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Ayda Ergez (l.) und Ruth Van de Gaer Sturzenegger (r.) haben ein Buch geschrieben. Darin verarbeitet Ruth ihre traumatischen Erfahrungen mit Onlinebetrug.

Vom grossen Gewinn zur gähnenden Leere auf dem Konto

Von: Ginger Hebel

02. April 2024

Betrugsfall: Ruth Van de Gaer Sturzenegger wurde Opfer von Internetbetrügern. Sie verlor fast 1 Million Franken. Mit ihrer Freundin Ayda Ergez hat sie ein Buch geschrieben, um andere vor diesem Fehler zu bewahren.

Das Konto: leer. Die Verzweiflung: gross. Schulden. Existenzängste. Selbstvorwürfe. Ruth Van de Gaer Sturzenegger ist das widerfahren, was für viele ein Horrorszenario ist: Sie hat alles verloren, was sie besass. Ihr Vermögen und ihr Selbstwertgefühl. Sie wurde Opfer von Cyberkriminellen. Mit über 50 Jahren musste sie noch einmal von vorne anfangen. Alles fing mit einer Facebook-Nachricht an: «Es ist so toll, ich habe 250 Euro investiert und nach kurzer Zeit bereits 2750 Euro auf mein Konto überwiesen bekommen. Ich kann es nur empfehlen!» Diese Nachricht hatte sie über Wochen von der gleichen Person erhalten, einer entfernten Bekannten. «An jenem schicksalhaften Abend vom 16. März 2022 sprang ich darauf an», erzählt Ruth Van de Gaer Sturzenegger. Ein folgenschwerer Fehler, denn, wie sich später herausstellen sollte, wurde das Konto der Bekannten gehackt, die Nachricht von Betrügern gefälscht.

Sie klickte auf den Link und registrierte sich, um die 250 Euro einzuzahlen. Sofort bekam sie eine Antwort, dass sie herzlich willkommen sei und sich umgehend ein Berater bei ihr melden würde. «Es klang alles professionell. Ich kannte dieses Vorgehen bereits von meiner Anlagebank.» Man fragte sie, ob sie sich im Online-Trading auskenne, was sie verneinte, und ob sie Geld verdienen wolle. «Ich habe den blöden Spruch gebracht: Gegen eine Million hätte ich nichts einzuwenden.» Einen Tag später, nachdem sie die Zahlung getätigt hatte, meldete sich ein Mann telefonisch über WhatsApp und stellte sich als Senior Broker Daniel Mayo vor. Der Berater führte sie in die Trading-Plattform ein, damit sie die Entwicklung ihres Geldes Schritt für Schritt und in Echtzeit verfolgen konnte. Er begann, sie über das Tagesgeschehen wie den Ukraine-Krieg zu informieren und überzeugte sie davon, dass diese Situation der richtige Zeitpunkt sei, kurzfristig in Rohstoffe wie Brent-Öl zu investieren, dessen Wert in der Krise explodierte. «Es klang alles plausibel, denn Rohstoffe waren das Thema, welches auch in den Medien allgegenwärtig war.»

Sie telefonierten jeden Tag mehrmals miteinander, immer wieder überredete er sie, neue Investitionen zu tätigen, noch mehr Geld einzuzahlen, was sie tat in der Hoffnung, Gewinne einzufahren. Warum sie einem Fremden ihr Geld anvertraute? «Vielleicht waren es seine vertrauenswürdige Stimme oder das Lachen in Kombination mit den professionell wirkenden Analyse-Charts, die mich überzeugt hatten. Ich stellte mir vor, wie ich Geld auf die Seite legen und die Familie unterstützen könnte.»

2,5 Millionen – ein Irrtum

Ruth Van de Gaer Sturzenegger, geschieden, zwei Kinder, leitete damals eine Fitness- und Gesundheitsfirma, bot Kurse an, die während der Pandemie aber nicht mehr durchgeführt werden konnten. Ihr Geschäftsmodell, welches sie über Jahre mit Leidenschaft aufgebaut hatte, stand plötzlich auf der Kippe. Sie überlegte sich, wie sie sich ein finanzielles Polster anschaffen konnte, auch als Sicherheit für ihre Kinder. Ihr Geld vermehrte sich, bis der vermeintlich fette Deal das ganz grosse Geld brachte: 2,5 Millionen Franken. «Ich traute meinen Augen nicht, als ich diesen Betrag auf meiner Trading-Plattform sah. Ich wollte die Auszahlung auslösen, bevor die Kurse wieder zusammenbrechen.» Doch der versprochene Gewinn landete nicht auf ihrem Konto. Stattdessen: Gähnende Leere.

Die Begründung der Betrüger: Es sei ein Problem bei Blockchain aufgetreten und sie müsse zuerst Steuern bezahlen, 100 000 Franken, danach könne man die Auszahlung ihres Geldes veranlassen. Sie war verzweifelt. Da ihre Konten bereits leergeräumt waren, lieh sie sich das Geld von ihrer Mutter sowie einer Freundin und überwies den Betrag. Doch der Albtraum ging weiter, sie wollten weitere 100 000 Franken, weil sie die Anweisungen von Blockchain missachtet hatte. «Man drohte mir, wenn ich nicht zahle, würde ich das Geld nie wieder sehen.» Sie kratzte ihre letzten Notreserven zusammen und lieh sich den noch fehlenden Betrag von ihrer Schwester. Schulden zu machen, war ihr äusserst unangenehm. Als auch nach der zweiten Zahlung der Gewinn nicht auf ihrem Konto einging und die Betrüger nochmals 200 000 Franken von ihr verlangten, weil ihnen ein Fehler unterlaufen wäre, wurde ihr klar: Sie war auf einen Internetbetrug reingefallen. «Viele Leser werden jetzt denken: Wie kann man nur so naiv sein. Das ist in Ordnung. Ich weiss aber: Es kann jede und jeden treffen. Vor Betrug ist niemand gefeit. Wer sich in einer schwierigen Situation befindet, ist empfänglicher für vermeintliche Optionen.»

Sie ist überzeugt: Durch die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz werden die Betrugsmaschen noch perfider. Heute, zwei Jahre später, ist sie schuldenfrei. Sie hat ihre Wohnung in Portugal verkauft und zahlte damit umgehend ihre Schulden zurück. Sie hält sich mit mehreren Jobs über Wasser, versucht, finanziell wieder auf die Beine zu kommen, Stabilität zu gewinnen. Sie steht zu ihrer Geschichte, zu ihrem Fehler, weil es ihr ein grosses Anliegen ist, andere davor zu bewahren. Mit ihrer langjährigen Freundin Ayda Ergez, die ebenfalls beruflich in der Stadt Zürich tätig ist, hat sie ein Buch über ihre Geschichte geschrieben. «Mein Ziel ist es, dass die Leserinnen und Leser nach der Lektüre besser informiert und in der Lage sind, sich selbst und ihre Daten im Internet zu schützen. Auch möchte ich mit meiner Geschichte andere Betroffene dabei unterstützen, das traumatische Ereignis zu verarbeiten.»

Die Frauen haben parallel zum Buch die Webseite thebrightyou.com ins Leben gerufen, um gezielt Geschädigte mit Hilfsangeboten zu unterstützen und in enger Zusammenarbeit mit offiziellen Behörden wie der Schweizerischen Kriminalprävention und Opferhilfe Schweiz Aufklärung zu bieten. Sie organisieren regelmässig anonyme Treffen für Geschädigte und Angehörige, die einen Austausch mit anderen Betroffenen, Informationen, Verständnis und Trost suchen. «Es kommen Frauen und Männer, die in ihrem Leben und im Beruf viel erreicht haben und dennoch auf die Betrüger reingefallen sind. Sie haben viel Geld verloren und schämen sich dafür. Aber reden hilft.»

Hat sie sich selbst verziehen? «Ja, ich musste mir vergeben, um nochmal von vorne anfangen zu können. Ich bin auf Betrüger reingefallen, und ich trage dafür die volle Verantwortung. Aber ich kann dazu beitragen, dass anderen nicht dasselbe passiert.»

Weitere Infos: Nächste Lesung & Cybertalk, Di., 9. April, 19.30 Uhr, Glen Fahrn, Dufourstr. 65, Zol­likon

www.thebrightyou.com

Bücher zu gewinnen: Das «Tagblatt» verlost 2 signierte Exemplare der Autobiografie «Nichts gegen eine Million» von Ruth Van de Gaer Sturzenegger. Schreiben Sie uns eine E-Mail mit Name, Adresse, Telefon und dem Betreff Betrugsfall an gewinn@tagblattzuerich.ch

 

 

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