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Viele ältere Leute, oftmals mit Demenz, lehnen Hilfe ab. «Wir schreiten nur ein, wenn es nicht mehr anders geht», sagt Kesb-Präsident Michael Allgäuer. Symbolbild Adobe

Schutz im Alter

Von: Ginger Hebel

07. Februar 2023

Beistandschaft  Seit zehn Jahren gibt es die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden Kesb. Beistandschaften gegen den Willen können verhindert werden.

Eine 85-jährige Frau, alleinstehend, stürzt in ihrer Wohnung und kann nicht mehr aufstehen. Nachbarn fällt auf, dass sie das Haus nicht mehr verlässt. Die Stadtpolizei Zürich informiert die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) über einen Einsatz bei der betagten Dame. Diese findet eine komplett überstellte und verwahrloste Wohnung vor und muss sich zuerst einen Weg bahnen. Weil der Geriatrische Dienst der Stadt Zürich die Frau überzeugen kann, Hilfe von der Spitex anzunehmen, verzichtet die Kesb auf eine Massnahme.

Doch die Situation spitzt sich zu. Rechnungen werden nicht mehr bezahlt, auch die Steuererklärung wurde seit Jahren nicht mehr gemacht. Weil die Frau schliesslich jegliche Hilfe verweigert, kommt die Kesb zum Schluss, dass sie durch eine Beistandsperson in den Bereichen Administration, Finanzen und Wohnen unterstützt werden soll. Sie erhält eine Beistandschaft gegen ihren Willen.

Dieses Fallbeispiel zeigt das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und behördlicher Unterstützung. «Wir schreiten nur ein, wenn es nicht mehr anders geht. Die Kesb hat den gesetzlichen Auftrag, Kinder und Erwachsene zu schützen und zu unterstützen, wenn sie selbst oder ihre Familien dazu nicht oder nicht mehr ausreichend in der Lage sind», erklärt Kesb-Präsident Michael Allgäuer. Vor zehn Jahren trat das revidierte Erwachsenenschutzrecht in Kraft, die vormaligen Vormundschaftsbehörden wurden durch die neuen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) abgelöst.

Einsamkeit als Problem

Im vergangenen Jahr gab es einen deutlichen Zugang bei der Neuanordnung von Erwachsenenschutzmassnahmen (2022: 579; 2021: 530; 2020: 474), wobei es in den letzten Jahren immer wieder zu grösseren Schwankungen kam. Bei der Anordnung von Kindesschutzmassnahmen war dagegen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen (2022: 408, 2021: 461). «Unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums war die Anordnung von Massnahmen seit 2013 anfangs leicht rückläufig, dann stabil. Ein Grund ist der konsequente Verzicht auf die Anordnung von Massnahmen, wenn andere Lösungen ohne Eingriff der Behörde möglich sind», betont Michael Allgäuer.

Die Kesb arbeitet eng mit dem Stadtärztlichen Dienst der Stadt Zürich zusammen. Stadtärztin Dr. Gaby Bieri ist auch ärztliche Direktorin der städtischen Gesundheitszentren für das Alter und kennt die Probleme. Gerade Menschen mit Demenz oder psychischen Erkrankungen würden oft unter Anosognosie leiden. «Sie verhalten sich so, als ob ihnen das Bewusstsein für ihre Erkrankung und die damit verbundenen Einschränkungen fehlen würde. Sie lehnen Hilfe ab, was eine Zusammenarbeit erschwert.»

Selbstbestimmung sei das Leitprinzip des neuen Erwachsenenschutzrechts. Aber: «Die konkrete Umsetzung in der Praxis stellt eine grosse Herausforderung für alle Beteiligten dar», betont Bieri. So hätten Angehörige oder auch unterstützende Dienste teilweise andere Erwartungen an die Kesb. Um Lösungen zu finden, seien oft viele Gespräche notwendig. «Teilweise bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die Situation der Betroffenen eine Beistandschaft gegen den Willen erfordert», so Bieri.

Immer wieder melden sich Nachbarn oder Angehörige beim Stadtärztlichen Dienst, weil es beispielsweise aus einer Wohnung stinkt. Die Kesb betont, sie sei tolerant bezüglich Verwahrlosung, solange elementare Bedürfnisse wie Ernährung und Finanzierung des Lebensunterhalts sichergestellt seien. Eine Beistandschaft drängt sich beispielsweise dann auf, wenn die Miete nicht mehr bezahlt wird und der Verlust der Wohnung droht oder die Spitex die Leistungen einstellt, weil Rechnungen nicht beglichen werden.

«Einsamkeit im Alter ist ein Problem, über das ungern gesprochen wird. Viele leben alleine und da fällt es oft nicht so schnell auf, wenn die Wohnung nicht mehr verlassen, nicht mehr eingekauft oder Einzahlungen nicht getätigt werden», sagt Käthi Dellenbach, Kesb-Vizepräsidentin und Behördenmitglied. Wenn jedoch Vertrauenspersonen wie eigene Kinder oder Freunde da seien, die sich um die persönliche Sorge sowie finanzielle und administrative Belange kümmern können, sei es wichtig, rechtzeitig einen Vorsorgeauftrag zu erstellen. Er sei ein wichtiges Instrument der Selbstbestimmung im neuen Recht. Dellenbach: «Er hat sich grundsätzlich bewährt, wird aber noch zu wenig genutzt. Mit Vorsorgeaufträgen können Beistandschaften verhindert werden.»

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echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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