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Reportage

Eine Velofahrerin steht im Weg: Hansruedi K. sieht rot. Bild: PD

Ausraster am Zebrastreifen

Von: Isabella Seemann

25. Juli 2017

Der ewig währende Konflikt zwischen Velofahrern und Automobilisten auf den Zürcher Strassen führt manchmal auch in den Gerichtssaal. Oft sehen sich jeweils beide im Recht.

Letztlich weiss man nicht viel über Zuhälter. Kaum jemand, den man kennt, kennt einen, und in den Medien werden über gesellschaftliche Randgruppen sowieso nur Klischees ausgebreitet. Zu den gängigen Vorurteilen über Zuhälter gehört, dass sie aussehen wie Viktor Giacobbos legendäre Figur Harry Hasler und schrillfarbene, zuweilen auch aufgemotzte Sportwagen fahren. Zum Beispiel einen Chevrolet Corvette Coupé.

Mit einem solchen kanarienvogelgelben Exemplar machten Hansruedi K.* und sein Kollege Martin Z. zum Zwecke des Renommierens eine Spritztour durch den Kreis 4. Eins vorweg: Beide sind Vertreter für Büromöbel von Beruf. Am Steuer sass Martin, der Besitzer des Autos, aber vor Gericht muss sich nun Hansruedi K. verantworten – wegen Körperverletzung. 

Hansruedi K. erinnert sich, wie sie bei Grün mit der Corvette rechts abbiegen wollten und vorschriftsgemäss stoppten, als die Sozialarbeiterin Susanne B. – ebenfalls bei Grün – auf ihrem Velo über den Fussgängerstreifen fuhr. Da habe es eben einen «kleinen Huper» abgesetzt, um ihr zu signalisieren, dass dies verboten sei, so der 59-jährige Hansruedi K. Aber anstatt das Velo zu stossen, sei die Frau mitten auf dem Zebrastreifen vom Velo gesprungen und habe «wie eine hysterische Kuh» auf die Motorhaube geschlagen und die beiden Insassen als «verdammte dreckige Zuhälter» beschimpft. Bei der Corvette funktioniert der Imagetransfer vom Fahrzeug auf den Halter eben noch. Der amerikanische Sportwagen ist gross, billig zu kaufen, teuer im Unterhalt und verfügt über einen unerreichten Stenz-Appeal. 

«Du blödes Huhn!»

Herrn K. ist durchaus nicht daran gelegen, dieses Bild zu entkräften. Vor Gericht trägt er einen weissen Anzug mit schwarzem Hemd, womöglich noch eine Goldkette drunter, einen Ring am Ohr, das Haar leicht pomadig. Dann sei er raus, erzählt der Angeklagte weiter, und habe, das gebe er zu, gerufen: «Du blödes Huhn, sieh zu, dass du abhaust!» Aber Frau B. sei sofort mit den Fäusten auf ihn losgegangen. Darauf habe es – «nur zur Beruhigung, nichts Gröberes» – eben eine Ohrfeige gesetzt. Gemäss Anklageschrift sei es dadurch zu Hämatomen gekommen. 

Seinen guten Willen habe er später durchaus zeigen wollen, versichert der Angeklagte. Auf Rat eines befreundeten Anwalts habe er sich bei der Frau entschuldigen wollen, aber die habe darauf bestanden, dass er 5000 Franken ans Frauenhaus überweisen müsse. Und das sei ja wohl «der Gipfel der Frechheit», braust Herr K. nachträglich auf. Erst schimpfe sie ihn «Zuhälter», und dann verlange sie eine Spende ans Frauenhaus, da habe sich die Frau B. doch was dabei gedacht. Also habe er nicht gezahlt. 

Fremde Frauen schlagen

Ihm gehe es um seine Ehre. Zwar habe er schon die eine oder andere Vorstrafe wegen Körperverletzung, erklärt Hansruedi K. freimütig, aber so ein Typ sei er nicht, dass er «ohne Grund» wildfremde Frauen schlage. Dass er das auch «mit Grund» nicht tun darf, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn. Ein schlechtes Gewissen zeigt der Angeklagte nicht, auch seine Wortwahl ist kaum geeignet, Sympathie bei der Richterin hervorzurufen. Er verlangt Freispruch «auf der ganzen Linie» und kann dies auch begründen: «Sie hat angefangen. Eigentlich sind wir quitt.» Aber so läuft es nicht vor Gericht. Da wird nur verhandelt, was angezeigt wurde – nämlich die Körperverletzung. 

Hätte er Frau B. einfach angezeigt, anstatt ihr eine zu kleben, stünde sie vor Gericht, und sie müsste vermutlich ein paar Hundert Franken wegen der «dreckigen Zuhälter» bezahlen. Jetzt aber muss Hansruedi alles in allem rund 8000 Franken bezahlen für die Geldstrafe, die Busse, die Verfahrenskosten und die Genugtuung an die Velofahrerin. 

* Persönliche Angaben geändert.

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