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Fängt den Wandel der Zeit bestens ein: Die traditionelle Kirche St. Peter und Paul, umgeben von modernen Gebäuden. (Bild: Roger Keller)

Rekordjahr bei den Kirchenaustritten

Von: Christian Saggese

01. Dezember 2020

 Immer mehr Menschen treten aus den beiden Landeskirchen aus. Die Katholiken verzeichneten letztes Jahr sogar einen Negativrekord. Es gibt aber Pläne, um diesen Trend zu bremsen. 

Eine schlechte Nachricht für die Katholiken zur Adventszeit: Noch nie sind in der Schweiz so viele Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten wie im vergangenen Jahr. Laut der Kirchenstatistik des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) verliessen 31 772 Personen die religiöse Institution – rund ein Viertel mehr als noch im Vorjahr. Spitzenreiter ist der Kanton Zürich mit 7044 Austritten, 2615 davon in der Stadt Zürich (Vorjahr: 1741 Austritte). «Die Anzahl an Eintritten in jenem Zeitraum ist im Vergleich unbedeutend», sagt Oliver Kraaz, Kommunikationsbeauftragter von Katholisch Stadt Zürich. Ende 2019 waren in der Stadt Zürich noch 105 066 Mitglieder registriert.

Auch im laufenden Jahr wird wieder mit höheren Austrittszahlen gerechnet. Worauf führt Oliver Kraaz diese Entwicklung zurück? «Sicher haben die internationalen Skandale, wie das Thema Missbrauch, der Glaubwürdigkeit der Kirche stark geschadet.» Auf lokaler Ebene dürften die Austritte aber eher mit dem gesellschaftlichen Wandel zusammenhängen:  «Früher galt die Zugehörigkeit zur Kirche als Ausdruck einer gutbürgerlichen Haltung. Institutionen wie Kirchen, Schulen oder Behörden prägten das Leben der Gemeinschaft. Heute werden solche Instanzen als einengend oder bevormundend empfunden. Dazu kommt, dass sich die Menschen generell nicht mehr fest an Organisationen binden wollen, wie es auch im Vereinsleben zu sehen ist. Dies dürfte zum Teil mit der erhöhten Mobilität zusammenhängen. Die Verankerung im eigenen Quartier ist nicht mehr so stark gegeben.»

Gelder bleiben in Zürich

Noch ist unklar, welch finanziellen Einbussen diese hohe Anzahl Austritte mit sich bringe, stehen die Steuerrechnungen 2019 ja noch aus: «Wir rechnen aber mit 650 000 bis 700 000 Franken weniger.»

Viel einschneidender werde aber die Senkung der Steuer für juristische Personen ab 2021 von 8 % auf 7 %. «Das bedeutet für uns eine jährliche Einbusse von ca. 5 Millionen Franken, sagt Oliver Kraaz. Um diesen Verlust zu kompensieren, wurde bereits vor rund drei Jahren das Reformprojekt ‹Katholisch Stadt Zürich 2030› lanciert. Dieses nimmt sich genau diesen Entwicklungen und deren Konsequenzen an.»

Wie aber will man dem Austrittstrend bremsen? Oder noch provokativer gefragt, warum braucht es die Katholische Kirche noch? «Aus Solidarität mit den Schwächsten. Wer in der Stadt Zürich Mitglied der Katholischen Kirche ist, unterstützt vor seiner Haustüre zahlreiche wohltätige Einrichtungen. In vielen sozialen Bereichen hilft die Kirche dort, wo andere nicht helfen können – oder wollen. Das Geld der Kirchensteuer fliesst nämlich nicht in den Vatikan oder zum Bischof nach Chur ab, wie oft angenommen wird. Es bleibt in Zürich», so Kraaz.

Wichtig sei es nun, der Kirche wieder ein menschliches Gesicht zu geben. «Es muss uns gelingen, die jahrtausendealte Glaubenstradition zeitgemäss vermitteln zu können. Zeigen, dass Glaube eine Lebensstütze ist. In diese Richtung zielt unsere aktuelle Initiative ‹Kirche urban›, die neue Wege des Glaubens- und Kirchenlebens ausprobiert, aber nicht missionieren will.»

Auch Reformierte verlieren

Auch die Reformierten verlieren Mitglieder. Schweizweit sind letztes Jahr 26 198 Personen ausgetreten, 18 Prozent mehr als im Vorjahr. In der Stadt Zürich waren es 2107 austretende Mitglieder (Vorjahr 2034), womit es Ende 2019 noch  80 698  reformierte Mitglieder in der Stadt gab. Für Michael U. Braunschweig, Vizepräsident der Reformierten Kirchgemeinde Zürich, sei dies keine Überraschung. Auch 2020 rechne man mit Austritten in dieser Grössenordnung. Die Ursache dafür sieht er ebenfalls beim gesellschaftlichen Wandel. Die Zunahme individueller Möglichkeiten, um sein Leben zu gestalten, hindere Menschen vermehrt daran, sich fest an etwas zu binden. Auch bei der Partnerwahl spiele der religiöse Glaube immer eine geringere Bedeutung «und Reformierte haben vergleichsweise weniger Kinder, dadurch wird auch die Weitergabe reformierter Identität schwieriger». Weiter verunsichere die «schief gelagerte öffentliche Debatte in den meisten Medien, in der religiöser Glaube wechselweise als Problemfall, Konfliktursache oder intellektuell zurückgeblieben karikiert wird».

Nun müsse auf diese neue Situation reagiert werden. Dabei helfe keine Marketing-Kampagne. Laut Braunschweig sei es besonders wichtig, «stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Mitglieder einzugehen. Kirchen müssen sich vermehrt anstrengen, dass die Menschen sie wieder mehr wahr- und ernst nehmen, auch als Institution, die einen Beitrag dazu leistet, dass in unserer Gegenwart und in zukünftigen Gegenwarten nicht Abgrenzung, Konkurrenz oder das Recht des Stärkeren dominieren, sondern menschliche Wärme, Zuneigung und Gerechtigkeit».

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