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Reportage

Für sie ist der Tod Alltag: Bestattungsberater Stephan Federli und Beatrix Gfeller vom Friedhofsbüro im Eingangsbereich des Friedhofs Sihlfeld. Bild: SWE

Auch ein Ort für die Lebenden

Von: Stine Wetzel

11. September 2018

Am Tag des Friedhofs zeigen die städtischen Abteilungen, dass Friedhöfe nicht nur Orte der Ruhe sind. Für Stephan Federli und Beatrix Gfeller etwa gehören Gräber zum Alltag. Ein Treffen auf dem grössten Friedhof Zürichs.

Im Friedhofsbüro ist schon Licht. Beatrix Gfeller startet den Computer meistens um 7 Uhr auf. Um 8.30 Uhr öffnet der Schalter. Bis dahin kann sie die Pendenzen abarbeiten, E-Mails schreiben, Dokumente heraussuchen. Gfeller arbeitet seit 26 Jahren im Friedhofsbüro im Sihlfeld. Der Friedhof ist der grösste der Stadt: 28,8 Hektaren, rund 370 Bestattungen im Jahr.

Gfeller ist die Anlaufstelle für Angehörige: wenn jemand den Weg zum Grab wissen will, wenn der Grabstein schief steht, wenn die Schnecken die Eigenbepflanzung aufgefressen haben. «Auf dem Friedhof kann man nicht einfach nur Sachbearbeiterin sein», findet Gfeller. Sie berät bei der Wahl der Bepflanzungspakete, weiss, welche Pflanzen sich eignen – im Sommer Begonien und Impatiens, «das fleissige Lieschen», wie sie sagt, Fuchsien als Kopfpflanze, höher als der Rest, dazu eine grüne Einfassungspflanze; im Herbst Heidekraut. Sie beantwortet all die Fragen der Hinterbliebenen, macht auch mal einen Kaffee, wenn sich jemand nicht beruhigen kann

«In dem Job muss man psychisch stabil sein», sagt Gfeller. «Und man muss sich abgrenzen können, wenn man tagtäglich mit trauernden Menschen zutun hat.» Sie hat ihren Garten zum Abschalten, ihre Familie, die sie auffängt. Geht es um Kinder, die bestattet werden, nimmt sie das trotzdem mit. «Der Tod ist eigentlich nie Routine – und immer noch ein Tabuthema, weil schnell die Tränen fliessen.»

Saufkumpanen am Grab

Auf dem Zentralfriedhof ruhen Persönlichkeiten wie Gottfried Keller, Zürcher Legenden wie Fred Tschanz, aber auch Personen, die keinen festen Wohnsitz hatten. Gfeller erinnert sich an eine Urnenbeisetzung in der Nischenwand, die sie begleitet hat. «Da haben Saufkumpanen ihren Kollegen feuchtfröhlich bestattet. Sie prosteten ihrem Sepp zu, öffneten auch ein Bier für ihn und stellten es ihm in die Nische.» Sie findet das gut. «So verschieden die Menschen sind, so verschieden gehen sie auch mit dem Tod und der Grabbewirtschaftung um.» Insgesamt seien die Bestattungen aufwendiger geworden, die Gestaltung ausgefallener. Gfeller ist Atheistin. «Die meisten sind überrascht, wenn sie hören, dass ich keiner Religionsgemeinschaft angehöre.» Ihr persönlich gefallen die unkonventionellen Abdankungen: ein freier Redner am Grab und Ballons, die zum Lieblingslied in den Himmel fliegen. 

Anderer Bezug zum Leben

Während sich Beatrix Gfeller um das Drumherum kümmert, werden die Beisetzungen und Begräbnisse im Bestattungsamt im Stadthaus organisiert. Zum Beispiel von Stephan Federli. Er ist seit 18 Jahren Bestattungsberater; er unterstützt bei der Urnen- und Sargwahl, organisiert das Grab, den Pfarrer, die Musik. «Seit die Kirche nicht mehr so viel Einfluss hat, sind die Abdankungen viel individueller geworden», sagt Federli. «Das Ausgefallene ist normal geworden.» Zum Beispiel Multi-Media-Shows. Oder dass Hinterbliebene die Asche mit nach Hause nehmen und sie an einem Ort, den der Verstorbene mochte, verstreuen: in den Bergen, unterm Apfelbaum im Garten. Oder ein Teil der Asche wird verstreut, der andere in einer Urne auf dem Friedhof beigesetzt. «Daneben gab es eine Rückbesinnung auf Rituale. Beispielsweise die Prozession von der Kapelle zum Grab.» 

In Zürich versucht man den Spagat: mittels neuer Grabarten mit der Zeit zu gehen, ohne jenen, die an der bewährten Bestattungs- und Friedhofskultur hängen, vor den Kopf zu stossen. Der Friedhof Hönggerberg etwa hat die Waldbestattung eingeführt, auf dem Friedhof Sihlfeld gibt es neu das Themen-Mietgrab «Engel»,  ein Gemeinschaftsgrab mit denkmalgeschützter Statue. Im Friedhof Schwandenholz gibt es seit kurzem zusätzlich zur naturnah gepflegten Wiese einen Birnenhain mit historischen, schmiedeeisernen Grabkreuzen. Und das Gemeinschaftsgrab im Friedhof Nordheim ist als Staudengarten ausgestaltet, mit der Möglichkeit der Namensinschrift auf einer Holzstele. «Die Stadt ist viel offener geworden. Aber die Infrastruktur und der Denkmalschutz setzen uns Grenzen», sagt Federli.

Er ist auf allen Friedhöfen der Stadt unterwegs. Doch diesen hält er für etwas Besonderes: «So imposante Grabmäler sieht man selten. Sie zeugen davon, dass das Grab früher ein Statussymbol war.»

Pietätlos: Jogger und Velofahrer

Federli arbeitete im Marketing, bevor er Bestattungsexperte wurde. «Ob der Job etwas für einen ist, merkt man erst, wenn man ihn macht.» Zum Tod habe er in den letzten 18 Jahren keinen anderen Bezug bekommen. Aber zum Leben. «Ich habe gelernt, dankbar zu sein für das, was ich habe.» Und dass man vorzeitig mit seinen Nächsten über seine Vorstellungen sprechen, vielleicht eine letztweilige Verfügung machen sollte. «Das entlastet die Angehörigen im Todesfall ungemein.»

Auf den Friedhof Sihlfeld kommt man zur Mittagspause, hier schlafen Randständige auf den Bänken, der Schulweg der Kinder führt quer durch. Darin sieht Federli die Zukunft: «Der Friedhof soll nicht nur ein Ort der Stille sein, sondern ein schöner Ort, ein Ort für die Lebenden.» Nur bei Joggern und Velofahrern rümpft er die Nase. Da hört die Offenheit auf. Der Pietät wegen.

Tag des Friedhofs

Das Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich und Grün Stadt Zürich führen am 15. September den Tag des Friedhofs durch. Von 10.30 bis 12 Uhr finden verschiedene Veranstaltungen statt. Der Eintritt ist frei.

• Friedhof Forum: Ausstellung «Die letzte Ordnung. Tote hinterlassen Dinge»

• Friedhof Eichbühl: Führung «Ein architektonisches Juwel wird 50 Jahre jung»

• Friedhof Enzenbühl: Führung «Botanische und historische Aspekte auf dem Rundgang zu den verschiedenen Grabtypen»

• Friedhof Fluntern: Führung «Was haben Elias Canetti, Paul Karrer und Leopold Ruzicka gemeinsam? Begehung zu den verschiedenen Grabarten und Geschichten zu berühmten Verstorbenen»

• Friedhof Hönggerberg: Führung «Was passiert hinter den Kulissen eines Friedhofs. Einblicke in die Arbeit auf dem Friedhof»

• Friedhof Nordheim: Führung «Grabparcours zu den vielfältigen Grabformen und zu den Tierarten, die sich im Biotop Friedhof heimisch fühlen»

• Friedhof Schwandenholz: Führung «Kunst und Erholung im Schwandenholz»

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