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Porträt

Thea und Amy Bollag bei ihrer Hochzeit 1952 in Lissabon. Bild: Privat

Die Unzertrennlichen

Von: Jan Strobel

21. Juli 2021

Es ist fast eine Jahrhundertverbindung: Seit 70 Jahren sind Thea und Amy Bollag ein Liebespaar. Letzte Woche feierten beide ihren 97. Geburtstag. Sie gehören heute zu den wenigen Zeitzeugen in der Stadt Zürich, die in einer solchen Tiefe auf das vergangene Jahrhundert zurückblicken können. 

An der Rua Alexandre Herculano in der Altstadt von Lissabon versammelte sich an jenem 13. Mai 1952 eine festliche Gesellschaft von 300 geladenen Gästen. In der Shaare- Tikvah-Synagoge gingen Amy Bollag und Thea Schächter, beide 27 Jahre jung, den Bund fürs Leben ein.

Das Hochzeitsfoto zeigt das Paar, posierend vor der Kamera und doch authentisch. Amy Bollag im Frack und Zylinder blickt nicht ins Objektiv, sein Fokus liegt ganz auf seiner jungen Frau, deren Arm er zärtlich mit der linken Hand umschliesst. Der ganze Tand der Festlichkeiten rundherum interessiert ihn nicht. Thea Bollag mit Blumengesteck und kunstvollem Kleid weiss, dass sie einen Sieg des Herzens errungen hat. Und das sind die am mutigsten erkämpften Siege, die es gibt. Amy Bollag, der junge Mann aus der Schweiz, war keineswegs der Wunschkandidat der Familie gewesen. «Ich habe ihn allein mit meiner Liebe aufgenommen», wird Thea Bollag später sagen.

Ein Hund als Vermittler
Die Geschichte von Thea und Amy Bollag ist eigentlich fast eine archetypische. Es ist die magische Erzählung einer 70 Jahre währenden Liebe. 70 Jahre Liebe und unbedingte Unzertrennlichkeit, das ist etwas, von dem so viele Menschen träumen und träumten.

Wäre Rolfi, der Schäferhund, nicht gewesen, Thea und Amy Bollag hätten sich nie kennengelernt. Im Winter 1951 betrat Amy Bollag mit Rolfi den Speisesaal des Hotels Kulm in St. Moritz. «Da bot mir dieses Meitli den Platz neben sich an und sagte in schönstem sächsischen Dialekt: ‹Sie können sich hierhersetzen›. Ich war sofort begeistert von dieser Frau. Mir gefiel einfach alles an ihr. Ich wollte sie um keinen Preis der Welt wieder hergeben», erzählt Amy Bollag. «Und heute, 70 Jahre später, sitzt er immer noch neben mir», lächelt Thea Bollag.

Schäferhund Rolfi, sagen die beiden, sei damals ihr Vermittler gewesen. Aber auch die Verwerfungen der Geschichte spielten mit, die Erfahrungen von Verlust, von Vernichtung und Terror. Thea Bollag, in Leipzig geboren, war mit ihrer Mutter und dem Bruder vor den Nationalsozialisten geflohen. Über Südfrankreich und Spanien fanden sie schliesslich in Portugal einen sicheren Hafen. Der Vater schaffte es nach London.

Amy Bollag, der im aargauischen Baden aufwuchs und dessen Familie seit 400 Jahren Bürger von Endingen ist, verlor einen grossen Teil seiner deutschen Verwandtschaft mütterlicherseits in den Vernichtungslagern und erlebte in der Schweiz immer wieder das Gift des Antisemitismus. Aus der «Gnade, überlebt zu haben», wie es Amy Bollag ausdrückt, speist sich eine tiefe Dankbarkeit, ein Fundament für ihre Liebe. Und auch das macht die Magie dieser Beziehung aus: «Ich habe Thea immer auf Händen getragen, habe ihr alles Schwere abgenommen. Das war eine Selbstverständlichkeit», erzählt Amy Bollag. Am 12. Juli feierte er seinen 97. Geburtstag, Thea Bollag wurde am 15. Juli ebenfalls 97 Jahre alt.

Sie gehören damit zu den wenigen Zeitzeugen in der Stadt Zürich, die auf das vergangene Jahrhundert in einer solchen Tiefe zurückblicken können. Seine Erinnerungen insbesondere an seine Kindheit und an die Militärzeit als Artilleriereiter während des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte Amy Bollag als illustrierte Kurzgeschichten in seinem Buch «Die Zeit angehalten». Auch für das «Tagblatt» schrieb und zeichnete er bis 2019 regelmässig Beiträge.

Bis heute hält der Maler und Illustrator vieler weiterer Bücher seine Eindrücke und Gedanken in Wort und Bild fest, auch wenn es ihm mit der geschwundenen Sehkraft nicht mehr leichtfällt. Aber die Sehkraft, sie ist nicht der entscheidende Aspekt des Glücks.

Seit über 40 Jahren lebt das Paar in Zürich-Friesenberg. Bild: Nicolas Zonvi

 

 

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