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Das Interesse an Schiesskursen und die Anträge für Waffenerwerbsscheine nehmen zu, obwohl die Zürcher laut einer «Tagblatt»-Strassenumfrage mit Waffen nichts am Hut haben. Symbolbild: iStock

Zürcher sagen Nein zur Waffe – oder doch nicht?

Von: Sacha Beuth

29. Juli 2016

Die Häufung von Anschlägen und Amokläufen im nahen Ausland haben die Zürcherinnen und Zürcher verunsichert. Sich eine Waffe zulegen wollen sie gemäss einer «Tagblatt»-Umfrage deswegen nicht. Allerdings widersprechen die Aussagen den Zahlen von Polizei und Anbietern von Schiesskursen.

Istanbul, München, Nizza, Ansbach und zuletzt St-Etienne-du-Rouvray – sechs Terroranschläge auf europäischem Boden mit rund 150 Toten innerhalb von nur 30 Tagen, dazu die Amokläufe in Berlin und Würzburg. Der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor hat aber eine Lösung parat: «Schweizer, bewaffnet euch!», liess er im «Blick» verlauten und forderte zugleich eine Gesetzesänderung, die das Tragen einer Schuss­waffe im öffentlichen Raum und deren Einsatz in Notfällen erlaubt. Dies war Privatpersonen bislang nur gestattet, wenn sie im Besitz eines Waffentragscheins waren.

In Zürich hält man wenig bis gar nichts von dieser Idee, wie eine kleine Strassenumfrage des «Tagblatts» zeigt. Wie die Mehrzahl der Befragten hat zwar auch Karin (26) durch die Vorfälle ein mulmiges Gefühl. «Ich achte inzwischen eindeutig mehr auf meine Umgebung und dubiose Gestalten.» Trotzdem würde sie sich deswegen keine Waffe zulegen. «Eine Bewaffnung ist nicht sinnvoll», findet Verena (27). «Da bin ich voll dagegen. Das würde zu Selbstjustiz und tödlichen Missverständnissen führen», stösst Urs (37) ins gleiche Horn. Und auch Markus (24) lehnt den Vorschlag ab: «Man sieht ja in den USA, dass dies nicht wirklich gut funktioniert.» Mit Daumen runter urteilen Jonas (31) und Johanna (30). «Für mich kommt es nicht infrage, eine Waffe zu kaufen. Einen Terroranschlag könnte man damit sowieso nicht verhindern», ist Jonas überzeugt. Die Meinung teilen nicht nur jüngere Semester, auch ältere Personen können Addors Vorschlag nichts abgewinnen. Walter (65) und Toni (66) etwa finden die Forderung kontra­produktiv. «Den Einsatz von Schusswaffen sollte man Spezialisten überlassen. Ansonsten ist das Risiko hoch, dass Unbeteiligte getroffen werden», so Toni. Selbst Addors Zürcher Parteikollege Mauro Tuena sowie der inzwischen parteilose Mario Babini sind gegen die vorgeschlagene Anpassung des Waffengesetzes.

150 000 Schusswaffen

Alles klar also? – Nicht wenn man auch die Daten der Polizei beizieht. Die stehen eindeutig in Widerspruch zu den gemachten Aussagen. So sind gemäss Judith Hödl, Mediensprecherin der Stadtpolizei Zürich, die Anfragen für einen Waffenerwerbsschein im Vergleich zum letzten Jahr gestiegen. «Insbesondere der Januar war mit über 140 Gesuchen sehr hoch. Allerdings gibt es immer wieder starke Schwankungen. In den letzten zwei Jahren wurden im Schnitt knapp 90 Prozent der Gesuche bewilligt.» Auch die Zahl der Waffen hat zugenommen. Waren 2014 im ganzen Kanton Zürich rund 120 000 Schusswaffen registriert, so sind es aktuell etwa 150 000. Was die Leute dazu bringt, einen Antrag für einen Waffenerwerbsschein zu stellen, darüber kann man nur spekulieren, da die einzelnen Begründungen der Antragsteller nicht statistisch aufgeschlüsselt werden. Kurt Zimmermann, Waffenhändler in Bülach, ist gemäss «Zürichsee-Zeitung» jedenfalls der Meinung, dass ein Teil der gesteigerten Verkaufszahlen mit der Terror- und Amokbedrohung zu tun hat, während seine Mitbewerber in Zürich keine Zunahme feststellen konnten oder keine Auskunft erteilen wollten. Tian Wanner, Selbst­verteidigungstrainer von Functional Fighting, stellt ebenfalls ein erhöhtes Interesse an seinen Schiesskursen fest. «Man merkt, dass sich die Leute verunsichert fühlen.» Sich deswegen zu bewaffnen und für einen Schiesskurs anzumelden, hält er jedoch für nicht zielführend. «Das vermittelt nur ein falsches Gefühl von Sicherheit.»

Was meinen Sie – soll man sich eine Schusswaffe zulegen? Schreiben Sie uns: echo@tagblattzuerich.ch

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