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Nicht alle sind überzeugt, dass das heutige Verkehrsaufkommen nach dem Spurenabbau bewältigt wird. (Bild: LEH)

Kritik an Spurabbau-Experiment

Von: Christian Saggese

29. September 2020

Mehrere Verbände haben sich aus dem Beteiligungsverfahren rund um den geplanten Verkehrsversuch auf der Bellerivestrasse zurückgezogen. Sie fordern von der Stadt, das Projekt abzusagen und nicht mit der dortigen Verkehrskapazität zu experimentieren. Vier Spuren müssten bleiben. 

Der geplante Verkehrsversuch auf der Bellerivestrasse (siehe Box) erregt die Gemüter. Der TCS, der ACS, der Gewerbeverein Seefeld, der Gewerbeverband der Stadt Zürich (GVZ) und der kantonale KMU- und Gewerbeverband (KGV) sind gemeinsam aus dem Beteiligungsverfahren zurückgetreten («Tagblatt» vom 23.9.). Sie kritisieren Stadtrat Wolff unter anderem dafür, dass er bereits Anfang September mit diesem Verkehrsprojekt an die Öffentlichkeit gegangen ist, obwohl die Teilnehmenden des Beteiligungsverfahrens erst im Dezember darüber diskutieren sollten, ob und in welcher Form dieser Versuch überhaupt umsetzbar sei. Nicht alle vertrauen darauf, dass die heutige Verkehrskapazität auch bei zwei Fahrspuren bewältigt werden könne. Nun aber stünden sie vor vollendeten Tatsachen, ihre wirtschaftsbewussten Stimmen seien ausgebootet worden, heisst es in einem gemeinsamen Statement.

Unter welchen Voraussetzungen würden sich diese Organisationen aber wieder an den Diskussionstisch setzen? Einigkeit herrscht bei den eingangs erwähnten Ex-Teilnehmenden darüber, dass die Stadt den aktuellen Plan stoppen müsse. So meint Robert Eggler vom Vorstand des GVZ: «Eine weitere Zusammenarbeit können wir nur dann prüfen, wenn der Stadtrat ernsthaft bekundet, dass er an einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe interessiert ist und er uns ein Konzept vorlegt, das einerseits von einem Spurabbau absieht und gleichzeitig aufzeigt, wie eine Verkehrsverflüssigung rund um das Seebecken aussehen könnte. Letzteres entspricht einer langjährigen Forderung des Gewerbeverbandes.» Lorenz Knecht, Geschäftsführer der ACS Sektion Zürich, ist vom «eigenmächtigen und unabgesprochenen Verhalten enttäuscht.» Da sie aber weiterhin bei Verkehrsfragen kooperativ mit Politik, Verbänden und Wirtschaft zusammenarbeiten wollen, «würden wir Gesprächsangebote unter neuer Leitung und Zusammensetzung prüfend in Erwägung ziehen». Und für Thomas Hess, Geschäftsleiter des KGV, müsse das Projekt auch die Gemeinden von ausserhalb miteinbeziehen: «Da es sich bei der Bellerivestrasse um eine Kantonsstrasse handelt, die insbesondere für den Bezirk Meilen von grosser Wichtigkeit ist, müssten für den KGV zwingend die Gemeindevertreter des rechten Zürichseeufers und die kantonale Verkehrsabteilung in den Prozess neu miteingebunden werden.»


«Es braucht vier Spuren»

Wie aber soll es mit der Bellerivestrasse weitergehen? Einigkeit herrscht bei den fünf Verbänden darüber, dass eine Sanierung der Bellerivestrasse notwendig sei. Diese dürfte aber nicht für Experimente bezüglich der Verkehrskapazität missbraucht werden. «Die Bellerivestrasse muss nach der Sanierung, stadtein- und -auswärts, über die gleiche Verkehrskapazität wie heute verfügen», so Reto Cavegn vom TCS. Robert Eggler vom GVZ pflichtet ihm bei: «Damit die Leistungskapazität der Bellerivestrasse aufrechterhalten werden kann, muss aus unserer Sicht der Status quo aufrechterhalten bleiben. Das heisst, weiterhin vier Spuren und Tempo 50.» Für eine Verkehrsverflüssigung «ist nach wie vor der Seetunnel eine valable Alternative, die immer noch im kantonalen Richtplan enthalten ist».

Susanne Brunner, Präsidentin Gewerbeverein Seefeld, ist klar, welche Konsequenzen ein Spurenabbau mit sich bringen würde: «Rückstau, vermehrter Schleichverkehr durch das Quartier, weniger Kundschaft und Umsatzeinbussen bei Detaillisten, Gastronomie und Gewerbebetrieben im Seefeld und in der gesamten Stadt Zürich ... Die lange Phase der Sanierung wird schwierig genug werden für das Gewerbe und die Seegemeinden, danach müssen wir zur bisherigen Verkehrsführung zurück.» Für Lorenz Knecht vom ACS «sind vorweg glaubwürdige und verlässliche Daten wichtig: die Verkehrsströme, Analysen zu Stauwurzeln und zu verkehrsbestimmenden Knotenpunkten. Erst damit können wir uns ein Bild einer gut funktionierenden Bellerivestrasse machen».

Dass die dortige Situation für Velofahrer nicht ideal ist, wird von keiner Stelle bestritten. Vielmehr gilt es, aber alternative Lösungen zu suchen. Und diese soll es bereits geben, spricht Thomas Hess vom KGV aus Erfahrung: «Als Küsnachter fahre ich nebst dem Auto auch mit dem Velo in die Stadt. Mit dem Fahrrad benütze ich eine Parallelstrasse, nämlich die Dufour- oder Seefeldstrasse. Diese Variante bewährt sich jetzt schon. Mit anderen Worten ist ein Handlungsbedarf an der Bellerivestrasse gar nicht gegeben.»

Schaden für Gewerbe

Für Susanne Brunner (Gewerbeverein Seefeld) ist es wichtig, dass die politischen Verantwortlichen merken, dass die Stadt Zürich nicht nur von der Stadt alleine lebt: «Wenn wir die Verkehrsverbindungen kappen, dann werden wir ein Ladensterben und eine darbende Gastronomie erleben. Gerade infolge Covid-19 kämpfen viele kleine Läden und die Gastronomie ums Überleben. Ein durch Spurabbau zusätzlich herbeigeführter Umsatzrückgang wird für viele den Todesstoss bedeuten. Auch viele Arbeitnehmer kommen täglich mit dem Auto in die Stadt Zürich. Manches KMU wird eine Sitzverlegung ins Auge fassen müssen, wenn ihre Angestellten nicht mehr rechtzeitig zur Arbeit kommen können. Wenn wir die Mobilität als Ganzes einschränken in der Stadt, wird als Folge die Wertschöpfung schrumpfen und danach auch die Fiskaleinnahmen der Stadt sinken. Wir sollten keinen solchen Trend anstossen.»


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