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Bestimmen den Tierbestand in ihren Zoos: Severin Dressen (Direktor Zoo Zürich, l.) und Kurt Müller (Kurator Knies Kinderzoo) vor der Lewa-Savanne im Zoo Zürich. Bild: Enzo Lopardo

Hartes Auswahlverfahren für einen Platz im Zoo

Von: Sacha Beuth

28. März 2023

Tiergärten haben unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen. Das hat teilweise auch Einfluss auf die Wahl der gezeigten Arten. Severin Dressen, Direktor des Zoo Zürich, und Kurt Müller, Kurator von Knies Kinderzoo, erklären, nach welchen Kriterien sie dabei ihre Auswahl treffen.

Elefant, Tiger, Löwe, Giraffe oder Nashorn gehören ohne Zweifel zu den beliebtesten Tieren bei einem Besuch im Zoo. Trotzdem zeigt nicht jeder Tiergarten alle der genannten Arten. Dies liegt nicht nur am Platz, der jeweils zur Verfügung steht, sondern an diversen weiteren Kriterien. Welche das sind und warum teilweise sogar bewusst Doppelspurigkeiten bei Zoos, die nur ein paar Dutzend Kilometer auseinanderliegen, angestrebt werden, erklären Severin Dressen, Direktor des Zoo Zürich, und Kurt Müller, Kurator von Knies Kinderzoo.

Sowohl der Zoo Zürich wie Knies Kinderzoo halten Asiatische Elefanten und Giraffen. Nur weil diese so populär sind?

Severin Dressen: Nein. Grundsätzlich gibt der europäische Zoodachverband EAZA die Rahmenbedingungen vor, welche Vertreter einer bestimmten Tiergruppe (zum Beispiel welche Tiger-Unterart) gehalten werden sollen. Hinzu kommen unsere eigenen Vorgaben, dass wir vorab bedrohte Tierarten halten wollen, bei denen wir auch zum Erhalt des Bestandes beitragen können. Um die genetische Vielfalt zu gewähren und koordiniert zu züchten – in der Regel über das Europäische Erhaltungszuchtprogramm EEP – müssen sie aber bereits in den europäischen Zoos in genügender Zahl vorhanden sein. Das ist sowohl bei unseren Asiatischen Elefanten wie den Netzgiraffen der Fall. Zusätzlich sind beide Charaktertiere ihres jeweiligen Lebensraumes, stehen also als Symbole für unser Engagement vor Ort, dem Kaeng-Krachan-Nationalpark in Thailand respektive des Lewa Wildlife Conservancy in Kenia.
Kurt Müller: Natürlich erfreuen sich sowohl Asiatische Elefanten wie unsere stark gefährdeten Rothschildgiraffen bei den Besuchern hoher Beliebtheit. Das ist auch auf traditionelle Aspekte zurückzuführen. Der Schweizer National-Circus Knie, zu dem der Kinderzoo gehört, hält seit 1920 Elefanten. Allerdings haben wir uns angesichts der Bedrohung der Tiere und der nicht mehr zeitgemässen Haltung im Zirkus entschlossen, Asiatische Elefanten nur noch im Kinderzoo zu zeigen. Ähnlich ist es mit den Giraffen. Einzelne Exemplare sind früher in der Manege aufgetreten, heute ist ausschliesslich der Kinderzoo ihr Refugium. Sowohl bei den Elefanten wie bei den Giraffen beteiligen wir uns am EEP-Programm und an beiden Arten möchten wir auch in Zukunft festhalten. Um uns noch aktiver am Arterhalt beteiligen zu können, möchten wir uns zudem um die Mitgliedschaft bei der EAZA bewerben.

Aber wird es für den Besucher nicht uninteressant, verschiedene Zoos zu besuchen, wenn alle die gleichen Tiere zeigen? Sprich: Müssten sich die Zoos nicht mehr abstimmen?

Dressen: Ich glaube nicht, dass dies für die Mehrheit der Besucher eine Rolle spielt. Zudem kann Doppelspurigkeit auch ein Vorteil sein. Es ist dann meist einfacher, Tiere zu Zuchtzwecken auszutauschen. Der administrative Aufwand ist zum Beispiel geringer, wenn man Tiere innerhalb der Schweiz transportiert als über die Landesgrenzen oder gar den EU-Raum hinaus. Auch erzeugen kürzere Transportwege weniger Stress für die betroffenen Tiere.
Müller: Früher war es vielleicht ein Vorteil, wenn man mit einer populären oder seltenen Zootierart werben konnte, welche die Konkurrenz nicht hielt. Heute ist das zum Glück unwichtig.

Die Beliebtheit eines Tieres bei den Besuchern hat also keinen Einfluss auf die Artauswahl?

Dressen: Doch, aber eine untergeordnete. Einerseits sind die Tiere, welche bei den Besuchern am höchsten im Kurs stehen – das sind zumeist die Säugetierarten – auch solche, die bedroht sind. Andererseits wird deren Popularität teilweise überschätzt. Wichtiger als die Popularität eines Tieres ist die Präsentation. So ist die beliebteste Anlage im Zoo Zürich der Masoala-Regenwald. Da hat es keine Grosstiere, sondern vermeintlich langweilige braune Enten und grüne Geckos. Wären diese Tiere in einer Voliere oder einem Terrarium ausgestellt, würde der «normale» Besucher keine Minute davor verbringen. Doch im Masoala-Regenwald werden die Besucher zu Entdeckern. Sie erfahren das Tier und seinen Lebensraum mit allen Sinnen. Im Prinzip gibt es über jedes Tier etwas Spannendes zu berichten und mit jedem Tier kann man Besucher begeistern.
Müller: Ein gutes Beispiel hierfür sind unsere Westafrikanischen Zwergziegen. Das ist zwar eine Haustierrasse, die überhaupt nicht bedroht ist, aber ungeheuer populär bei unserem Publikum. Mit ihnen ist ein direkter Kontakt zwischen Tier und Mensch möglich. Die Zwergziegen können gestreichelt werden, sich aber jederzeit zurückziehen, wenn es ihnen zu bunt wird. Zudem geben neu Tierpflegerinnen beim Treffpunkt des «Ziegenlands» Auskunft zur Lebensweise dieser Tiere, ja sogar einzelner Individuen. Nach unserem neuen Motto «Tiere erfahren. Biodiversität bewahren» stehen sie für den ersten, die Elefanten für den zweiten Teil.

Was ist das wichtigste Kriterium bei der Artenauswahl in einem Zoo?

Dressen: Die beiden wichtigsten Parameter für uns sind die Fragen: Können wir durch die Haltung und Zucht einer Art zum Arterhalt, zum Aufbau von Reservepopulationen beitragen? Und / oder: Haben wir ein seriöses Forschungsinteresse? Bei letzterem gibt es jetzt schon mehrere Dutzend Projekte, die von Studien bei Erdmännchen bis zu Elefanten reichen. Im Hinblick auf unseren Entwicklungsplan 2050, der auch neue Tierarten mit sich bringt, werden wir die Bedürfnisse der Forschenden noch stärker miteinbeziehen.
Müller: Bei uns steht im Vordergrund: Macht eine Haltung Sinn, also können wir etwas zum Erhalt der Art beitragen? Und können wir die Art gut halten? Zudem sind auch wir in Forschungsprojekte involviert beziehungsweise haben einige sogar mitinitiiert.

Was bedeutet «gut halten»?

Müller: Das heisst zum Beispiel: Haben wir den entsprechenden Platz oder auch personelle Ressourcen dafür? Gerade der fehlende Platz schränkt uns ein.
Dressen: Der Platz ist in dieser Beziehung in jedem Zoo ein Faktor. Selbst Zoos, die grösser sind als der Kinderzoo oder der Zoo Zürich, werden deswegen ihre Artenzahl gerade bei den Grosssäugern weiter reduzieren, um die neuesten Erkenntnisse an eine moderne Haltung gut umsetzen zu können. Dabei ist mir aber wichtig zu betonen: Eine kleine Zoofläche sagt per se nichts über die Qualität einer Tierhaltung aus. Es gibt in der Schweiz einige Institutionen mit nur wenigen Hektaren, die ihren Pfleglingen aber optimale Lebensbedingungen bieten.

Inwieweit spielen die Kosten für die Schaffung einer Anlage und die Haltung eine Rolle?

Dressen: Da wir uns anhand eines historischen Kompromisses mit dem Tierpark Langenberg (siehe auch Box) auf nicht regionale Tiere konzentrieren und diese in der Regel wärmebedürftig sind, generiert dies meist auch hohe Kosten beim Anlagebau und später bei den Infrastrukturkosten, namentlich fürs Kühlen im Sommer. Insofern fliesst dies auch in die Überlegungen ein, ob eine Tierart gehalten wird oder nicht. Andererseits gibt es auch hier Unterschiede. Für ein Nashorn ist der Bau einer Unterkunft teuer. Doch weil es hauptsächlich Heu frisst, sind die Futterkosten wieder relativ niedrig.
Müller: Als rein privatwirtschaftliches Unternehmen, das keinerlei finanzielle Unterstützung von der öffentlichen Hand erhält, müssen wir natürlich auch die Kosten in unsere Überlegungen miteinbeziehen. Dennoch wollen wir deswegen in unserer strategischen Ausrichtung keine Abstriche machen – und schon gar nicht in der Qualität der Tierhaltung. Der Beweis ist unsere Elefantenhaltung, wo wir international durchaus mit grossen Kalibern mithalten können und mit bislang sieben Elefantengeburten unseren Beitrag zur Erhaltungszucht geleistet haben. Und die Elefantenhaltung ist die teuerste Haltung im Kinderzoo.
Dressen: Dazu kann ich ein Beispiel anfügen. Wir haben im Hinblick auf die geplante Meeresküste intensiv diskutiert, ob wir dort antarktische Pinguine wie unsere Königspinguine halten wollen oder nicht. Doch so, wie wir uns eine moderne Haltung dieser Art vorstellen, wäre der Nutzen in keinem Verhältnis zu den Kosten gestanden. Darum haben wir uns entschlossen, künftig auf die Königspinguine zu verzichten und stattdessen den Humboldtpinguinen einen noch besseren Lebensraum zu bieten.

Welche neuen Arten werden in Ihrem Zoo demnächst zu sehen sein und welche werden ihn verlassen?

Dressen: Mongolische Wölfe verlassen uns, da sie in keinem anderen europäischen Zoo gehalten werden und nicht Teil eines Zuchtprogrammes sind. Im Pantanal werden wir künftig keine Capybaras mehr zeigen, obwohl die typisch für diesen Lebensraum, aber eben nicht bedroht sind. Bei den Fischen und Reptilien wird es viele Änderungen geben. Neu hinzu kommen neben hochbedrohten Insektenarten für Panterra die ebenfalls hochbedrohten Drills (Affen), Okapis, Zwergflusspferde sowie diverse Kleintierarten für den Kongo.
Müller: Konkrete Beispiele kann ich keine geben, da wir uns dazu mitten in der Diskussion befinden. Der Gefährdungsstatus einer Art wird sicher ein zentraler Punkt sein. Wir haben bereits auf diese Saison hin etliche Tierarten abgegeben. Das betrifft bestimmte Reptilien- und Amphibienarten, aber auch äusserst beliebte wie die Minischweine, Alpakas oder Esel. Für alle konnten wir – das ist mir wichtig zu betonen – einen Platz in einer guten Haltung finden. Es wird tendenziell so sein, dass kleinere Tiere grössere ersetzen. Klar ist lediglich, dass wir keine Menschenaffen oder Eisbären anschaffen werden. Für deren Haltung fehlt eindeutig der Platz.

Stichwort Eisbären. Hier behaupten Tierrechtler immer wieder, dass man diese nicht halten kann. Stimmt das? Und gibt es generell Tiere, die man in Zoos nicht halten kann?

Dressen: Eisbären kann man hervorragend halten. Entscheidend ist, dass man ihre Bedürfnisse erfüllt und sie mental fordert. Das war auf der alten Anlage im Zoo Zürich nicht möglich, weshalb sie abgegeben wurden. Die einzigen meiner Ansicht nach nicht haltbaren Tiere sind Vogelarten, die Stunden, ja sogar Tage ununterbrochen mit Fliegen verbringen – wie etwa Albatrosse. Das kann kein Zoo bieten.
Müller: Ich schliesse mich da voll und ganz an. Aus meiner Sicht kann man sogar Blauwale im Zoo halten – wenn man wüsste wie.

Das sagt die Stiftung Wildnispark Zürich

Einen für Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher ebenso wichtigen Schaubetrieb mit Wildtieren wie der Zoo Zürich und der Kinderzoo betreibt die Stiftung Wildnispark Zürich mit dem Tierpark Langenberg. Allerdings unterscheidet sie sich in einigen Punkten von herkömmlichen Zoos, zum Beispiel, weil zu ihrem Verantwortungsbereich zugleich die Betreuung des Naturerlebnisparks Sihlwald gehört. Vergleiche sind darum nicht überall möglich. Trotz- dem baten wir auch die Stiftung um eine Stellungnahme zum Thema:
«Die Stiftung Wildnispark Zürich zeigt im Tierpark Langenberg einheimische und ehemals einheimische Wildtiere und konzentriert sich dabei auf Säu- getierarten. Diese Auswahl unterstützt die Stiftung in ihrem Engagement als Naturschutzorganisation für die hiesige Fauna und Flora. Acht von 19 Tierarten im Langenberg sind in Europäischen Erhaltungszuchtprogrammen organisiert und tragen damit zum Fortbestand dieser Tierart und der Biodiversität insgesamt bei. Ein Teil der gezeigten Tierarten haben einen grossen Wert in der Vermittlung von aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen im Natur- und Artenschutz. Dazu gehört beispielsweise der Rothirsch, der in die Wälder im Mittelland zurückkehrt, oder der Wolf. Mit beiden Arten muss die Gesellschaft den Umgang für ein möglichst konfliktfreies Zusammenleben neu lernen. Der Fokus der Stiftung wird auch in Zukunft auf einheimischen Arten und Lebensräumen bleiben – und somit bei der Weiterentwicklung des Tierparks die Richtung vorgeben».
Karin Hindenlang Clerc, Geschäftsführerin Stiftung Wildnispark Zürich

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