mobile Navigation

News

Seit 100 Jahren ist die Zentralbibliothek ein Ort des Wissens und der Inspiration, aber auch eine ruhige Oase in der Altstadt: Nach den drei Jahre währenden Umbauten öffnete die ZB 1917 ihre Pforten. Bild: PD

Zentralbibliothek: Festjahr für vier Millionen Bücher

Von: Isabella Seemann

13. Dezember 2016

Vor 100 Jahren entstand am Zähringerplatz ein Tempel für wissenshungrige Zürcher. 2017 feiert die Zentralbibliothek mit einem reichhaltigen Jubiläumsprogramm.

In den Regalen stehen prächtige Handschriften und abgegriffene Schwarten, schwere Folianten und dünne Fibeln, wertvolle Pergamentbücher und das Neuste aus der Welt der Geisteswissenschaften. 6,5 Millionen Einheiten beherbergt die Zentralbibliothek in Zürich, darunter 4,5 Millionen Bücher und Zeitschriftenbände, eine Million grafische Blätter, 316 000 Karten, 213 000 Handschriften und ebenso viele Notendrucke aus zwei Jahrtausenden. Damit ist sie eine der bedeutendsten Universalbibliotheken Europas.

Eine Welt voller Wissen

Der Name Zentralbibliothek ist Programm, denn sie ist Kantons-, Stadt- und Universitätsbibliothek in einem. Die Zürcher stimmten 1914 in weiser Voraussicht der Fusion der Kantons- und der Stadt­bibliothek zu. Drei Jahre später, mitten im Ersten Weltkrieg, öffne- te die Zentralbibliothek mithilfe grosszügiger privater Mittel und als Stiftung ihre Tore. Im kommenden Jahr feiert die ZB, wie sie der Volksmund nennt, mit einem reichhaltigen Jubiläumsprogramm ihren 100. Geburtstag.

Dafür präsentiert sie sich jünger, frischer und zugänglicher denn je: Wer sich scheut, den Tempel der Bücher über die Respekt heischende Treppe zu erklimmen, kann ihn nun auch niederschwellig durch den ebenerdigen Eingang im Hof betreten. Passé sind die dunklen Karteikästen und grauen Schliessfächer. Der Lesebereich leuchtet lemongrün, und blau sind die lärmdämpfenden Polsterwände der Lernzellen. Die offenen Arbeitsplätze sind zur jetzigen Prüfungszeit bis auf den letzten Stuhl belegt. Dazwischen liegt die neue Turicensia-Lounge, wo man mehr über Zürich und seine Bewohner erfährt, als man zu fragen wagt. Sämtliche Zeitungen des Kantons liegen auf, Lokalkrimis, Zürichdeutsch-Wörterbücher, Rezeptsammlungen und Stadtführer.

Den alten Zettelkasten gibt es im Katalogsaal nur noch als Fotografie auf einem elektronischen Bildschirm, um den jungen Leuten aufzuzeigen, wie die Bibliothekare früher die Übersicht behielten. Früher, vor der digitalen Revolution, die den Büchereien den tiefsten Umbruch seit Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern bescherte. Experten meinen sogar, dass die Digitalisierung Bibliotheken überflüssig macht, sie bestenfalls dereinst noch als Sehenswürdigkeit für Touristen dienen.

Renaissance der Bibliothek

Doch ZB-Direktorin Susanna Bliggenstorfer hält diese Sorge für unbegründet: «Eher kann man von einer Renaissance der Bibliotheken sprechen, die als Orte der wissenschaftlichen Kommunikation und des Forschens, des kulturellen Austausches und des konzentrierten Lernens immer stärker genutzt werden.» (Siehe Seite 13) Sowieso versteht man sich längst als «hybride Bibliothek», als einen Ort, wo nebeneinander gedruckte und elektronische Informationsobjekte gesammelt und zur Verfügung gestellt werden und Forschende sich je nach Fachgebiet mit Bytes oder Büchern bedienen.

Studierende vertiefen sich im Gessner-Jahr in die Handschriften des Naturforschers, Hobbyhistoriker betreiben Familienforschung, und Romantiker bewundern Radierungen von Zürcher Landschaften aus dem 17. Jahrhundert. Elektronisch. Ohne das Papier zu beschädigen und zu beflecken.

Zur Digitalisierung gehört dabei auch die Sicherung von Beständen, die vom Verfall bedroht sind. Ein Kampf gegen die Zeit. Denn das säurehaltige Papier, wie es noch vor 100 Jahren in Druck ging, löst sich langsam selbst auf. Jährlich scannen die ZB-Mitarbeiter mehr als eine Million Seiten Handschriften, Bücher, Bilder und Karten ein. Und trotz aller Anstrengungen und Millionen Franken vom Lotteriefonds sind grob geschätzt erst rund 0,5 Prozent des Zürcher Kulturgutes digitalisiert. Sicher also ist, dass es noch lange gedruckte Bücher in der Zentralbibliothek geben wird. Und ebenso Menschen, die sich den Garten Eden als eine Bibliothek vorstellen.

Weitere Infos: www.zb100.ch

«Die Spezialbestände locken Forscher aus der ganzen Welt an»

Susanna Bliggenstorfer, seit acht Jahren Direktorin der Zentralbibliothek, erklärt, wie sie die ZB fit für die Zukunft macht.

Kommt der Tag, an dem nur noch Touristen den Lesesaal besichtigen, weil alle Bücher online eingesehen werden?

Susanna Bliggenstorfer: Bibliotheken braucht es und wird es auch in 100 Jahren noch geben.

Was stimmt Sie optimistisch?

Schauen Sie sich um: Jeder Platz ist belegt! Studenten lernen für Prüfungen und suchen diesen Ort auf, weil sie hier neben Informationen auch Kontakte finden. Den Nobelpreis gewinnt man nicht nachts alleine am Bildschirm sitzend. Geniale Ideen entwickeln sich erst durch Begegnungen mit anderen, durch Inspiration, durch Austausch.

Dafür genügten 24-Stunden- Lesesäle mit Computeranschluss.

Ich bin überzeugt von der Erfindung des Buches. Und ich bin nicht die Einzige, denn trotz Internet werden mehr Bücher gedruckt denn je. Es bringt im Vergleich zum Lesen am Bildschirm zahlreiche Vorteile wie beispielsweise die Übersichtlichkeit. Gleichwohl schreitet die Digitalisierung voran. Die ZB ist eine sogenannte hybride Bibliothek und bietet analoge und digitale Bestände. Je nach Situation greift man zum einen oder zum anderen. Mal sucht man schnell etwas im Internet. Mal braucht man eine präzise Auswahl aus der Fülle an Neuerscheinungen. Gerade da leisten Bibliotheken und ihre Fachreferenten einen zentralen Beitrag, was Google nicht ersetzen kann.

Was ist die grundlegendste Veränderung, die das Internet für Bibliotheken gebracht hat?

Im Internet rücken Bibliotheken weltweit zusammen. Es ist keine Utopie mehr, alle je veröffentlichten Werke allen Menschen zugänglich zu machen. Derzeit arbeiten wir an der Swiss Library Service Platform, einer zentralen Service-Plattform für wissenschaftliche Bibliotheken in der Schweiz. Damit sollen in Zukunft sämtliche Medien einheitlich verwaltet und in einfachster Form recherchiert werden können.

Die ZB ist Universitäts-, aber auch Kantons- und Stadtbibliothek. Welchen Stellenwert haben die Turicensia, also die Zürich betreffenden Sammlungen?

Die Kantons- und Stadtbibliothek ist das Fundament der ZB und wird zum 100-Jahr-Jubiläum stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Von der Handschriften- über die Turicensia-Abteilung bis zur Graphischen Sammlung wollen wir unsere Spezialabteilungen bekannter machen. Die ZB ist auch eine Kulturinstitution: Museum, Konzertsaal, Ort für Vorträge, Ausstellungen und Lesungen. Und sie ist ein Archiv. Alle unsere Veranstaltungen sind direkt mit dem Zürcher Kulturgut, das in unseren Magazinen lagert, verbunden.

Wo steht die ZB im Vergleich zu Topbibliotheken?

Die ZB hat einen grossartigen, kontinuierlichen Bestand, der nie durch Krieg oder Katastrophen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Anlässlich des 500-Jahr- Jubiläums der Reformation forschen Wissenschaftler aus ganz Europa und den USA bei uns.

Worauf werden Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit legen?

Die Digitalisierung unserer Bestände fortsetzen, die Zusammenarbeit mit anderen Hochschulbibliotheken vertiefen und unsere Dienstleistungen näher zu den Benutzenden bringen.

«Das Paradies habe ich mir immer als eine Bibliothek vorgestellt», sagte der argentinische Dichter Jorge Luis Borges. Haben Sie in der Zentralbibliothek Ihr Paradies gefunden?

Borges sah sich als Besucher einer Bibliothek, und für einen Besucher ist die ZB ein Paradies. Die Aufgabe als Direktorin, die Bibliothek in die Zukunft zu führen, ist anspruchsvoll und arbeitsintensiv; nicht ganz so meine Vorstellung vom Paradies. Von sechs Millionen Büchern, Karten und Noten umgeben zu sein, die teils jahrhundertealt sind, sowie Zugang zu Zehntausenden elektronischen Medien zu haben, ist aber ein grossartiges Gefühl.

zurück zu News

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare