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Porträt

Transparent, ruhig und offen: So möchte Rita Famos die reformierte Kirche in die Zukunft führen. Bild: PD

Das Gesicht des Neuanfangs

Von: Jan Strobel

10. November 2020

Mit der Zürcherin Rita Famos wurde erstmals eine Frau an die Spitze der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz gewählt. Die Neubesetzung hat Symbolkraft und soll wieder Vertrauen schaffen.

Die Bibel ist voller Neuanfänge. Abraham zum Beispiel zog aus seiner vertrauten Heimat weg in ein unbekanntes Terrain. Oder dann Noah in seiner Arche. Auch er wagte etwas Neues. Was ihn leitete, war das Vertrauen auf Gott.

Auch die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) suchte ein neues Terrain, einen Ausbruch aus den Gräben, die sich aufgetan hatten. Die Affäre um den im Mai zurückgetretenen EKS-Präsidenten Gottfried Locher hatte das Vertrauen angeschlagen, das Klima verdüstert. Die Rede war in den Medien von «Streit» und «verheimlichten Affären». Zum Verhängnis wurden Locher Vorwürfe im Zusammenhang mit mutmasslichen Grenzverletzungen gegenüber kirchlichen Mitarbeiterinnen.

Ein Landei eroberte Zürich

Um die Krise zu überwinden und die Scherben aufzukehren, unternahm die Herbstsynode, das Kirchenparlament, letzte Woche in Bern einen Schritt mit Symbolkraft. Sie wählte mit der 54-jährigen Zürcherin Rita Famos erstmals eine Frau zur Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz. Sie soll den rund zwei Millionen Reformierten wieder einen verlässlichen Hafen bieten, den Kompass geerdet, tatkräftig und vermittelnd neu ausrichten.

«Ich habe in der letzten Woche», sagt Rita Famos zu ihrer Wahl, «überwältigend viele positive Reaktionen erhalten und so gemerkt, dass es ein grosser Wille ist, gemeinsam einen Neuanfang zu gestalten». Ihr Beitrag werde es sein, «transparent, ruhig und offen zu arbeiten. Viele Kontakte aufzunehmen, auch gerade dort, wo eventuell noch Skepsis vorhanden ist». Die Untersuchung der Causa Locher sei sehr sorgfältig aufgegleist worden mit einer Meldestelle, einem Advokaturbüro und einer parlamentarischen Kommission. Im Juni sollen die Ergebnisse vorliegen.

Rita Famos leitet seit sieben Jahren die Abteilung Spezialseelsorge der reformierten Kirche Zürich und war zuvor unter anderem Gemeindepfarrerin in Uster und von 2005 bis 2011 in Zürich-Enge. Der Nation bekannt wurde sie als Sprecherin beim «Wort zum Sonntag» im Schweizer Fernsehen. Die Stadt Zürich hat die Mutter zweier erwachsener Kinder, die im bernischen Zweisimmen geboren wurde, in ihr Herz geschlossen, «was etwas heisst für jemanden wie mich, die ein Landei war», schmunzelt sie.

Auch mit dem neuen Amt werde die Stadt für sie ein wichtiger Ort bleiben, sowohl kulturell als auch kirchlich. Rita Famos verbindet mit ihrem Werdegang gleichsam das Land mit der Stadt. Und sie stellt fest: «Der urbane Mensch ist sicher nicht weniger spirituell als die Menschen auf dem Land. Aber er bindet sich noch weniger an Institutionen und Vereine, ist individueller unterwegs». Das sei eine grosse Herausforderung für die Kirchen. Seit den letzten 20 Jahren sinkt die Zahl der Reformierten in der Stadt Zürich kontinuierlich. Heute bezeichnen sich noch 19 Prozent als evangelisch-reformiert. Das sei ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, ist Rita Famos überzeugt. «Da sitzen wir als Kirche im gleichen Boot mit anderen Organisationen, wie zum Beispiel den Samaritervereinen, Sportvereinen, politischen Parteien. Ich glaube, wir müssen gut hinhören, wie die Menschen heute sich geistlich und spirituell beteiligen wollen.» Gerade in der Stadt Zürich sehe sie viele Projekte, die Menschen interessieren und die auch gut besucht seien. Als Beispiele nennt sie das Stadtkloster, die Streetchurch oder das Pilgerpfarramt.

Und auch Rita Famos sieht in der Wahl einer Frau an die Spitze ein starkes Signal – und eine Aufforderung. «Es wird nun der Tatsache Rechnung getragen, dass Frauen sehr viel Arbeit an der Basis leisten und nun auch in der Leitung mitgestalten sollen», sagt sie. «Meine Wahl ist ein wichtiges Zeichen der Ermutigung auch für andere Frauen, sich für Leitungsämter zur Verfügung zu stellen.» Sie sei auch ein Signal, dass die Reformierte Kirche eine offene, moderne Kirche sei, die es schaffe, in Bewegung zu bleiben.

Dabei ist es falsch, von Rita Famos als der «obersten Reformierten» zu sprechen. «Das ist vielmehr die Präsidentin der Synode, des obersten Organs der EKS. Ich werde den Rat leiten, also das Exekutivorgan der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz.» Weiter hat die Präsidentin den Auftrag, die EKS in der Öffentlichkeit zu repräsentieren, bei den Bundesbehörden etwa oder in den ökumenischen und interreligiösen Organisationen. «Schlussendlich wird von mir erwartet, dass ich den einen oder anderen Impuls oder Anregungen zum kirchlichen Leben setze», so Rita Famos.

Kritisiert wurde gerade im Hinblick auf die Konzernverantwortungsinitiative, die Kirche mische sich mit ihrem Engagement für die Vorlage zu sehr in die Politik ein. Rita Famos sieht die Kernaufgabe anders. «Die Kirche muss Menschen seelsorgerisch begleiten und mit diakonischen Angeboten Menschen in Not beistehen, im Gespräch und in der Verkündigung die Welt aus biblischer Sicht deuten, Orientierung vermitteln. Das ist und bleibt unsere Kernaufgabe. Nur die Methoden müssen sich ändern und sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen.»

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