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Porträt

Abschiedsgruss eines Schwergewichts im Tierreich für ein Schwergewicht der Zoowelt: Selbst wenn Alex Rübel als Zoodirektor keine Lieblingstiere hatte, so standen bei ihm die Elefanten doch oftmals im Fokus. Bild: Zoo Zürich Archiv

Der Visionär und Pragmatiker verlässt den Zoo

Von: Sacha Beuth

18. Mai 2020

Über 30 Jahre hat Alex Rübel als Direktor dem Zoo Zürich seinen Stempel aufgedrückt. Unter seiner Regie entstanden aus kahlen Reihenkäfigen naturnahe Anlagen. Dabei hat der 65-Jährige manche Kompromisse eingehen und Kritik einstecken müssen. Wenn er im Juni in den Ruhestand geht, verliert die Zoowelt einen ihrer besten Repräsentanten.

Ein Frühjahr ohne Besucher, die geplatzte Einweihungsfeier der neuen Lewa-Savanne – seine letzten Wochen als Direktor des Zoo Zürich hatte sich Alex Rübel wahrlich anders vorgestellt. Doch so macht die Coronakrise einen würdigen Abschied für den 65-Jährigen leider unmöglich. Es ist der Abschied von einem Mann, der den Zoo Zürich zu einem der modernsten Tiergärten der Welt formte und der sich mit Mut und Beharrlichkeit für das Leben der Tiere im und ausserhalb des Zoos einsetzte. Wenn Rübel Ende Juni seinen Posten an den Deutschen Severin Dressen übergibt, verliert die Zoowelt einen ihrer besten Repräsentanten. Einen, der in die internationalen Sphären eines Bernhard Grzimeks oder Heini Hedigers vorstiess und ganz grosse Fussabdrücke hinterlässt.

Dass der Zürcher einst die Tierwelt als sein Betätigungsfeld aussuchen würde, zeichnete sich schon früh ab. «Bereits als kleiner Bub nahm mich unsere Haushaltshilfe mit auf den Bauernhof ihrer Verwandten im Kanton Bern. Dort war ich total von den Kühen fasziniert und durfte erstmals auch direkt die Geburt eines Kalbes mitverfolgen. Das war ein unvergessliches Erlebnis», erinnert sich Rübel. Später legt er selbst Hand an und hilft während der Sommerferien auf einem Alp-Bauernhof mit. Und auch der Besuch zoologischer Gärten steht bei ihm ganz hoch im Kurs. Stundenlang beobachtet er dort Tiere und fotografiert sie. «Und es reifte auch der Wunsch, eines Tages Zoodirektor zu werden.» Weil im elterlichen Haushalt Haustiere fehlen, funktioniert Alex Rübel kurzerhand einen Teil der Waschküche zu einer Voliere für Zwergwachteln und Kanarienvögel um. «Zum Glück hatte ich sehr verständnisvolle Eltern.»

Ganz vernarrt ist der Junge zudem in Tierliteratur. Insbesondere die Bücher von Grzimek und Hediger haben es ihm angetan. Das nötige Geld dafür beschafft er sich mit Rasenmähen in der Nachbarschaft und beim Schulhausreinigen. Ansonsten verbringt er seine Freizeit am liebsten in der Pfadi, die er seit seinem siebten Lebensjahr besucht, in der er den Spitznamen «Chüngel» erwirbt und wo er es bis zum Kantonsleiter bringt. «Eine tolle Zeit, mit vorbildlicher Kameradschaft und engagierten Leuten.» Hier legt der Zürcher auch den Grundstein für sein hervorragendes Beziehungsnetz in späteren Jahren.

«Idol» erteilt Abfuhr

Als Gymnasiast fragt Rübel beim Zoo Zürich nach einer Volontariatsstelle als Tierpfleger an, muss aber ausgerechnet von seinem «Idol» Hediger, damals Zoodirektor in Zürich, erfahren, dass man keine Volontäre nehme. So probiert es Rübel im Basler Zolli. Dort hat er mehr Glück und darf bei den Nashörnern aushelfen (ein Erlebnis übrigens, das er mit seinem Kurator Robert Zingg, der fast zeitgleich pensioniert wird, teilt – siehe «Tagblatt» vom 22.4.).

Nach der Matur entscheidet sich Rübel für ein Veterinärsstudium. «Mit Zoologie oder Biologie wäre ich vermutlich in der Forschung oder wie meine Eltern und drei meiner vier Geschwister im Lehrerberuf gelandet. Und das wollte ich auf keinen Fall. Ausserdem bin ich eher der Macher und weniger der stille, geduldige Beobachter.» Generell bezeichnet Rübel die manchmal fehlende Geduld als eine seiner grössten Schwächen.

Ab 1980 ist Rübel am Tierspital Zürich in der Abteilung für Zoo-/Heim- und Wildtiere tätig, erst als Assistent, später als stellvertretender Zootierarzt. In dieser Zeit fliegt ihm ein Papagei zu, den Rübel für rund ein Jahr pflegt, bis endlich dessen Besitzer ausgemacht werden kann. Die Papageien, genauer die «Röntgenuntersuchungen bei inneren Er­krankungen von grossen Psittaziden» sind dann auch das Thema seiner Dissertation.

Rübel ist – unterbrochen von einem siebenmonatigen Weiterbildungsaufenthalt in den USA – rund 10 Jahre am Tierspital tätig, als die Stelle des Zürcher Zoodirektors neu ausgeschrieben wird. «Ich sagte mir, ich probiers mal, hatte aber keine allzu grossen Hoffnungen und war überzeugt, dass mir eine älterere und erfahrenere Person vorgezogen wird.» Doch Rübel irrt. Nachdem sich Hedi Lang, damals Regierungsrätin und im Vorstand des Zoos, vehement für den jungen Veterinär einsetzt, erhält er den Zuschlag. Und tritt am 1. Juli 1991 offiziell die Nachfolge von Peter Weilenmann (der seinerzeit Hediger abgelöst hatte) an.

Auf Grzimeks Spuren

Der Entscheid sollte sich bald als Glücksfall für den Zoo (und indirekt auch für ganz Zürich) herausstellen. Rübel erstellt mit seinem Team einen Masterplan und krempelt den Tiergarten in der Folge total um. Sterile Käfigreihen und kahle Gruben machen grosszügigen, reich bepflanzten Anlagen Platz. Erstes Ergebnis ist die 1996 eröffnete Nebelwaldanlage für Brillen- und Nasenbären. Es folgen weitere Projekte, darunter als Höhepunkt 2003 der Masoala-Regenwald als Teil-Ökosystem mit verschiedenen, sich in der Halle frei bewegenden Tierarten.

Zwar gibt es extern und intern Kritik. Besucher bemängeln, dass man die Tiere nicht oder nur schwer entdeckt. Mitarbeiter stören sich daran, dass zugunsten von mehr Raum einzelne Tierarten abgeschafft werden. «Es gab sogar Stimmen, die mir wegen der Masoalahalle Grössenwahn attestierten», erinnert sich Rübel. Doch der Erfolg gibt ihm Recht. Die Besucherzahlen steigen deutlich. Es gibt auch immer mehr ausländische Touristen, die extra wegen einer Zoovisite nach Zürich reisen. Zudem versteht es Rübel, die neuen Anlagen mit Naturschutzprojekten vor Ort zu verbinden. So unterstützt der Zoo Zürich inzwischen rund ein Dutzend solcher Projekte in der Heimat der ausgestellten Tiere finanziell und ideell. Ein Umstand, der von Gesellschaft und Politik breit anerkannt und geschätzt wird. «Unsere Umfragen zeigen, dass 80 Prozent der Leute wissen, was der Zoo für den Naturschutz leistet.» Zwei Dinge kommen dabei besonders zum Tragen: Einerseits Rübels kommunikative Fähigkeiten, genauer die Gabe, Leute für etwas zu begeistern. Etwas, was auch seinem zweiten Vorbild Bernhard Grzimek eigen war. Andererseits Rübels einzigartiges Beziehungsnetz. Neben alten Pfadikollegen reicht es über das Militär – Rübel erlangte den Rang eines Majors – bis zum Zunftwesen (seit 2011 Zunftmeister Zunft zur Saffran). Wie kaum einem anderen Zoodirektor – und hierin ist er Grzimek ähnlich – gelang es Rübel, für seine Projekte das nötige Geld aufzutreiben. Scherzhaft sagt er heute rückblickend: «Ich war wohl der grösste Bettler Zürichs. Und auch der erfolgreichste».

Das Engagement Rübels für die Sache sorgt weit über die Grenzen Zürichs hinaus für Aufmerksamkeit. Schnell erwirbt sich der Zürcher in der internationalen Zoowelt einen hervorragenden Ruf. Von Köln bis Goldau, von den USA bis Irland zollen Tierpfleger und Direktoren dem Zürcher Respekt, bezeichnen ihn oft als Visionär und sind voll des Lobes über seine Arbeit. 2001 folgt dann der offizielle Ritterschlag, als Rübel zum Präsidenten der Weltzoo-Organisation WAZA gewählt wird.

Die Entwicklung des Zoos zu einem Kompetenzzentrum für Natur- und Artenschutz war denn auch eine der liebsten Aufgaben des scheidenden Zoodirektors. «Wobei ich betonen möchte, dass dafür bereits meine Vorgänger den Grundstein gelegt haben.» Dabei war es stets Rübels Credo, nur das umzusetzen, wozu man auch in der Lage ist. «Entweder ganz oder gar nicht. Ich will nichts Halbbatziges.» Hohen Wert legt der 65-Jährige von Anfang an auf die Gestaltung des Zoos und ist dabei sehr detailversessen. «Ich mag es gar nicht, wenn etwa rotweisse Absperrbänder oder irgendwelche Technik die Sicht verbauen. Der Besucher soll immer einen schönen Blick auf Tiere und Pflanzen haben.»

Zugleich erweist sich der dreifache Vater und dreifache Grossvater aber auch als Pragmatiker – etwa was das zoogeografische Konzept anbelangt. «Leider war es nicht möglich, die Kaeng-Krachan-Elefantenanlage innerhalb unserer Asien-Zone zu platzieren. Darum liegt sie jetzt im Afrika-Bereich. Und weil die auf Masoala ursprünglich vorkommenden Riesenschildkröten längst ausgestorben sind, haben wir sie mit einer nahe verwandten Art von den Seychellen ersetzt.»

Lesen statt kontrollieren

Die Schildkröten zählen übrigens auch zu den Tieren, die Rübel in seiner Amtszeit wegen ihrer «spannenden Biologie» ans Herz gewachsen sind. Und natürlich die Elefanten. «Sie sorgten wohl mit den zahlreichen Geburten, den beiden Unfällen und dem Umzug am meisten für Trubel. Und sie beeindruckten mich auch in ihrer Persönlichkeit, besonders Maxi und Komali.» Die Gedanken daran sind das weinende Auge, mit dem Rübel Abschied nimmt. Es gibt aber auch ein lachendes: «Ich habe jetzt endlich Zeit für die Dinge, die in den letzten drei Jahrzehnten zu kurz gekommen sind. Etwa um mit meinen Enkeln etwas zu unternehmen, um in den Bergen zu wandern oder in Ruhe ein Buch zu lesen. Und ich bin froh, dass ich jetzt nicht mehr immer alles kontrollieren muss.» Die umfangreiche Büroarbeit wird er ebenfalls nicht vermissen. «Dafür aber die grossartige Unterstützung von Mitarbeitern und Gönnern sowie die Vielseitigkeit meiner Aufgaben.» Selbst wenn er – wie etwa ein neues Gehege für Gorillas – nicht mehr alle erledigen konnte. «Aber das macht nichts», lacht Rübel. «Mein Nachfolger muss schliesslich auch noch etwas zu tun haben.»

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