mobile Navigation

Reportage

Zürich, die Backsteinstadt. Der wichtigste Initialbau: das Chemiegebäude der ETH Zürich, 1884 bis 1886. Bilder: IDB Darch ETH Zürich

Als der Backstein boomte

Von: Isabella Seemann

02. August 2021

Sichtbackstein prägt das Stadtbild Zürichs seit Ende des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit schossen die rot-gelben Bauten als elegante, mitunter trutzige Häuser und Siedlungen nur so aus dem Boden. 

Golden strahlen die eleganten Backsteinhäuser am Fusse des Zürichbergs im Lichte der Abendsonne. Trutzig wirken die Blockrandbauten in Alt-Wiedikon. Imposant das Rote Schloss am General-Guisan-Quai. Die sandig gelben bis dunkelroten Backsteinbauten gehören zu Zürich wie der See und der Üetliberg und prägen massgeblich das Stadtbild.

Wie sich dieses Charakteristikum entwickelte, erzählen der Zürcher Architekt Wilko Potgeter und der Bauforscher Stefan M. Holzer, in ihrem Buch «Backsteinstadt Zürich – Der Sichtbackstein-Boom zwischen 1883 und 1914» (Verlag Park Books). Mit den gehaltvollen und teils auch überraschenden Informationen, den verschiedenen Perspektiven auf die Architektur und den zahlreichen historischen und aktuellen Fotos haben sie ein Grundlagenwerk zur Entwicklungsgeschichte des Sichtbacksteins geschaffen, das auch Laien zu faszinieren vermag. Zumal doch Zehntausende von Zürchern in Gebäuden aus Sichtbackstein wohnen und arbeiten. Eigentlich ist es bloss gebrannter Lehm und prägte seit Jahrtausenden die Baukunst der Welt. Doch im späten 19. Jahrhundert erlebte das Bauen in Sichtbackstein europaweit eine Renaissance und obendrauf einen regelrechten Boom. Die Industrialisierung der Backsteinproduktion und Innovationen in der Konstruktion trafen zeitgleich mit dem immensen Wachstum der Städte und der Bautätigkeit zusammen, so dass sich diese Bautechnik breit durchsetzen konnte.

Mit seinen rund eintausend historischen Sichtbackstein-Bauten ist Zürich jedoch die wohl am besten erhaltene «Backsteinstadt» dieser Epoche, da die Metropole an der Limmat von den Zerstörungen der Weltkriege weitgehend verschont blieb.

Beliebtes Fassadenmaterial

Der Durchbruch kam 1883 mit der ersten Schweizerischen Landesausstellung. Auf dem Platzspitz stellten die Ziegler in einem Pavillon voller Ornamente, selbstredend aus Backstein, ihre Produkte und Dienstleistungen dem begeisterten Publikum vor. Kurz darauf wurde in der Nähe des eidgenössischen Polytechnikums, der heutigen ETH, für die chemischen Laboratorien der erste repräsentative Bau aus Sichtbackstein errichtet. Kritiker meinten damals allerdings, dass «der Ziegelbau der Stadt Zürich nicht eben zur Zierde gereiche».

Doch ausgehend von diesem öffentlichkeitswirksamen Bau, verbreitete sich der Backstein-Rohbau mit rasender Geschwindigkeit. In den drei Jahrzehnten um die Jahrhundertwende wurde Sichtbackstein zu einem der beliebtesten Fassadenmaterialen in Zürich. Die Begeisterung ging so weit, dass bis zu 100 Gebäude pro Jahr mit Sichtbackstein gebaut wurden.

Die Goldene Zeit des Backsteins ging mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Heute weisen die Quartiere Alt-Wiedikon, Hottingen und Sihlfeld die höchste Zahl an Backsteinbauten aus dem Fin de Siècle auf.

Weitere Informationen: Wilko Potgeter, Stefan M. Holzer: «Backsteinstadt Zürich - Der Sichtbackstein-Boom zwischen 1883 und 1914», Verlag Park Books, Jan. 2021. ISBN 978-3038602316

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare