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Porträt

"Ich begleite die Geister ins Licht". Bild: Clarissa Rohrbach

"Äxgüsi, Sie sind im Fall tot"

Von: Clarissa Rohrbach

18. Februar 2014

Manche Zürcher fürchten sich vor Spukhäusern. André H. Corell ist «Geisterläufer» und hat schon manchen Spuk vertrieben. Doch Kritiker Hugo Stamm sieht darin einen Aberglauben und warnt vor weit irdischeren Gefahren: abgeknöpft zu werden.

Sie hörte die Schritte immer zur gleichen Zeit. «Der Boden knarrte, als wäre ein Nachtwandler im Nebenzimmer», sagt Martina Fiegl. Die Designerin stand jede Nacht auf, kontrollierte die Räume ihrer Wohnung, doch da war nichts. «Schliesslich konnte ich nicht mehr schlafen, die Geräusche plagten mich zu sehr.» Nun ist die 33-Jährige von Wiedikon weggezogen; das Haus ist renoviert worden, und der Spuk soll vorbei sein. Fiegl ist nicht die einzige Zürcherin, die glaubte, einen Geist im Haus zu haben. Bei einer kleinen Strassenumfrage von «Blick am Abend» meinte die Hälfte der Befragten, sie würden sich vor Geistern fürchten.

Heiler und Medium André H. Corell aus Birrwil AG kennt diese Ängste. Er bekommt regelmässig Anrufe aus Zürich, von Menschen, die mit den Nerven am Ende sind. Er soll ihnen helfen, das Haus von den Geistern zu befreien. Oder eher die Geister zu befreien, wie er meint. Laut Corell seien Geistwesen in einer Grauzone gefangen und spirituell nicht genug entwickelt, um Lichtwesen zu werden. Sie steckten deswegen in einem Zwischenraum fest, der stark mit der physischen Welt verbunden sei. «Sie wollen ja weiter, aber wissen nicht, wie. Ich begleite sie ins Licht.» Und er fügt hinzu: «Deswegen bin ich kein Geisterjäger, sondern ein Geisterläufer.»

Der 59-Jährige sitzt in Socken auf dem Sofa, Tee trinkend. Es riecht nach Räucherstäbchen, eine Kerze brennt. Er habe gerade ein «Geisterlaufen» hinter sich. Die Anzeichen dafür, dass ein solches Wesen im Haus sei, seien immer die gleichen. So wie bei Fiegl hörten Bewohner Schritte oder Klopfen. Nicht selten gingen Glühbirnen immer wieder aus und Radios von alleine an. Der Geist würde Bilder verrücken, die Lebenden beobachten und sich als kalte Luft hinter dem Nacken spüren lassen.

Sobald Corell bei einem spukenden Objekt sei, spüre er die Präsenz des Geistes. «Ich lege die Hand auf die Hauswand, und es schüttelt mich, ja manchmal schnürt es mir sogar die Kehle zu.» Wenn er seine Augen entspanne, dann nehme er die Geister als Schatten wahr. Dass alles Lebende Energie ausstrahle, sei ein Fakt. Er hält einen Strommesser an die Steckdose. Wie dieser die Stromstärke messe, werde es bald Apparaturen geben, um die Aura der Menschen und die Ausstrahlung der Geister festzuhalten.

Corells Taktik: die Seelen nicht zwingen zu gehen, sondern sie davon zu überzeugen. Mit ruhiger Stimme erklärt das Medium den Geistern erstens, dass sie tot sind, zweitens, dass sie hier auf dieser Welt nichts mehr erreichen können. Er konzentriert sich auf den Geist, fragt, wie er heisst, was ihn an dieser Welt festhält und ob er Mitteilungen an die Lebenden hat. Denn die Geister hätten meistens ungelöste Situationen hinterlassen. Ob das eigene Haus oder die geliebte Frau, eine Sucht wie der Alkohol oder der Augenblick des Todes: Die Wesen würden noch an etwas hängen.

Mit den Geistern kommunizieren, das könne jeder. Dafür hat Corell Informationsblätter geschrieben. Wer einen «Geisterlauf» für 180 Franken pro Stunde bestellt, soll danach dank des Merkblatts auch wissen, wie die Wesen anzusprechen sind. «Manchmal gehen die Geister nicht sofort weg, dann müssen die Bewohner sie selber überzeugen.» Nach drei Wochen vergewissert sich Corell, dass die Energie im Haus wieder gut ist. Dafür gibt er ein Jahr Garantie. Falls er wieder einspringen muss, hat er Akten zur Hand, in denen er jeden «Geisterlauf» festhält. Er zeigt das Journal ­eines Einsatzes an der Birmensdorferstrasse, hält es aber ausser Reichweite – die Informationen seien vertraulich. Die Hausbewohnerin verbrachte damals wegen einer «schweren Energie» schlaflose Nächte, Gegenstände verschwanden spurlos. Da sprach Corell mit dem Geist. Es sei die ehemalige Hausbewohnerin gewesen. Als sie von dannen ging, leuchteten die Augen der Kundin: Endlich war die Luft rein.

Alles nur Scharlatanerie?

«Geister sind ein Aberglaube, mit dem man leichtgläubigen Menschen Angst macht und ihnen viel Geld abknöpft», sagt Esoterik-Experte Hugo Stamm. Der «Tages-Anzeiger»-Redaktor befasst sich seit den 70er-Jahren mit neureligiösen Bewegungen und Scharlatanerie. Wenn Corell behaupte, Geister wahrzunehmen und mit ihnen zu kommunizieren, sei das ein Akt der Selbsttäuschung. «Es gibt keine plausiblen Hinweise, dass solche Geister existieren. Wäre dies der Fall, hätte man ihre Existenz empirisch längst nachweisen können.»

Mit der Kritik konfrontiert, unterscheidet Corell zwischen Leuten, die einfach ein bisschen skeptisch eingestellt sind, und den «Pseudoskeptikern», wie er sie nennt. «Diese sind Kritiker, die unsere friedliebende Art ausnützen und uns angreifen.» Sie würden keinen Millimeter von der eigenen Position abweichen und physische Erklärungen suchen, wo es keine gebe. «Nur weil wir für Alternativen offen sind, werden wir als abgehoben schubladisiert.»

Deswegen ist es für Corell wichtig, sich immer wieder zu erden. Er bewege sich nicht nur in der geistigen Welt, sondern geniesse auch durchaus irdische Vergnügen wie das Jassen. Seinem eher materialistischen Leben als Banker folgte eine Neuorientierung, um mehr Wissen über den Menschen zu sammeln. Er holte die Matura nach und studierte sechs Semester Medizin, informierte sich daneben aber auch über «aussersinnliche Wahrnehmung». «Ich merkte dann bald, dass ich mit komplementärer Medizin, etwa mit Rückführungen in vergangene Leben, den Leuten mehr helfen kann.» Corell ist katholisch aufgewachsen, glaubt heute aber an ein göttliches Prinzip, das keinen Namen hat. Wie das Licht genau aussehe, wisse er nicht, aber er habe energetisch hineingeschaut.

Von dort kämen auch die Schutzengel, die ihm helfen und ihn schützen. Das sei wichtig, denn die Geister würden ihn auslaugen. Corell ist manchmal richtig erschöpft. Geister zu begleiten ist ein harter Job.

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Leserkommentare

Jean Pierre Cotti - Gut verständlich geschriebener Text. Ich kann Herrn Corell's Ansichten nachvollziehen. Es gibt zwischen Himmel und Erde so viele Phänomene, die nur parapsychologisch zu erklären sind. Ich bin jedoch stets sehr skeptisch gegen Herrn Stamm's Meinungen. Ich
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Vor 10 Jahren 7 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.

Thomas Meyer - Hugo Stamm redet letztlich von sich selbst, wenn er von Aberglauben redet – wie sonst ist es zu erklären, dass er alles empirisch betrachten muss. Warum man einen solchen Nörgler immer wieder zu diesen Themen befragt, ist mir ein Rätsel.

Vor 10 Jahren 7 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.