falls erforderlich – einschränken kann. Die KESB sei konsequent bemüht, mit den Betroffenen Lösungen auf freiwilliger Basis zu finden und auf behördliche Massnahmen zu verzichten.

«Kinder brauchen Halt»

Der deutliche Anstieg bei der Neuanordnung von Kindesschutzmassnahmen ist gemäss KESB- Präsident zu relativieren. Es habe bereits in früheren Jahren starke Schwankungen gegeben, auch sei die minderjährige Wohnbevölkerung gewachsen. Wie weit die Zunahme auf Corona zurückzuführen sei, bleibe daher unklar. «Die aktuelle Situation hat negative Auswirkungen bei schwierigen Familienkonstellationen aber definitiv beschleunigt», sagt Allgäuer. Die Corona-Schutzmassnahmen, aber auch die Angst vor einer Erkrankung oder sozialer Isolation haben gemäss KESB einen besonders starken Einfluss auf verletzliche Menschen.

In einem Fall war eine Mutter berufshalber oft im Ausland unterwegs. Der Vater, der das Kind mehrheitlich betreute, sah darin eine Gefahr und verweigerte der Mutter den Kontakt zum Kind, worauf es zum Streit kam. Allgäuer ist überzeugt: «Viele Paare hätten sich auch ohne Corona gestritten». Oft jedoch habe die Pandemiegefahr als (Schein)-Argument herhalten müssen, um dem anderen Elternteil das Besuchsrecht vorzuenthalten.

Früher lebten Trennungskinder mehrheitlich bei der Mutter, «heute teilen sich viele Eltern die Obhut, weil sich moderne Väter mehr in der Kinderbetreuung engagieren», sagt Allgäuer. Das höchste Ziel der KESB in der Krise: dem Kind den Kontakt zu beiden Elternteilen sicherzustellen. «In schwierigen Situationen brauchen Kinder erst recht Rhythmus und Kontinuität. Das gibt ihnen den Halt, den sie brauchen.»

Weitere Informationen: www.stadt-zuerich.ch/kesb

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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