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Wie eine Betrogene zur Betrügerin wurde
Von: Isabella Seemann
GERICHTSFALL: Eine langjährige Mitarbeiterin zweigte Gelder vom Arbeitgeber ab. Ihr Motiv: Liebe. Nun steht sie da ohne Mann, ohne Arbeit, dafür mit Schuldenberg.
Liebe kann gefährlich sein. Wenn Frauen vor die Schranken des Gerichts stöckeln, dauert es jedenfalls meistens nur zwei, drei Sätze lang, bis sie auf den Mann zu sprechen kommen, der sie vermeintlich zu kriminellen Handlungen trieb. «Ich hatte Angst, den Pedro zu verlieren», antwortet die 45-jährige Sandra B.* auf die Frage der Richterin, weshalb sie als Verantwortliche für Buchhaltung und Einkauf eines Verbands Rechnungen fälschte sowie Mitgliederbeiträge und Spendengelder abzweigte. 133 000 Franken sackte sie im Laufe dreier Jahre ein.
Alles für den Pedro
Fast zehn Seiten lang ist die Liste der von ihr begangenen Fälle von Untreue und Unterschlagung. Hinzu kommen noch eine Unterschriftsfälschung und ein vorgetäuschter Diebstahl. Nach Untersuchungshaft, Selbstmordversuch und «Klapsmühli» sitzt sie nun in ihrem besten Hosenanzug aus grauem Polyester vor dem Bezirksgericht: eine blasse Frau mit dünnem Pferdeschwanz, das Gesicht von Medikamentenmissbrauch gezeichnet. Ab und zu schnäuzt sie in ein Taschentuch, doch sie weint nicht. «Alles hätte ich getan, dass der Pedro bei mir bleibt. Ich war ja nie eine attraktive Frau. Und als ich die Stelle als Verbandssekretärin erhielt, erwartete er, dass ich jetzt für die Familie aufkomme, damit er endlich sein eigenes Leben führen kann.»
Damals, als man ihr auf die Schliche kam, sagte sie «gut, dass es endlich aufgeflogen ist». Schon oft habe sie bei der Telefonseelsorge angerufen, wo man ihr zur Selbstanzeige und zur Psychotherapie riet. «Doch ich habe nie den Mut und die Kraft aufgebracht», sagt sie.
Wohlstand als Eheretter
Die Richterin braucht einige Zeit, um die Verhältnisse zu entwirren. Offenbar hängen Sandras Delikte untrennbar mit ihrer inzwischen gescheiterten Ehe zusammen. Mit 18 wurde sie schwanger, brach ihre Ausbildung zur Krankenschwester ab und wurde Hausfrau; der Mann, ein südamerikanischer Koch mit Hang zum Alkohol- und Drogenkonsum, sorgte notdürftig für den Unterhalt, hatte aber schon früh Affären mit anderen Frauen. Der plötzliche Wohlstand sollte ihre Ehe retten; sie unterschlug erst kleinere Summen, später aber Einzelbeträge von bis zu 10 000 Franken. Sandra ermöglichte ihrem Mann den Weg in die Selbstständigkeit und bezahlte ihm Fernreisen; sie selbst kaufte sich Kleider und Kosmetik, um für ihn attraktiver zu sein.
Ihre Verteidigerin rekapituliert den Werdegang der Angeklagten, beschreibt die Kluft zwischen deren hochgesteckten Ambitionen und den Niederungen ihres alltäglichen Lebens («Der grösste Traum meiner Mandantin war, künstlerisch tätig zu sein») und zitiert aus dem psychiatrischen Gutachten. Fast gerät das Plädoyer zu einer Lobrede auf Sandras Trotz-allem-Erfolge als fürsorgliche Mutter eines wohlgeratenen Sohnes, als beliebte Mitarbeiterin, als freiwillige Helferin in einem Verein. Sie sei geständig, reuig, nicht vorbestraft, bemüht, den Schaden wiedergutzumachen. Angesichts dessen sei von einer Strafe abzusehen, plädiert die Verteidigerin.
Die Gerichtsangestellten hören konzentriert zu, die Gymischüler auf den Publikumsrängen schreiben auf ihre Blöcke, und man glaubt einen Moment lang zu erkennen, dass Sandra B. diese Aufmerksamkeit geniesst, einmal im Leben im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Im Bezirksgericht steht am Ende dieser Erzählung jedoch nicht der Applaus, sondern eine Strafe. Sandra B. wird wegen mehrfacher Veruntreuung und Urkundenfälschung zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 110 Franken verurteilt sowie zu einer Busse von 1800 Franken plus Schadenersatzzahlung, die sie bereits angefangen hat abzustottern. Beim Hinausgehen löst sie den Pferdeschwanz und zieht ihr Gesicht mit einem mattblonden Haarvorhang zu.
* persönliche Angaben geändert
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