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Reportage

Orelli-Weg, benannt nach Susanna Orelli-Rinderknecht, einer Kämpferin gegen Trunksucht und Verwilderung der Sitten. Bild: Helena Wehrli

Auf der Orelli-Promenade

Von: Urs Hardegger

02. September 2014

Jede Strasse in Zürich hat ihre Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt in einer neuen Serie jede zweite Woche so eine Story. Heute: der Orelli-Weg.

An einem föhnigen Wochenende kanns eng werden auf dem Promenadenweg. Menschen jeden Alters finden sich ein: junge Eltern mit Kinderwagen, Rentnerinnen samt Rollatoren, herumflitzende Hunde und schwitzende Jogger, die sich durch die Spazierenden zwängen. Die Sehnsucht nach Ruhe und Entspannung führt sie hierher, Sonnenhungrige, vereint auf Zeit. Hier kann man sich beim Anblick von Tödi und Glärnisch der Illusion hingeben, sich weitab der Stadt irgendwo auf dem Lande zu befinden.

Auf einer Bank geniesse ich die Weite und vertiefe mich in die Zeit der Namensgeberin Susanna Orelli-Rinderknecht (1845–1939). Mit Feuereifer vertrat sie die Idee, auf dem Zürichberg ein Volks- und Kurhaus als Zufluchtsstätte zu bauen.

Als Präsidentin des Vereins für Mässigkeit und Volkswohl setzte sich die protestantisch gesinnte Orelli gegen die vermeintliche Ausbreitung des Lasters und der Verwilderung der Sitten ein. Vor allem die Trunksucht, wie der Alkoholismus damals genannt wurde, bereitete ihr Sorge. Was der Psychiater und Befürworter der Abstinenz, Auguste Forel, in seinen Vorträgen propagierte, setzte Orelli in die Tat um: dem Volk «einen Ersatz für seine traurigen Trinksitten und seine elenden stinkenden Spelunken» anbieten. Tatsächlich war der Alkoholismus vor allem in der Unterschicht weit verbreitet, insbesondere der Konsum von hochprozentigen Spirituosen war, verglichen mit heute, dreimal höher. Bereits bei Kindern diente der Alkohol als wichtiger Kalorierenlieferant.

Vor hundert Jahren thronte das Kurhaus noch weit ausserhalb der Stadt, inzwischen hat sich diese bedrohlich angenähert. Ein Grün­streifen mit Getreidefeld und Schrebergärten trotzt der Urbanisierung und Bodenspekulation. Nicht auszudenken die Superlative, mit denen Neubauwohnungen hier angeboten würden.

Zierlich, aber willensstark

Eine kleine, zierliche Frau soll sie gewesen sein, Frau Orelli, ausgestattet mit einem unbändigen Willen. Weder Spott noch ängstliche Einwände brachten sie von ihrem Ziel ab. Bescheiden war sie, von spartanischer Einfachheit, ein Glas Milch und ein Stück Brot mussten als Mittagsmahl genügen. Aber ihr und dem Frauenverein ist in Zürich Erstaunliches gelungen. Innert weniger Jahre eröffnete der Verein nicht weniger als neun alkoholfreie Gasthäuser und Wirtsstuben für alle Bevölkerungsschichten.

In einer Zeit, wo die Wohltätigkeit noch die einzige Betätigung war, die man einer bürgerlichen Frau ausserhalb des Hauses zugestand, gingen ihre unternehmerischen Ambitionen bereits weit darüber hinaus. Als Businesswoman würde man sie heute bezeichnen. Mit ihrem Wirken bewies sie bereits vor über hundert Jahren, wozu Frauen in der Lage sind, wenn man sie lässt. Bezüglich Bescheidenheit und sozialer Verantwortung könnten auch heutige Manager noch viel von ihr lernen: «Wir waren doch nur die Geschobenen. Die Verhältnisse waren reif zum Einsetzen, und was hätte ich allein vermocht, ohne die guten Menschen, die mitgeholfen haben?», meinte sie bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Universität Zürich.

«Im Guten liegt ewige Lebenskraft», kann man auf «ihrem» Brunnen an der Ecke zum Hanslinweg, in Stein gemeisselt, lesen. Vielleicht vermag dieser Leitspruch ihr ruheloses Handeln zu erklären. Wie dem auch sei, ein Spaziergang auf dieser Sonnenterrasse macht durstig. Warum sich nicht im Restaurant Zürichberg, dem ehemaligen Kurhaus mit dem Erweiterungsbau der Architekten Burkhalter/Sumi, eine Erfrischung gönnen? Eine alkoholfreie, versteht sich.

Orelli, Susanna: Soziale Arbeit, Zürich 1939. Verein für wirtschaftshistorische Studien (Hrsg.): Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik, 1973.

Lesen Sie hier am 17. September den nächsten Beitrag zur Meinrad-Linert-Strasse.

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