Porträt
Ndeshis Zukunft baut auf Chips
Von: Sibylle Ambs-Keller
Ndeshi Hangula ist Studentin aus Windhoek, Namibia. Als Praktikantin beim Stadtzürcher Traditionsunternehmen Zweifel ist sie Teil eines Entwicklungsprojektes von «B360 Education Partnerships» zur Förderung von Fachwissen im südlichen Afrika. Dabei steht die Vorbereitung von jungen Menschen auf die Berufswelt in ihren Herkunftsländern im Zentrum.
Von Windhoek (Namibia) nach Wettingen (Aargau): Seit Anfang August lebt die 21-jährige Studentin der Lebensmitteltechnologie Ndeshihafela Hangula – kurz Ndeshi – bei der Familie Blumenthal in Wettingen. Tagsüber arbeitet sie als Praktikantin in der Produktionsstätte der Zürcher Firma Zweifel Pomy-Chips in Spreitenbach. Marco Blumenthal, ihr Gastvater, ist zugleich auch der Leiter der Qualitätssicherung: «Ndeshi ist bereits die zweite Studierende der Namibia University of Science and Technology (Nust) in Windhoek, die wir bei uns aufnehmen», erzählt er. «Mein Kollege und ehemaliger Professor, Dr. Rudolf Schmitt, ist als Vorstand und Fachexperte für die Entwicklungsorganisation B360 tätig und übernimmt regelmässig einen ehrenamtlichen Lehrauftrag im Bereich Lebensmitteltechnologie an der Nust. Im Gegenzug erhalten jeweils eine Auswahl an Studenten die Möglichkeit zu einem dreimonatigen Praktikum in einem Schweizer Unternehmen. Dafür werden natürlich auch Gastfamilien gesucht.»
Dass Ndeshi nun beim grössten Pommes-Chips-Hersteller der Schweiz untergekommen ist, geschah auf Wunsch der Höngger Familie Zweifel. Marco Blumenthal: «In unserer Produktekontrolle erhält Ndeshi wertvolle Einblicke in den für ihr Studium wichtigen Bereich der Lebensmitteltechnologie. Ausserhalb der Arbeit lebt sie bei meiner Familie, lernt unsere Kultur kennen und nimmt an unserem Alltag teil.»
Eine der besten Studentinnen
So geht es nach dem gemeinsamen Frühstück los für die beiden in den Betrieb. Nimmt Marco Blumenthal Termine ausserhalb Spreitenbachs wahr, fährt Ndeshi alleine mit dem Bus in den Ort: «In Namibia fahre ich mit dem dort üblichen Sammeltaxi an die Uni. Ich wohne mit meinen beiden Cousins zusammen in Katutura, das ist eine Township etwa zehn Kilometer ausserhalb des Stadtzentrums von Windhoek», erzählt sie. Busse nimmt man in Namibia nur für grössere Distanzen, zum Beispiel, um zu Ndeshis Heimatdorf Omundudu zu gelangen. Dieses liegt sieben Fahrstunden von der Hauptstadt entfernt. «Namibia ist ein sehr grosses Land, ich komme ganz aus dem Norden.» Trotz seiner Grösse – Namibia ist rund 20-mal so gross wie die Schweiz – ist das Land mit knapp 2,1 Millionen Einwohnern nur sehr dünn besiedelt. 18 Prozent der Bevölkerung leben unter der namibischen Armutsgrenze (Stand November 2016).
Als eine der besten Studentinnen ihres Jahrgangs hat es Ndeshi in das Programm von B360 geschafft. Für sie ist der dreimonatige Praktikumsaufenthalt in der Schweiz eine einmalige Chance: «Ich bin in meinem dritten Studienjahr, und mein Einsatz hier ist meine erste richtige Arbeitsstelle. Die Arbeit im Labor der Qualitätskontrolle gibt mir die Möglichkeit, Erfahrung und wichtiges Know-how im Bereich der Lebensmittelsicherheit zu sammeln.»
Bevor sie zurück an die Universität geht, wird sie ihre Erfahrungen in einem Bericht zusammenfassen: «Ich hoffe, ich kann das Gelernte zurück in meinem Land einbringen und bei der Weiterentwicklung und Optimierung unserer Prozesse mithelfen.»
Tägliche Degustation
Ndeshis Arbeitstage im Labor sind vollgepackt. Martina Ferlin, Chemielaborantin und Berufsbildnerin bei Zweifel, ist ihre direkte Vorgesetzte: «Wir setzen Ndeshi vor allem in der Produktekontrolle ein. Dabei muss sie unsere Ware einerseits von aussen kontrollieren, anderseits macht sie Analysen der Inhaltsstoffe.»
Heisst konkret: Hat die Tüte genügend Luft, ist der Produkteaufdruck schön mittig, stimmen das Ablaufdatum und das Gewicht? Dann gehts an den Inhalt: Neben der täglichen Degustation übernimmt Ndeshi auch die Salzbestimmung und die Wassergehaltsanalyse. Viele neue fachliche Dinge – und dann ist da noch die Sprachbarriere: «Es sprechen nicht alle Englisch hier. Zudem sind die Formulare und Checklisten sowie auch die Programme am PC alle auf Deutsch», erzählt Ndeshi. «Das Team ist aber sehr hilfsbereit, ich kann so viele Fragen stellen, wie ich will, und bekomme immer Hilfe, wenn ich sie brauche.»
Und nicht nur in Deutsch macht Ndeshi täglich Fortschritte: «Es ist eine gute Übung für mich, mein Englisch zu verbessern. Denn zu Hause rede ich ausserhalb der Uni in meiner Muttersprache Oshiwambo.» Neben Fachwissen und Sprache habe sie bis jetzt vor allem viel über Zeitmanagement gelernt, fügt Ndeshi an. Sie staunte anfangs, wie konzentriert und zügig ihre Schweizer Kollegen ihrer Arbeit nachgehen. «Ich brauche viel länger für dieselbe Arbeit, und das liegt nicht nur an der fehlenden Routine. Hier sind alle sehr organisiert und teilen sich ihre Zeit gut ein.»
Gerade in den ersten Wochen war Ndeshi abends ziemlich geschafft, erinnert sich Marco Blumenthal. «Die vielen neuen Eindrücke – zum Beispiel die zahlreichen Züge, die täglich fahren und immer pünktlich sind, der Strom, der nie ausfällt, fliessendes Wasser – sowie das Arbeitspensum und die hohen Erwartungen an die Qualität sind sehr anstrengend. Ndeshi geniesst nach Feierabend besonders die Privatsphäre, die sie bei uns mit ihrem eigenen Zimmer hat. In der ersten Zeit hat sie viel geschlafen.»
Das mit der «Work-Life-Balance» sei halt so ganz anders hier in der Schweiz, findet Ndeshi: «Bei uns in Namibia gibt es so etwas wie Work-Life-Balance nicht. Die Leute gehen nach der Arbeit nicht schwimmen oder Velo fahren, höchstens ins Fitnesscenter und dann nach Hause.» Zudem sei Velofahren in Windhoek doch eher ein gefährliches Unternehmen.
Aber trotz strenger Arbeitstage bleibt genügend Zeit für die Gasteltern Marco Blumenthal und Karin Bearth, zusammen mit ihren drei Kindern ihrem Besuch die Schweiz und ihre Vorzüge näherzubringen. Zum Beispiel mit einem Trip auf das kleine Matterhorn: «In Namibia gibt es viel Wüste und nur kleine Hügel. Mir fiel als Erstes auf, wie grün die Schweiz ist! Und wie hoch die Berge sind, ich habe das Matterhorn und den Schnee darauf gesehen, es ist wirklich wunderschön.»
Auch der ganz normale Familienalltag birgt viel Neues für die Studentin. «Als Ndeshi mich das erste Mal am Herd stehen sah, war sie geradezu schockiert», lacht Marco Blumenthal. «Die Männer in Namibia machen solche Sachen nicht.» Überhaupt sind in Ndeshis Heimat die Familienstrukturen ganz anders als bei uns: «Wir leben oft mit Tanten, Cousinen oder Geschwistern zusammen und nicht selten weit weg von unseren Eltern. Das klassische Familienbild mit Vater, Mutter, Kindern gibt es nicht.»
Aber auch wenn das Arbeitspensum gross, der Familienalltag fremd und das Essen gewöhnungsbedürftig ist, nimmt Ndeshi nur Gutes mit zurück in die Heimat: «Am allermeisten liebe ich die Menschen in der Schweiz. Sie sind so offen, hilfsbereit und herzlich. Da ich wohl keine Chips einführen darf, werde ich sicher leckere Schokolade einpacken. Ich werde viel neues Wissen über Zeitmanagement und wertvolle Arbeitspraxis erlangt haben. All das kann ich in meinem letzten Studienjahr an der Nust in Windhoek und für meine spätere berufliche Laufbahn in meinem Land einbringen.»
Lernen täglich voneinander: Ndeshi Hangula aus Namibia, Praktikantin bei Zweifel, mit ihrer Gastfamilie Karin Bearth, Marco Blumenthal und den Kindern Madlaina (7), Gabriel (9) und Manuel (12).
Gut zu wissen: B360 Education Partnerships
B360 ist eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Zug und wurde 2009 von der ehemaligen Kaderfrau bei der Credit Suisse, Sabina Balmer, gegründet. Ziel der durch Spenden finanzierten Organisation ist der Auf- und Ausbau des Austausches von Fachwissen zwischen europäischen Fachexperten und afrikanischen Studierenden. Dabei unterrichten die Fachleute ehrenamtlich an Hochschulen im südlichen Afrika, und afrikanische Studierende absolvieren Praktika in der Schweiz. B360 fokussiert auf Fachgebiete, die mittel- und langfristig einen entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Länder leisten können. Inzwischen konnten 181 Experteneinsätze an den Partneruniversitäten in Namibia, Sambia und Südafrika geleistet werden. Im Gegenzug erhalten die besten Studierenden der Partneruniversitäten die Möglichkeit, in der Schweiz ein dreimonatiges Praktikum zu absolvieren. Bisher konnten 51 Studierende bei verschiedenen Firmen in der Schweiz platziert werden. Im Februar 2018 können weitere 6 bis 8 Studierende ihr Praktikum starten. SIB
Weitere Informationen:
www.b360-education-partnerships.org
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Leserkommentare
Marianne Egli - Ein interessanter Beitrag und ein sehr gutes Beispiel für nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit.