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Während das Zürcher Nachtleben ums Überleben kämpft, floriert trotz Lockdown das Drogengeschäft besonders mit Kokain ungebrochen. Symbolbild: iStock / Ivan Bliznetsov

Koksnasen trotzen Lockdown

Von: Clarissa Rohrbach

19. Februar 2021

Die meisten Zürcher, die Kokain schnupfen, tun dies in der Freizeit. Obwohl die Partyszene zum Erliegen gekommen ist, bleibt der Konsum stabil und verlagert sich ins private Umfeld.

Die Party ist aus. Seit Oktober können die Zürcher wegen der Corona-Schutzmassnahmen nicht mehr in Clubs feiern. Doch konsumieren sie deswegen auch weniger Drogen? Dass Zürcher Kokain lieben, ist kein Geheimnis. Seit Jahren belegt Zürich in der Abwasserstudie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) eine Spitzenposition. Dafür misst die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung und Abwasserreinigung (Eawag) während einer Woche die Werte von Benzoylecgonin, ein Abbaustoff des Kokains, der von der Leber in den Urin und schliesslich ins Abwasser gelangt.

Landete Zürich 2017 noch auf Platz zwei hinter Barcelona, war es 2019 auf Platz vier, nur knapp hinter Antwerpen, Amsterdam und St. Gallen. Auch vertreten in den Top Ten sind Basel und Genf: Die Schweiz ist also eine Kokain-Hochburg. Die ungewöhnliche Positionierung von St. Gallen führen Drogenexperten auf einen höheren Reinheitsgrad der Droge zurück.

Käufe im Darkweb

Der Reinheitsgrad liegt zurzeit laut dem Drogeninformationszentrum der Stadt Zürich (DIZ) bei 80 Prozent, bei einem stabilen Preis von 80 bis 120 Franken pro Gramm. Vor zehn Jahren lag der Reinheitsgrad noch bei 45 Prozent. Für das gleiche Geld bekommt man also mehr Wirkstoff.

Der Konsum von Kokain steigt rasant. In den letzten fünf Jahren hat er sich in der Schweiz verdoppelt. Während heute im Durchschnitt täglich rund ein Gramm pro Einwohner konsumiert wird, waren es vor vier Jahren noch 0,44 Gramm. Die grosse Beliebtheit des Kokains zeigt, dass es zur Volksdroge geworden ist. Wie der Psychologe Boris Quednow gegenüber der «WoZ» sagte, würden nicht nur gut betuchte Berufstätige wie etwa Banker konsumieren, sondern auch Handwerker oder Köche. Auch das DIZ bestätigt, dass Kokain heutzutage durch alle gesellschaftlichen Schichten verbreitet sei. Der Wohlstand in der Schweiz ermögliche den Kauf, da Kokain trotz tiefen Preisen immer noch teurer sei als andere illegale Aufputschmittel.

Kokain ist in Zürich als grösste Stadt der Schweiz besonders leicht erhältlich. Corona hat daran nichts geändert. Frank Zobel, stellvertretender Leiter Forschung bei Sucht Schweiz, hat dazu während des ersten Lockdowns eine Studie durchgeführt. Das Resultat: Die Preise und die Reinheit des Kokains sind stabil geblieben, der Konsum ist nur sehr leicht zurückgegangen. «Der Markt hat sich trotz geschlossener Grenzen als resilient erwiesen», sagt Zobel. Er geht davon aus, dass keine Engpässe entstanden sind. Das dürfte während des zweiten Lockdowns nicht anders sein. In seiner Studie stellt Zobel fest, dass Konsumenten teilweise aufs Darkweb ausgewichen sind, um den Stoff zu bestellen. Dies bestätigt auch die Stadtpolizei Zürich. Käufe auf der Strasse hätten im letzten Frühling abgenommen zu Gunsten des Internethandels. Doch die Arbeit der Fahnder und somit der illegale Handel seien unverändert geblieben.

Anders als beim MDMA (Ecstasy), dessen Konsum am Wochenende mehr abnahm, verzichteten die Schweizer nicht auf das Kokain. «Die Schliessung der Clubs scheint eine relativ kleine Wirkung zu haben», sagt Zobel. 80 Prozent der Schweizer konsumierten Kokain hauptsächlich in der Freizeit, doch diese machten nur 20 Prozent der Menge aus. Die restlichen 80 Prozent würden von Randständigen, oft als Begleitung oder Ersatz von Heroin, und von Gutintegrierten, die während der Arbeit und auch danach dauernd auf Kokain sind, verbraucht. Bei ihnen habe sich das Suchtverhalten wenig verändert. Doch wie steht es mit den Freizeitkonsumenten? Zobel schliesst nicht aus, dass sich diese wegen Corona im privaten Rahmen treffen. Als Partydroge nehme man Kokain eher nicht alleine.

Die Zahlen der Stadtpolizei Zürich lassen dies vermuten. Laut Sprecher Marc Surber sind die Lärmklagen im Corona-Jahr 2020 um 50 Prozent auf 9154 gestiegen. «Bewohner melden vermehrt, dass sich Nachbarn zu Hause versammelt haben.» Die Polizei rückte allein letztes Wochenende 30 Mal aus und musste mehrere Dutzend Ordnungsbussen aufgrund von Widerhandlungen gegen die Covid-19-Verordnung ausstellen.

Für Surber ist klar: «Das Ausgehverhalten hat sich im Lockdown verändert, die Leute treffen sich zu Hause oder an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen oder Parkplätzen.» Eine Intervention in eine Wohnung ist dann angesagt, wenn offensichtlich eine Party mit zu vielen, anwesenden Personen im Gange ist. Ob auch Drogen konsumiert werden, kann die Polizei nur dann feststellen, wenn es offensichtlich Anzeichen dafür gibt und es durch eine genauere Kontrolle bestätigt wird.

Kiffen aus Frust
Die Belastung, die wegen der aktuellen Corona-Situation entsteht, treibt immer mehr Leute dazu, Suchtmittel zu konsumieren. Laut dem «Suchtpanorama 2021» von Sucht Schweiz entstehen neue Risikogruppen, dazu gehören überlastetes medizinisches Personal, Menschen mit hoher Ansteckungsgefahr und solche, die unter wirtschaftlichen Problemen leiden. Die Suchtfachstelle Zürich nennt auch die fehlende soziale Kontrolle und die Einsamkeit im Home­office als Grund für den Drogenkonsum. Allerdings greifen diese weniger zu Kokain, sondern eher zu dämpfenden Substanzen wie Alkohol und Cannabis. Trotzdem: Zürcher koksen munter weiter.


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