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Leeres Portemonnaie: Viele Tieflohnbezieher kommen in Zürich kaum über die Runden. Bild: PD

Mehr Geld für Kleinverdiener

Von: Sacha Beuth

24. November 2020

MINDESTLOHN In der Stadt Zürich verdienen 17 000 Personen weniger als 4000 Franken pro Monat. Das reicht oftmals nicht, um mit nur einem Job eine Familie über die Runden zu bringen. Die Initiative «Ein Lohn zum Leben» des gleichnamigen Bündnisses will das ändern und in Zürich, Winterthur und Kloten einen Stundenmindestlohn vorschreiben lassen. 

«Ich, Fátima, arbeite als Reinigerin an zwei Orten gleichzeitig für einen monatlichen Lohn von gerade mal 2600 Franken brutto. Im Moment verdiene ich ab und zu etwas mehr, vielleicht 2800 Franken, weil ich häufiger für Kolleginnen einspringen muss, die am Virus erkrankten. Mit diesem knappen Lohn kann ich die Miete kaum bezahlen, mir keinen Deutschkurs leisten und schon gar nicht sparen. Ich lebe eigentlich nur für die Arbeit.»

Die Situation, die Fátima in ihrem Offenen Brief an den Stadtrat schildert, ist beispielhaft für alle, die in der Stadt Zürich im Tieflohnsegment arbeiten. Und sie ist mit ein Auslöser für die Volksinitiative «Ein Lohn zum Leben» des gleichnamigen Bündnisses aus Gewerkschaften, Hilfswerken und Linksparteien, die am 10. November in den Städten Zürich, Winterthur und Kloten eingereicht wurde. Ziel der Initiative ist es, auf Gemeindeebene der drei Städte einen Stundenmindestlohn von 23 Franken gesetzlich zu verankern.

Gefahr sozialer Isolation

«Allein in der Stadt Zürich gibt es über 30 000 Personen, die für einen Tieflohn arbeiten, das entspricht 8,6 Prozent aller Beschäftigten. Und rund 17 000 davon verdienen weniger als 4000 Franken pro Monat in einer Vollzeitstelle. Diese Menschen können von einem Lohn nicht leben, schon gar nicht auf einem teuren Pflaster wie Zürich», erklärt Björn Resener, Geschäftsführer des Gewerkschaftsbundes des Kantons Zürich und Kampagnenleiter der Initiative. Die Tieflöhne führten weiter dazu, dass viele Betroffene Arbeitspensen wie Manager und teilweise lange Anfahrtswege hätten. «Das wiederum beeinträchtigt das Familienleben stark negativ und fördert die soziale Isolation. Im Interesse der Betroffenen mussten wir handeln und zur Lösung des Problems lag die Forderung nach höheren Löhnen auf der Hand.»

Nicht in allen Branchen ist die Tieflohn-Problematik gleich hoch. Am gravierendsten ist die Situation in den Wäschereien. Dort arbeiten zwischen 70 und 80 Prozent der Angestellten für einen Tieflohn. In den Coiffeursalons sind zwei Drittel der Beschäftigten betroffen. Und in der Gebäudereinigung sowie im Garten- und Landschaftsbau sind es über 50 Prozent. Dahinter folgen Gastronomie und Beherbergung mit rund 30 Prozent. Auch Kurier- und Expressdienste sowie einige Sicherheitsdienste sind stark betroffen.

Auffällig auch: Je tiefer die Löhne, desto höher ist der Frauenanteil. «In der Stadt Zürich sind von den rund 30 000 Personen, die für Tieflöhne arbeiten, 63 Prozent Frauen.» Dagegen seien bezüglich Alterskategorie anders als vielfach vermutet junge Menschen weniger betroffen. «Bei den Tieflohnbeschäftigten in der Stadt Zürich beträgt der Anteil der unter 30-Jährigen laut einer Statistik des Bundes nur 39 Prozent, der Anteil der 30- bis 49-jährigen aber 43 Prozent», so Resener.

Generell hat sich innerhalb der letzten vier Jahre die Situation verschlimmert, teilweise sogar drastisch. So fielen etwa die Reallöhne in der Sicherheitsbranche in dieser Periode um 5,9 Prozent. Und als wäre dies nicht genug, hat sich mit der Corona-Krise die Problematik weiter verschärft, da nun viele Angestellte wegen der Kurzarbeit noch weniger verdient haben bzw. verdienen.

Die Einführung eines Mindestlohnes soll hier Abhilfe schaffen. Ob ein solcher jedoch mehrheitsfähig ist, ist ungewiss. 2014 scheiterte eine ähnliche, eidgenössische Initiative von SP und Gewerkschaften. Das Volk lehnte damals einen Mindeststundenlohn von 22 Franken mit 76,3 Prozent Nein-Stimmen deutlich ab. Warum also sollten sich die Leute bei der neuen Initiative anders entscheiden? «Weil sich die Zeiten geändert haben», antwortet Resener. «Eines der Hauptargumente der damaligen Gegner war, dass die Lebenskosten in der Schweiz zu unterschiedlich seien. 4000 Franken Mindestlohn hätten in Neuenburg ein deutlich besseres Leben ermöglicht als etwa in Zürich. Dieses Argument fällt mit kantonalen und lokalen Mindestlohn-Initiativen weg, denn hier können die gesetzlichen Mindestlöhne den Lebenskosten vor Ort entsprechen.» Das hätten einige Kantone wie etwa Genf, Jura, Tessin und Neuenburg erkannt und bereits Mindestlohn-Vorlagen angenommen. Was eigentlich auf eine kantonale Vorlage auch in Zürich hinauslaufen müsste. Doch Resener winkt ab. «Wir möchten uns vorerst auf die drei Gemeinden Winterthur, Kloten und die Stadt Zürich konzentrieren, da uns dies am erfolgversprechendsten erscheint. Einerseits, weil an diesen Orten Tieflohnarbeitende überproportional stark vertreten sind. Andererseits aber auch, weil wir uns gerade in der Stadt Zürich und Winterthur wegen der Links-Mehrheiten in den Regierungen eher Unterstützung erhoffen dürfen.»

Dabei stellt auch Resener die Befürchtung bürgerlicher Kreise, die Initiative werde steigende Preise zur Folge haben, nicht in Abrede. «Die Preise dürften nicht überall steigen, sondern vorab in den betroffenen Branchen. Und dort auch nur äusserst minim. Wir haben ausgerechnet, dass ein Abendessen für zwei Personen dann auf 101 statt 100 Franken kommen würde. Ein Franken mehr, damit eine Kellnerin von ihrem Lohn leben kann, das sollte uns das schon wert sein», findet Resener. Zudem könne sich der Mindeststundenlohn von 23 Franken, was etwa einem Monatslohn von 4050 Franken entspricht, sogar wirtschaftsfördernd auswirken. «Die Leute haben dann hoffentlich genug Geld, um auch andere Dinge statt nur das Lebensnotwendige zu kaufen.» Für Fátima könnte es dann auch für einen Deutschkurs reichen.

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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