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Porträt

Cioma Schönhaus in seinem Haus in Biel-Benken: "Endlich konnte ich mich wehren, endlich musste ich nicht tatenlos zusehen, was mit uns geschieht." Bild: JS

Der Passfälscher, der Leben rettete

Von: Jan Strobel

19. August 2014

Cioma Schönhaus lebte während der Nazidiktatur im Untergrund und fälschte für andere Verfolgte Pässe.

«Wer nicht an Wunder glaubt», sagt Cioma Schönhaus, während er sich seine rote Mütze zurechtrückt, «ist kein Realist.» Den Satz hat der 92-Jährige zu seinem Lebensmotto erkoren, und während solche Mottos  bei anderen oft schöngeistige Fassaden bleiben, weiss Schönhaus, was ein Wunder bedeutet, was es heisst, darauf zu hoffen und daran festzuhalten in einer Welt, die eigentlich nur etwas für ihn eingeplant hat: den Tod.

Die Geschichte des Cioma Schönhaus stellt diesem Tod den unbezwingbaren Lebensdurst gegenüber.   Im Herbst 1942 entschied sich der damals 20-jährige Berliner Jude, in den Untergrund abzutauchen, sich den Nazischergen zu entziehen, die bereits seine Familie zur Vernichtung abtransportiert hatten. Aus dem Untergrund heraus leistete er Widerstand und rettete Leben. Schönhaus fälschte Pässe für verfolgte Juden, stülpte ihnen so eine «arische» Identität über wie eine schützende Hülle. Es war ein Stück Papier, das den ­Verfolgten zumindest eine greifbare Chance gab, die Hölle zu überleben.   

«Du lebst unser ungelebtes Leben»
Oft, wenn die Dunkelheit über ihn hereinbrach oder die Angst ihn zu verschlingen drohte, hielt er eine innere Zwiesprache mit seinen Eltern.    Du sollst leben, Junge. Uns zuliebe. Du lebst unser ungelebtes Leben. Du fühlst alle Freuden, die uns nicht vergönnt waren. Deine Erinnerungen machen uns unsterblich. Die Stimmen seiner Eltern waren da bereits erloschen. Fanja und Boris Schönhaus wurden im KZ Majdanek ermordet. Ihre Fotografien stehen heute auf dem Schreibtisch des Sohnes im basel-landschaftlichen Biel-Benken. Noch am Tag des Abtransports hatten sie den Gerüchten von der planmässigen Vernichtung der Juden im Osten nicht geglaubt. Die Gräuel passten einfach nicht zu ihrem Deutschland, dem Land der Dichter und Denker. Sohn Cioma glaubte den Gerüchten, die unter den Berliner Juden im Umlauf waren. Er, der einmal eine Ausbildung zum Grafiker begonnen hatte, verrichtete jetzt Zwangsarbeit als Metalldreher in einem Rüstungsbetrieb, der Läufe für Maschinenpistolen herstellte. Nur mithilfe seines Vorgesetzten, der den jungen Mann als «kriegswichtigen Arbeiter» einstufte, entging er vorerst selbst der Deportation.

Über einen anderen Zwangsarbeiter in der Fabrik entstand schliesslich der Kontakt zum Widerstand der «Bekennenden Kirche» um den evangelischen Theologen Martin Niemöller. Statt Geld warfen die Gottesdienstbesucher ihre Personalausweise in die Opferstöcke der Kirchen. «Nun wurde ein Grafiker gesucht, der diese Pässe fälschen konnte. Das heisst, er musste das Passbild auswechseln und den Stempel, der übers Foto geht, ergänzen, also den Hoheitsadler mit dem Hakenkreuz und allem, was dazugehört.» Schönhaus machte sich an die Arbeit – und tauchte in Berlin unter. «Endlich konnte ich mich wehren, endlich musste ich nicht tatenlos zusehen, was mit uns geschieht.»

Mit einem spitzen Japanpinsel zeichnete er unter der Lupe die Details des Stempels nach und fügte das Passbild eines Verfolgten ein, «der jetzt plötzlich kein Jude mehr war».  Die fertigen Pässe lieferte er den Verbindungsleuten der Bekennenden Kirche aus. Schönhaus’ Fälschungen  waren so perfekt, dass er bald als der «Fluchtkönig» galt. «In einem kriminellen Regime ist das, was wir machen, die einzig angemessene Verhaltensform», hiess es damals in der Widerstandsgruppe. Bis zu 200 Verfolgte statteten er und seine Mitkämpfer mit einer neuen Identität aus. Selbstredend legte sich der Passfälscher ebenfalls einen nicht jüdischen Namen zu. Aus Cioma Schönhaus wurde Peter Schönhausen.

«Ich war ein guter Schauspieler»
Dieser Peter Schönhausen lebte in Berlin, in dem die Todesgefahr an ­jeder Ecke lauerte, ein Leben als ­Bohemien. Den Judenstern hatte er längst abgelegt, er setzte sich ganz selbstverständlich in Strassencafés, speiste in gehobenen Restaurants, inmitten von Nazibonzen. Er besuchte Konzerte, kaufte sich ein Segelboot auf einem der Berliner Seen, zog mit einem Soldaten von Kneipe zu Kneipe und grölte Soldatenlieder. Er stellte sich vor, ein «preussischer Prinz» zu sein. Wer hätte hinter diesem jungen Mann einen illegal lebenden Juden vermutet? Um an Unterkünfte zu kommen, gaukelte er den Vermietern immer dieselbe Geschichte vor. Sein Onkel sei in Köln ausgebombt, er müsse jetzt seinem Verwandten  sein Bett abtreten und brauche deshalb ein eigenes Zimmer, bevor er zum Militär einrücken müsse. «Ich konnte mich schon immer in Personen hineinversetzen, auch in erfundene», lächelt Schönhaus. «Und wenn ich diesen Onkel erfand, dann gab es den ganz einfach. Ich war ein guter Schauspieler.» Die ständige Gefahr, sagt er, habe ihn nachdenken lassen. «Ich hatte irgendwann kein Problem mehr mit der Angst. Im Gegenteil: Der Adrenalinstoss machte mich süchtig.» Die Tat entschied, und selbst wenn er totgeschossen würde, wäre das immer noch besser als Auschwitz.

Im Herbst 1943 allerdings zog sich die mörderische Schlinge immer enger zu. Der Widerstandskreis um die Passfälscher flog auf. Für Schönhaus gab es jetzt nur ein mögliches Ziel: die Flucht in die Schweiz, obwohl die Grenze unter Flüchtlingen als praktisch unüberwindbar galt. Und schliesslich war es ein offenes Geheimnis, dass die Schweizer Behörden gefasste Juden schnell wieder zurückschickten.

Mit dem Fahrrad, seinem gefälschten Ausweis und einer ebenfalls ­gefälschten Urlaubsbescheinigung machte sich Schönhaus auf den Weg und stand schliesslich Anfang Oktober 1943 an der grünen Grenze bei Öhningen. Der Obermülibach bedeutete den Weg in die Freiheit. In der Ferne sah Schönhaus bereits die Schweizer Fahne wehen. «Ich robbte den Bach entlang, er schien endlos lang zu sein. Ich begann zu rennen, bis der Bach in einen Teich mündete. Ich wusste, dass dieser Teich bereits auf Schweizer Gebiet lag. Ich betrat die Schweiz mit triefenden Kleidern. Die Leute drehten sich nach mir um. Frauen spazierten gemeinsam mit ihren Männern. Kinder sangen. Das war nicht wie in Deutschland, es war eine eigene Welt, friedlich und fremd.»

Cioma Schönhaus hatte Glück: Die Grenzpolizei schickte ihn nicht zurück, mehr aus einer momentanen Stimmung eines Beamten heraus. Er kam in Basel unter, besuchte dort die Gewerbeschule  und wurde Grafiker. Er verkehrte in den Basler Künstlerkreisen, war eng befreundet mit Jean Tinguely. Seine Erinnerungen schrieb er in seiner Autobiografie «Der Passfälscher» nieder, seine Schweizer Jahre fasste er 2010 im Buch «Der Passfälscher im Paradies» zusammen. Denn als Paradies versteht er die Schweiz bis heute. «Sie hat mir eine Existenz ermöglicht», sagt Schönhaus. Sie hat es ermöglicht, das Versprechen an die Eltern einzulösen: Cioma Schönhaus hat überlebt, und er berichtet.       
 

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Leserkommentare

Verena Thalmann - Freut mich echt - solche Porträts machen wach (und lassen uns nicht vergessen: auch die Schweiz hat einst Juden, trotz Bewusstsein ihres grausamen Endes abgewiesen). Doch grundsätzlich sind für mich Lebensbilder, wie dieses von Cioma Schönhaus mutmachend
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Vor 10 Jahren 1 Monat  · 
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