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Windeln voll: den Lehrern stinkts
Von: Clarissa Rohrbach
Die Zahl der Kindergärtler, die noch nicht trocken sind, steigt. Die Lehrer weigern sich aber, zu wickeln, und fordern mehr Einsatz von den Eltern.
Volle Windeln, und keiner will sie wechseln. Dies könnte in naher Zukunft Alltag im Kindergarten sein. Grund: Durch das Konkordat über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (Harmos) verschiebt sich der Stichtag für den Kindergarteneintritt bis 2019/20 auf den 31. Juli. Das heisst, die Jüngsten werden dann vier Jahre und zwei Wochen alt sein und teilweise unfähig, selber auf die Toilette zu gehen. Bereits jetzt sind immer mehr Kindergärtler nicht trocken. «Die Zahl der Kinder, die gewickelt werden müssen, steigt an», sagt Barbara Schwarz vom Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband. Dieser hält in einem Positionspapier fest: Lehrpersonen wechseln keine Windeln. «Sie sind allein für die rund 20 Kinder zuständig, da können sie die Klasse nicht verlassen, um zu wickeln.» Zurzeit rufe man bei vollen Windeln die Eltern an, die aber meist wenig erfreut oder gar unerreichbar seien. «Kindergärtner sind dann gezwungen einzuspringen.»
Spitzt sich das Problem zu, fordert Schwarz neue Lösungen. Konkret: eine Klassenassistenz, die sich ums Wickeln kümmert. Allerdings müsste diese von der Schulleitung genehmigt werden. Doch bevor es so weit kommt, sollen laut Schwarz zuerst die Eltern zur Verantwortung gezogen werden. Sie empfiehlt diesen, schon vor dem Eintritt in den Kindergarten, am Schnuppertag, den Gang auf die Toilette zu üben. «Es braucht Geduld, aber diese Aufgabe müssen die Eltern wahrnehmen», so Schwarz. Vor 20 Jahren sei Wickeln im Kindergarten kein Thema gewesen. Doch heute, in unserer hektischen Zeit, sei es vielleicht praktischer, dem Kind Windeln anzuziehen, obwohl das nicht seiner Entwicklung entspreche.
Laut Oskar Jenni, leitender Arzt der Entwicklungspädiatrie am Kinderspital, hat sich die Entwicklung der Blasenkontrolle trotz verändertem Erziehungsverhalten über die Generationen nicht verändert. «In welchem Alter ein Kind selbstständig auf die Toilette kann, hängt von seiner individuellen Reife ab.» Eltern könnten zwar die Eigeninitiative des Kindes unterstützen, doch sei ihr Einfluss beschränkt. Deswegen hält Jenni die Forderung nach einem gezielten Training für unrealistisch. «Die Kindergärtner müssen die Vielfalt unter Kindern akzeptieren.» 90 Prozent der Vierjährigen seien trocken, doch es gebe Ausnahmen, sagt Jenni.
Stress für Eltern
«Das Kind auf die Toilette vorzubereiten, kann für die Familien eine grosse Belastung sein», meint Anke Moors vom Verein A:Primo, welcher die Kompetenzen der Eltern stärkt. Solch eine Forderung könne man den Eltern nicht stellen. Manche Eltern müssten erst auf diesen Schritt vorbereitet werden. «Beim Schnuppertag verlangen, dass die Kinder in ein paar Wochen trocken werden, ist zu knapp.»
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Leserkommentare
Judith van der Linde - Eigentlich wissen die Eltern ja schon vor dem Schnuppertag, d.ass sie ihr Kind in den Kindergarten schicken werden. Da bleibt wohl genügend Zeit für das Blasentraining. Ist das Kind aber für die Kontrolle der Ausscheidungen noch nicht reif genug, frage ich
mehr anzeigen ... mich, ob es reif für den Kindergarten ist. Nach meiner Erfahrung sind Kinder stolz und glücklich,wenn sie das Ziel Trockensein erreicht habe, gerade, wenn es etwas mühsam war, das Ziel zu erreichen. Wenn man extra Personal engagieren muss, um die Kinder zu wickeln, sollte sich allerdings niemand beklagen, wenn andernorts Mittel in der Bildung gespart werden müssen.
Andreas Fischbacher - Ein Kind ist doch keine Maschine, die man einfach programmiert. Sämtliche Entwicklungspsychologen stimmen überein, dass es die Initiative des Kindes ist. Es wäre ja dann theoretisch noch einfacher, im Umkehrschluss, inkontinente Erwachsene dazu zu bringen,
mehr anzeigen ... wieder 'trocken zu sein'. Oder??? Ein trauriges Beispiel für die mechanistische Haltung derjenigen, die das Sagen im Erziehungswesen haben, von den Politikern her angefangen.