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Weiss nach einem Blick ins Gesicht des Gegenübers, wo bei diesem der Schuh drückt: Gesichtsleser Eric Standop. Bild: Sacha Beuth

Wenn ein Gesicht mehr als tausend Worte sagt

Von: Sacha Beuth

27. Oktober 2020

Eric Standop besitzt eine besondere Fähigkeit. Er kann aus den Gesichtern anderer Leute deren Lebenssituation und Gesundheitszustand ablesen. Im «Tagblatt» verrät der 54-jährige Deutsche, wie dies funktioniert und wie Corona seine Tätigkeit beeinflusst.

Dass das Maskentragen zum Schutz vor Corona gelegentlich die Atmung erschweren kann, hat wohl jeder schon festgestellt. Den wenigsten dürfte jedoch aufgefallen sein, wie sehr dadurch auch die Kommunikation eingeschränkt wird. Und zwar wegen der unvollständigen Mimik. «Im Gespräch können wir so vom Gegenüber gerade mal die Augen und einen Teil der Stirn erkennen. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse zeigen aber, dass ein grosser, wenn nicht sogar der grösste Teil einer gesprochenen Aussage nonverbal erfolgt. Also über den Klang und die Mimik. Von Letzterer fehlen aber bei einem maskierten Menschen die Muskelbewegungen von Mund und Wangen. Wir bekommen nur ein unvollständiges Bild und das beeinflusst die Glaubwürdigkeit einer Aussage», erklärt Eric Standop und fügt schmunzelnd hinzu: «Es heisst nicht umsonst: Ein Gesicht sagt mehr als tausend Worte».

Verräterische Mundwinkel

Der 54-jährige Deutsche muss es wissen, denn er ist ein sogenannter Face Reader. Er ist in der Lage, durch einen Blick in das Antlitz des Gegenübers dessen Persönlichkeit und gesundheitliche Auffälligkeiten herauszulesen. Doch wie funktioniert das genau? «Als Erstes muss man ein guter Beobachter sein. Das betrifft nicht nur die Mimik, sondern auch das übrige Verhalten des Gegenübers. Dann gibt es verschiedene Methoden, nach denen man vorgehen kann, und Zeichen, die man erkennen muss. Ist zum Beispiel der rechte Mundwinkel stärker in Bewegung, dann ist die linke Gehirnhälfte aktiver. Das heisst, man hat es mit einem Menschen zu tun, der analytisch denkt und der viel mit Zahlen, Fakten oder Strategien zu tun hat. Umgekehrt hätte man eher eine kreative Person oder / und einen Tagträumer vor sich. Oder nehmen wir die Falten auf der Stirn. Sind es drei durchgängige, regelmässige Falten, dann hat man eine verlässliche, offene Person vor sich. Sind es dagegen kleine, brüchige Falten, ist die dazugehörige Person eher unstet und flatterhaft in ihren Gedanken. Bei einer senkrechten, tiefen Stirnfalte hat man es mit einem fokussierten, manchmal auch engstirnigen Menschen zu tun. Ist wiederum das Weiss der Augen gelb verfärbt, stimmt beim Betreffenden etwas mit der Leber nicht.»

Dass Leute an seinen Analysen zweifeln und ihm deswegen erst mal mit Skepsis begegnen, stört ihn nicht. «Schliesslich war ich selbst ein Skeptiker – und bin es teilweise heute noch. So auch, als ich das erste Mal mit dem Thema in Kontakt kam. Das war vor etwa 20 Jahren. Ich erholte mich gerade in Südafrika von einem Burnout, nachdem ich zuvor mehrere Jahre als Manager in der Unterhaltungsindustrie gearbeitet hatte. Ich war mit zwei Bekannten am Strand unterwegs, als sie mich auf eine Hütte aufmerksam machten und meinten, ich solle da mal rein und mir aus dem Gesicht lesen lassen. In der Hütte fand ich dann einen fast zahnlosen, alten und heruntergekommenen Mann vor, der nach Alkohol stank. Gegen einen Obolus von zwei Bieren fing er an, aus meinem Gesicht zu lesen. Erst waren es nur Belanglosigkeiten, dann kamen immer mehr konkrete Aussagen hinzu, die dieser Mann unmöglich auf anderem Weg hatte erfahren können. Als ich die Hütte verliess, war ich fest entschlossen, mir diese Fähigkeiten auch anzueignen.» Der geborene Karlsruher sucht erst in Europa und im Internet nach Personen, die ihn hier weiterbringen können, wird aber nicht fündig. Erst bei einer Reise nach Südamerika trifft er wieder einen Gesichtsleser und geht bei diesem für rund vier Monate in die Lehre. Das ist Standop aber nicht genug. Im Wissen, dass in Asien Gesichtslesen einen höheren Stellenwert geniesst, fliegt er nach Hongkong und lernt durch Zufall einen Grossmeister kennen, der ihn unter seine Fittiche nimmt und selbst zum Grossmeister formt. Weil die Klientel in Hongkong aber schon aufgeteilt ist und Europa in Sachen Gesichtslesen in den Kinderschuhen steckt, zieht Standop in die USA. Innert kurzer Zeit gelingt es ihm, sich dort mit seinem Können als Berater von Managern der Techindustrie und Hollywoodgrössen einen Namen zu machen.

Heute leitet Eric Standop die «Academy of Face Reading» und gibt sein Wissen unter anderem an Personalverantwortliche weiter oder schult Polizisten darin, beim Verhör Lügen zu erkennen. Zudem hält er in Europa und den USA Vorträge und unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe. Gegenwärtig ist er bei verschiedenen Zürcher Medien zu Gast, um sein neustes Buch «Ich lese dich» vorzustellen, in dem er nicht nur viele seiner Vorgehensweisen preisgibt, sondern diese auch mit Erlebnissen untermalt.

«Ich lese Dich», 275 Seiten, GU-Verlag, ab sofort im Handel erhältlich. Weitere Infos: www.readtheface.com

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