Porträt
Der smarte Indienmacher
Von: Jan Strobel
Der Zürcher Waseem Hussain (48) hat seine Biografie zum Beruf gemacht. Er berät Schweizer Firmen im Umgang mit indischen Geschäftspartnern.
Waseem Hussain klappt seinen Laptop auf, richtet kurz seine Manschetten und sagt: «Purushartha». Das Wort klingt wie das Rauschen eines Baches oder wie ein schäumender Strom, der jedes Hindernis überwindet auf dem Weg ins Meer. «Purushartha», sagt Hussain, «ist eine uralte vedische Lehre, ein indisches Konzept, das ich erst kürzlich wiederentdeckt habe. Es sind die vier legitimen Ziele eines Lebensprozesses. Sie lassen sich hervorragend auch auf die Geschäftswelt übertragen.» Seit Jahren berät Hussain in Seminaren und Referaten Schweizer Geschäftsleute, die in Indien Fuss fassen wollen, und diese vier Ziele können am Ende, so Hussain, durchaus zu einem erfolgreichen Vertragsabschluss führen. «Kama steht für die Befriedigung der Sinne, Artha für Wachstum, Wohlstand und Macht, Dharma wiederum steht für die ethische Verantwortung. Moksha schliesslich bringt die Erlösung, die Befreiung, im übertragenen Sinn: einen erfolgreichen Geschäftsabschluss.»
Mit seiner schweizerisch-indischen Beratungs- und Coachingtätigkeit bedient Hussain ein Feld, das für Schweizer Firmen immer wichtiger wird. Immerhin gilt Indien als das «zweite China», als aufstrebende Macht, auch wenn die Wachstumsraten in den letzten Jahren etwas zurückgegangen sind und noch immer grosse Teile der Bevölkerung in Armut leben.
Ungefähr 150 Schweizer Firmen geschäften derzeit in Indien. «Umgekehrt begegnet uns indische Technologie fast überall in unserem Alltag, sei es im Auto oder in der Computertechnologie», macht Hussain deutlich.
Keine Inder im Sennenkutteli
Doch das Geschäft ist die eine Sache, eine andere, und entscheidende, sind der Umgang und die Gesprächskultur an den Verhandlungen zwischen Zürich und Delhi, Mumbai oder Bangalore. Und gerade Schweizer Manager können dabei mit ihrer Regelverliebtheit mitunter an Grenzen stossen. Hussain stellt während seiner Seminare, die er in den Unternehmen abhält, immer wieder fest, dass viele Geschäftsleute am liebsten ein ganzes Regelwerk für Indien in die Hand gedrückt bekämen, in dem alle Antworten schön säuberlich aufgelistet stünden. «Dabei», schmunzelt Hussain, «ist es einem Inder ziemlich egal, wie er eine Visitenkarte mit seinem Gegenüber austauscht oder welche Begrüssungsformel jemand benutzt.» Indien, schiebt der Berater nach, sei nicht Japan, in dem jedes Detail ritualisiert sei. «Viele Schweizer Geschäftsleute kommen nach Indien und haben das Gefühl, sie müssten sich wie Inder verhalten oder sich sogar wie sie kleiden, das Schweizerische ablegen. Das ist ein typischer Fehler, der aus der Angst entsteht, jemanden zu brüskieren.» Doch einem indischen Manager sei es wichtig, den Schweizer auch als Schweizer zu erleben, weil das ein Qualitätsmerkmal sei. «Das verleiht ihm Profil. Und schliesslich würde umgekehrt auch kein Inder auf die Idee kommen, in der Schweiz ein Sennenkutteli anzuziehen.»
Profil und Vertrauen bewirkt bei indischen Geschäftspartnern auch etwas, was bei Schweizern, auf Effizienz getrimmt, Unbehagen auslösen kann: die Wiederholung. Oft schon musste Hussain in ratlose Gesichter von Managern blicken, die nach einer ausgefeilten Powerpoint-Präsentation von indischer Seite nur ein freundliches Nicken ernteten, aber keine handfeste Aussage. «Erst, nachdem sie vier- bis fünfmal genau dasselbe vorgetragen hatten, kam eine wirkliche Resonanz. Hätten die Schweizer ihre Präsentation aus Unsicherheit geändert oder etwas aufgemotzt, hätte das bei Indern den Eindruck von fehlendem Willen und Unschlüssigkeit erzeugt.» Zu einem Stolperstein kann zudem auch die ausgesuchte Schweizer Höflichkeit und Zurückhaltung werden. «Es gibt drei Wörter, die in Indien nicht ans Ziel führen: könnte, würde und sollte. In der indischen Kultur wird nicht um alles höflich gebeten.»
Schweizermacher und Sari
Hussains Blick auf die Gepflogenheiten der beiden Kulturen ist geformt durch die eigene Familiengeschichte, sie hat seinen Beruf und seine Berufung erst möglich gemacht, nachdem er zuvor für verschiedene Firmen als Angestellter tätig gewesen war.
Die Frage nach der Heimat, sie ist für ihn nicht immer leicht, er zögert ein wenig mit der Antwort. «Ich bin Schweizer und Inder, der in Pakistan auf die Welt gekommen ist», sagt er schliesslich. 1967 zog die Familie, die einst von Indien nach Pakistan übergesiedelt war, von Karachi nach Kilchberg. Hussain war da gerade ein Jahr alt. Der Vater arbeitete als Banker. Im Dorf fiel die begüterte Familie natürlich auf, sie galt als exotisch. «Wir waren damals die einzigen in Kilchberg, denen man das Ausländische auch angesehen hat. Das hat den Druck erhöht, uns möglichst schnell zu integrieren, die Sprache zu lernen», erzählt Hussain.
Als es an die Einbürgerung ging, fragten die Beamten in klassischer «Schweizermacher»-Manier zuerst einmal bei den Nachbarn nach, ob es denn bei den Hussains drüben nicht komisch rieche und wie sie ihren Güsel entsorgen würden. Die indisch-pakistanische Familie legte sich so ein Leben in einer gewissen «Habachtstellung» zu, wie es Hussain ausdrückt. Dass die Mutter manchmal im Sari durchs Dorf flanierte, faszinierte besonders auch Hussains Mitschüler. «Es kamen dann ganz ungefilterte Fragen auf. Wieso trägt deine Mutter eigentlich dieses Kleid? Wieso hat sie nie Hosen an? Ich musste dann selbst darüber nachdenken. Das hat mir sehr geholfen. Und es sind praktisch dieselben Fragen, mit denen heute die Manager bei meinen Seminaren auf mich zukommen.»
Sein nächstes Referat wird Hussain in der Hotelfachschule Belvoirpark halten. Das Thema: «Indische Gäste verstehen und verwöhnen». Denn auch ein Hotelier kann von Kama, Artha, Dharma und Moksha nie zu wenig besitzen.
www.waseem-hussain.com
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