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Polizeichef Beat Oppliger: «Die Polizei muss Kritik einstecken können. Jeder Einsatz in einem Spannungsfeld ist mit Emotionen verbunden.»

Im Namen der Sicherheit

Von: Ginger Hebel

08. November 2022

Beat Oppliger ist Polizist aus Überzeugung. Seit Juni führt er die Stadtpolizei Zürich. Er spricht über die Zunahme von Einsätzen, Personalmangel und die gestiegene Anspruchshaltung der Bevölkerung. 

«Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, vor allem aber eine sinnhafte. Das ist meine tägliche Motivation», sagt Beat Oppliger. Der 55-jährige Chef der Stadtpolizei Zürich sitzt an seinem Pult im grossen, holzgetäfelten Büro im Hauptquartier, Amtshaus I, Bahnhofquai 3. Im Juni hat er den Posten des ehemaligen Polizei-Kommandanten Daniel Blumer übernommen, der in Pension ging.

So viele Demos wie noch nie

«Die Einsätze nehmen zu und somit die Belastung», sagt Oppliger. In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Einsätze in der Stadt auf 70 000 angestiegen. Im Durchschnitt rückt die Stadtpolizei 192 Mal pro Tag aus. Insbesondere die Nutzung des öffentlichen Raums habe stark zugenommen. Letztes Jahr gab es in Zürich so viele Demonstrationen und Kundgebungen wie noch nie – ein Drittel unbewilligt. Kaum ein Tag, ohne dass in der Innenstadt demonstriert wird. Klima, Velo, Gleichstellung. Die Lust am Protest führt zu mehr Polizeieinsätzen und höheren Kosten. Demonstrationen und Kundgebungen seien jedoch sehr aufwendig, weil die Polizei mehr Personal aufbieten müsse. «Aus unserer Sicht fehlen jedoch Ressourcen.» Auch die Gewalt im Fussball sei ein grosses, nach wie vor ungelöstes Problem.

Der ehemalige Polizeichef Daniel Blumer forderte Taser für jede Patrouille. Elektroschockwaffen setzen Angreifer ausser Gefecht, sind aber umstritten. Beat Oppliger hat Verständnis für kritische Fragen aus der Politik, betont aber: «Während meiner Einsätze als Polizeioffizier und in meiner Funktion als Leitender Oberstaatsanwalt war ich mit mehreren Schusswaffeneinsätzen konfrontiert. Wäre dabei ein Taser zur Verfügung gestanden, wären sie in mehreren Fällen das mildere und verhältnismässigere Mittel gewesen.» 2003 arbeitete Oppliger schon mal bei der Stadtpolizei Zürich als Offizier, wurde zum Chef der Verkehrspolizei ernannt und war später Mitglied der Stapo-Geschäftsleitung. Ihm gefällt der Teamgedanke und die Möglichkeit, gemeinsam Lösungen zu finden. «Bei der Polizei fühle ich mich angekommen.»

Kriminalitätsbekämpfung liegt ihm am Herzen. Als ehemaliger Leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich hat er grosse Erfahrung in der Strafverfolgung. «Es ist wichtig, den Sachverhalt zu klären, damit die richtigen Personen bestraft und Unschuldige entlastet werden.» Viele Menschen getrauen sich jedoch erst gar nicht, Anzeige zu erstatten, aus Angst, es könnte ein Nachspiel haben. Besonders bei heiklen Themen wie häuslicher Gewalt. «Ein Fehler», ist Oppliger überzeugt. Es sei entscheidend, zu reagieren, damit die Polizei die notwendigen Massnahmen treffen könne, was insbesondere auch im Sinne der Opfer sei.

Anzeigen vermehrt online

Die Polizeiarbeit habe sich in den letzten Jahren verändert, besonders im Hinblick auf die Digitalisierung. Mit dem digitalen Polizeiposten Suisse ePolice können Anzeigen von einfachen Diebstählen, Sachbeschädigungen, Kontrollschildverlusten oder Gesuche für den Waffenerwerb während 24 Stunden von überallher online selbstständig erfasst werden. Oppliger ist bewusst, dass moderne Angebote Menschen ausgrenzen. «Wir dürfen die ältere Bevölkerung nicht vergessen und auch nicht all diejenigen, die weniger internetaffin sind.» Zudem: Überfälle, Sexualdelikte und viele weitere Delikte erfordern den direkten Austausch. «Bei schwerwiegenderen Themen ist der persönliche Kontakt mit der Polizei unabdingbar.» Rund 1700 vereidigte Korpsangehörige sowie über 500 Zivilangestellte sorgen dafür, dass die polizeiliche Versorgung auf dem Gebiet der Stadt Zürich gewährleistet ist. Der Fachkräftemangel ist jedoch auch bei der Polizei spürbar. Junge fehlen, ebenso Frauen. «Wir müssen uns künftig noch mehr anstrengen, damit die Leute zu uns kommen», betont Oppliger.

Die nächste Polizeischule sei zwar komplett belegt, die Anzahl Bewerbungen habe aber abgenommen. Künftige Polizistinnen und Polizisten hätten bestimmte Erwartungen. «Teilzeit ist dabei ein Zukunftsmodell», weiss Oppliger. In der Umsetzung sei es aber nicht immer so einfach, denn: Gerade eine Schiess-Ausbildung liesse sich in Teilzeit nicht absolvieren. «Draussen interessiert es niemanden, ob jemand 40 Prozent oder 100 Prozent arbeitet. Die Qualität der Einsatzkompetenz zählt und letztlich die Sicherheit der Bevölkerung.»

Dennoch sei es absolut entscheidend, attraktive und moderne Arbeitsbedingungen zu schaffen. Aufgrund der Personalsituation hat die Stadtpolizei Zürich entschieden, die verkürzten Öffnungszeiten der Regionalwachen bis auf Weiteres beizubehalten. Mit dieser Massnahme kann die Präsenz auf der Strasse sichergestellt und das Personal entlastet werden. Beat Oppliger ist Polizist aus Überzeugung. Auch wenn er privat in der Innenstadt unterwegs ist, bleibt er aufmerksam. «Mir fallen bestimmte Situationen schneller auf, ich schaue genauer hin.» Ablenkung vom Alltag findet er bei seiner Familie, beim Sport und beim Lesen, obwohl derzeit wenig Zeit dafür bleibe.

Verhältnismässigkeit zählt

Die Polizei, dein Freund und Helfer, ist heute oft auch Feind und Opfer. Vorschnell werden Urteile gefällt, es folgen Vorwürfe, Anschuldigungen, Beleidigungen. «Die Polizei muss Kritik einstecken können. Jeder Einsatz in einem Spannungsfeld ist mit Emotionen verbunden», sagt Oppliger. Personenkontrollen sind umstritten, von rassistischem Profiling ist oft die Rede. Das Internet zeigt Videos von Polizeieinsätzen und Verhaftungen. Das wirft die Frage auf, wie restriktiv die Polizei sein darf. «Man sieht im Internet einen Bodenkampf mit der Polizei, das mag auf den ersten Blick brutal aussehen. Die Frage ist aber: Wie kam es dazu? Ohne die Vorgeschichte zu kennen, lässt sich kein abschliessendes Urteil bilden.»

Die Schaulust, sagt Oppliger, sei ein bekanntes Phänomen, zusätzlich sei aber die unkontrollierte Weiterverbreitung von Filmen im Netz hinzugekommen. «Verhältnismässigkeit ist unser Grundsatz. Es braucht Grund und Anlass für eine Personenkontrolle. Die Polizei muss aber auch die Möglichkeit haben, Zwangsmassnahmen durchzusetzen, wenn das Gegenüber nicht kooperiert.» Was ihn freut: Gemäss Bevölkerungsbefragung ist das Sicherheitsgefühl und Vertrauen in die Stadtpolizei auf anhaltend hohem Niveau. «Das spornt an, weil es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.» Nächstes Jahr stehen mit dem Züri-Fäscht Grossanlässe an.

Oppliger will nicht nur im Hintergrund fungieren, sondern auch an der Front. «Ich muss sehen und erleben, was in der Stadt passiert, wo die Brennpunkte sind.» Ein zentrales Thema, das die Stadtpolizei bewegt: Ein professionelles Crowd-Management für eine erhöhte Sicherheit, damit es zu keinen gefährlichen Ansammlungen von zu grossen Menschenmassen auf engstem Raum kommt. Oppliger liebt Zürich, die Vielfalt und Möglichkeiten der Stadt. Was ihn aber ärgert, sei die gestiegene Anspruchshaltung. «Zürich muss jederzeit alles machen und ermöglichen. Es darf gleichzeitig nichts passieren. Doch die staatlichen Ressourcen sind beschränkt.»

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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