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So kann eine Zelle in der Untersuchungshaft aussehen. Bild: GH

Verbesserung der U-Haft

Von: Ginger Hebel

02. Juli 2024

Die Untersuchungshaft soll stärker darauf ausgerichtet werden, die Ressourcen der verhafteten Personen zu erhalten, um Haftschäden zu verhindern. Es ist ein Projekt für die ganze Schweiz.

16 000 Menschen werden jedes Jahr im Kanton Zürich verhaftet. Das Gefängnis Zürich West registriert dabei 12 000 Eintritte in die vorläufige Festnahme. Durchschnittlich verbringen Tatverdächtige 84 Tage in U-Haft.
Die Schweizer Untersuchungshaft steht immer wieder in der Kritik. Bemängelt werden die langen Einschlusszeiten, die Isolation und wenigen sozialen Kontakte in Bezug auf Besuche oder den Zugang zum Telefon. Menschenrechtsorganisationen wie Humanrights kritisieren die Haftbedingungen, die teilweise strenger seien als für verurteilte Personen im Strafvollzug. Auch verweisen sie auf die hohe Suizidrate in Schweizer Gefängnissen. Durchschnittlich nahmen sich im Jahr 2022 von 10 000 Insassen 20.2 das Leben, wie einem veröffentlichen Bericht des Europarats über die Gefängnisinsassen zu entnehmen war.


Gegen Personen in U-Haft besteht dringender Tatverdacht. «Dabei geht aber oft vergessen, dass für diese Personen die Unschuldsvermutung gilt. Erfahrungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass sich die strengen Haftbedingungen schädlich auf die Betroffenen auswirkten. Fakt ist: die meisten werden wieder unsere Nachbarn. Haftschäden erschweren die Wiedereingliederung in die Gesellschaft», sagt die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr, Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern.
Der Modellversuch zielt darauf ab, die Ressourcen der Inhaftierten zu erhalten. Zürich und Bern führen den Modellversuch mit Unterstützung des Bundesamts für Justiz durch. «Ziel des Versuchs ist eine innovative Weiterentwicklung und Verbesserung der Untersuchungshaft», sagt Projektleiter Stefan Tobler. In den vergangenen Jahren habe sich in der U-Haft viel getan, so sei inzwischen  Gruppenvollzug Standard und Aufenthalte bis zu acht Stunden ausserhalb der Zelle statt wie bisher nur einer Stunde am Tag. Dazu kommen Bildungsangebote und Familienbesuchszimmer. Der Modellversuch ist eine Weiterentwicklung der bisherigen Reformen mit dem Fokus auf die Ressourcen der Inhaftierten wie Arbeitsplatzerhalt und Kontakt zu Angehörigen. Die meisten Inhaftierten werden nach ein bis drei Monaten als Unschuldige aus der U-Haft entlassen, viele mit einer Busse.

 


Das Problem: Personen in U-Haft wissen nicht, wie lange diese dauert. «Sie werden abrupt aus ihrem Alltag gerissen, haben Angst, den Job und die Wohnung zu verlieren, was häufig auch geschieht», sagt Jacqueline Fehr. Hinzu kommen persönliche Probleme wie Angst und Panik durch das Eingesperrtsein in der Zelle. Fachpersonen sind sich deshalb einig: Die U-Haft soll keinen Strafcharakter haben. «Verbesserte U-Haftbedingungen schützen nicht nur die Rechte der Inhaftierten, sondern reduzieren auch die für die Gesellschaft anfallenden Folgekosten, die durch Haftschäden entstehen», betont SP-Kantonsrätin Leandra Columberg.

Haftschäden vermeiden

Neu findet beim Eintritt ein Lebensbereichsgespräch mit dem Sozialdienst statt, um die Wohn-, die berufliche und familiäre Situation zu erfassen. Wenn nötig, erfolgen Sofortmassnahmen. Das Programm Prison Stress Management (PRISMA) will die Inhaftierten befähigen, mit Problemen besser umzugehen. Sie lernen in Online-Trainings mit Laptops in ihren Zellen Entspannungs- und Atemtechniken kennen. Als Prisma-Trainer wurden bereits 23 Personen ausgebildet, die in neun Sprachen ein Training anbieten können. Rund 150 Inhaftierte aus den Kantonen Zürich und Bern nahmen bereits freiwillig teil. Für die U-Haft-Mitarbeitenden wurde ein Ausbildungsprogramm entwickelt. Sie lernen, die Beziehungen zu den Inhaftierten optimal zu gestalten und deren Ressourcen zu erhalten und zu fördern. Im Schulungsgefängnis Meilen werden in den nächsten zwei Jahren alle Mitarbeitenden mit Kontakt zu Inhaftierten Weiterbildungen absolvieren.  «Ein wichtiger Bestandteil sind Rollenspiele, der Umgang mit Scham, Macht und Ohnmacht, Kommunikation, Nähe und Distanz sowie Beziehungsaufbau mit den Gefangenen», erklärt Laetitia Hardegger, Verantwortliche Projektleiterin für das Ausbildungsprogramm.

Der Berner Regierungsrat und Sicherheitsdirektor Philippe Müller betont: «Es geht darum, Haftschäden und entsprechende Kosten zu vermeiden. Aber die Untersuchungshaft bleibt eine Haft. Auf die eigentliche Strafverfolgung darf der Modellversuch keinen Einfluss haben.» ETH und Uni Zürich begleiten das Projekt. Kostenpunkt: rund 12,8 Millionen Franken.


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