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Das «TeamMachTheater»: Sebastian Dalloz, Igor Krndija, Andres Landert, Miirjam Gambon, Vincent Flach und Erik Attinger (von vorne nach hinten). Bild: Britta Halperin

Neuaufbau nach dem Aus

Von: Stine Wetzel

04. Dezember 2018

Nach fast zehn Jahren wurde die Schauspielausbildung des Theater Hora vorläufig eingestellt. Der Verein machTheater hat im Eiltempo eine neue Ausbildung für die jungen Erwachsenen mit Beeinträchtigungen aufgebaut. Die Geschichte einer ewigen Pionierarbeit.

Eben erst haben sie den Boden im Saal ausgelegt. Die Podesterie und die Aufhänger für die Scheinwerfer fehlen noch. «Aber es ist Wahnsinn, was wir schon geschafft haben», sagt Urs Beeler. Der Theaterschaffende sitzt im ersten Stock eines Altbaus in Oerlikon, mitten im Gustav-Ammann-Park. Bis vor kurzem hat Beeler noch im Casino-Saal Aussersihl unter dem Dach des Theater Hora junge Erwachsene mit Beeinträchtigungen für die Bühne ausgebildet – dann bekam er die Kündigung. Die Schauspielausbildung, die er 2009 aufgebaut hatte und die europaweit als einzigartig gilt, wurde auf Eis gelegt (siehe Box).

«Dass es das gewesen sein soll, war inakzeptabel», sagt Beeler. Zusammen mit Britta Halperin, Tonia Bollmann, Eltern der künftigen Lernenden und anderen Engagierten wurde innerhalb eines halben Jahres eine neue Ausbildung in «Schauspiel, Kommunikation, verwandte und neue Medien» geschaffen. «Wir mussten schnell reagieren, damit die jungen Erwachsenen nicht auf der Strasse stehen», sagt Britta Halperin. Sie kümmerte sich für die privat initiierte «MachTheaterWerk­statt» jahrelang um Arbeiten im Hintergrund und für Theater Hora um den allgemeinbildenden Unterricht in der Ausbildung. Jetzt haben sich Halperin, Tonia Bollmann, ehemalige Assistentin, und Beeler zu einem Leitungsteam zusammengetan. Für ihr neues Modell wurde der gemeinnützige Verein MachTheater gegründet, für den sie eine professionelle Ausbildung mit Insos-Zertifikat und anschliessenden Arbeitsplätzen sowie Freizeit- und Weiterbildungskurse für junge Menschen mit Handicaps anbieten. In letzter Minute hat das Leitungsteam die Räumlichkeiten im Gustav-Ammann-Park gefunden: hohe Decken, keine Säulen im Weg und im Budget.

Erste Aufführung im März

Seit Mitte August gibt es das TeamMachTheater jetzt: vier Lernende und zwei Hora-Ausgebildete. Im März soll die erste Aufführung über die Bühne gehen, Firmen, Schulen und Studierende können aber auch Workshops mit dem Team buchen. Zentral ist die Begegnung mit den Schauspielenden: «Sie sind geniale Türöffner. Vor allem Menschen mit Trisomie 21 schaffen eine angst- und wertfreie Atmosphäre», sagt Beeler.

So ganz neu ist die Organisation aber nicht. Vor zwölf Jahren hat Bee­ler mit den Theaterfreizeitkursen für junge Menschen mit Beeinträchtigungen begonnen – parallel dazu fing er beim Hora auf Mandatsbasis an. Im August wurde das erste MachTheater-Projekt «AndersGleich» – Aufführung, Diskussion und Workshop – von der Stiftung Denk an mich ausgezeichnet.

Momentan finanziert sich das MachTheater über Spenden- und Mitgliederbeiträge und eine Anschubfinanzierung. Das Team deckt 200 Stellenprozente an sechs offiziellen Arbeitstagen ab. Dazu kommt Extrastunde um Extrastunde: die Räumlichkeiten ausstatten, Pilotprojekte konzipieren, Kontakte mit möglichen Partnern knüpfen, subventionierte Arbeitsplätze beantragen – Administratives, wohin das Auge reicht. «Oft fallen wir als KMU im Kultur- und Behindertenbereich zwischen Stuhl und Bank. Dass sich keiner für uns verantwortlich fühlte, fing schon bei der Versicherung an», sagt Britta Halperin.

Doch es geht vorwärts. Die Anschlusslösung, ein Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt, bleibe aber so lange ein Knackpunkt, bis auf politischer Ebene mehr Anreize für Arbeitgeber geschaffen werden, so Beeler. «An Ideen fehlt es uns nicht.» In der Ausbildung lernen die jungen Erwachsenen nebst dem Schauspiel den Umgang mit neuen Medien, Flexibilität, Kritik- und Konfliktfähigkeit. Das eröffne Möglichkeiten für Arbeitsplätze, die es so allerdings noch nicht gebe. Etwa in der Museumsführung und -aufsicht oder in der Assistenz in Kitas und Spielgruppen.

www.machtheater.ch

Tonia Bollmann, Britta Halperin und Urs Beeler leiten das machTheater (kleines Bild). Bild: Mirjam Gambon

 

Der plötzliche Ausbildungsstopp

Die Schnupperkurse hatten schon stattgefunden, die IV-Beiträge waren teilweise gesprochen: Im August hätten sieben junge Erwachsene ihre Schauspielausbildung beginnen sollen. Dann die plötzliche Absage. Das Theater Hora und Stiftung Züriwerk erklärten im Frühjahr, den Lehrgang erst mal auf Eis zu legen, weil das Hora-Ensemble voll besetzt sei. «Wir waren schockiert», sagt GLP-Nationalrat Beat Flach. Auch sein Sohn Vincent bekam die Hiobsbotschaft. «Für uns war klar, dass es nach der Ausbildung am Hora keinerlei Garantie auf eine Weiterbeschäftigung gibt», sagt Flach. «Wir waren dennoch sicher, dass sich mit der breiten Ausbildung für unseren Sohn viele andere mögliche Beschäftigungen im ersten Arbeitsmarkt finden liessen.» Curdin Casutt, Gesamtleiter Theater Hora, erklärt: «Wir mussten den geplanten Lehrgang leider sistieren, weil wir nur Leute ausbilden können, wenn wir ihnen nachher auch eine feste Anstellung garantieren. Dafür fehlte aber der Platz im Ensemble. Aktuell überprüfen wir mit Experten eine zeitgemässere Form unserer Ausbildung, die für Hora strukturell und finanziell wieder tragbar ist und zugleich dem aktuellen Inklusionsanspruch gerecht wird.»

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