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Reportage

Zeus (orange) und Mina spielen mit einem Bändel (l.). Bild: Sacha Beuth

Bei den abgeschobenen Lieblingen

Von: Sacha Beuth

25. November 2014

Wie sieht der Alltag im Tierheim aus? Und wie kommen Hund, Katze und Co. mit den dortigen Verhältnissen zurecht? Das «Tagblatt» ist diesen Fragen im Provisorium des Tierheims des Zürcher Tierschutzes nachgegangen.

Auf einem Kletterbaum ihres Aussengeheges sitzend, holt sich Cassy bei Andrea Oehler ihre Streicheleinheit ab. Dann geht die Katze wieder ihrer Wege. Von ihrer traurigen Vergangenheit zeugt nur noch der etwas magere Körper und ein fast kahler Streifen auf dem Rücken. «Das Fell an dieser Stelle war so verfilzt, dass Rasieren die einzige Lösung war», erklärt Oehler. Die Tierpflegerin im Tierheim des Zürcher Tierschutzes an der Zürichbergstrasse 263 wirkt gefasst. Trotzdem schwingt Trauer in ihrer Stimme mit, als sie von Cassys Schicksal erzählt: «Vor ein paar Wochen stand ein überforderter Halter mit Cassy und ihren drei Jungtieren vor unserer Tür. Die Person drohte uns, sie würde die Katzen im Wald freilassen, wenn wir sie nicht nähmen», erzählt Oehler. «Das ist zwar gegen das Gesetz, aber schwer zu verhindern, und dann wären die Katzen wohl dem Tode geweiht gewesen.»

Die vier Büsi haben sich inzwischen gut eingelebt. Allerdings ist Cassy nicht mit ihrem Nachwuchs zusammen, sondern teilt sich ein Zimmer mit fünf erwachsenen Artgenossen. «Sie war körperlich gar nicht in der Verfassung, ihre Babys aufzuziehen, sondern brauchte Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen.» Ehe Oehler den Raum verlässt, dreht sie den Thermostat noch etwas herunter. «Seit wir im Provisorium eingezogen sind, ist das ein ständiges Problem. Mal ist es zu kalt, mal zu warm.» Schon jetzt kann sie es kaum erwarten, bis im nächsten Jahr der daneben stehende Neubau eröffnet wird. «Gegenwärtig ist alles ziemlich rudimentär, entspricht aber den Vorschriften. Im Neubau haben wir dann sowohl für Tiere wie Pfleger optimale Bedingungen.»

Oehler betritt den Nebenraum, wo sich Cassys Nachwuchs balgt, schnappt sich Zeus und Mina und neckt sie mit einem Lederbändel. «So süss sie aus­sehen, so viel Arbeit verursachen sie auch. Überall wird das Futter verteilt und immer wieder der Wassernapf umgeschmissen – wie kleine Kinder.» Gerne würde sie sich länger mit den Kleinen abgeben, aber es fehlt die Zeit. «Die meisten Leute haben falsche Vorstellungen von unserem Beruf. Die denken, wir hätten nichts anderes zu tun, als Tiere zu streicheln und sie zu füttern.» Die Realität sieht aber anders aus. Morgens um acht, wenn für vier der insgesamt sieben Tierpflegerinnen und -pfleger des Tierheims der Arbeitstag beginnt, werden nach einer kurzen Besprechung und einer Kontroll- runde erst einmal die Unterkünfte gereinigt, bevor die tierischen Bewohner ihr Frühstück erhalten. Anschliessend müssen Gänge und Gerätschaften geputzt, Liegetücher gewechselt und Gehege und Zäune kontrolliert werden. Spielelemente in die Gehege bringen, Zustandsberichte am Computer nachführen, Zuzüge und Abgänge eintragen und andere administrative Arbeiten werden meist am Nachmittag erledigt. «Der Papierkram nimmt inzwischen rund 40  Prozent unserer Arbeit ein», so Oehler. Jeweils einmal pro Woche findet zudem eine Gewichtskontrolle aller Tiere sowie eine Fell- und Körperkontrolle für Hunde, eine für Katzen und eine für Kleintiere statt. «Und natürlich müssen zwischendurch auch mal Tiere zum Veterinär gebracht oder die ­ehrenamtlichen Hundespaziergänger ­instruiert werden. Oder es warten Kunden, die entweder ein Tier abgeben oder mitnehmen wollen.» Wie an diesem Tag das Ehepaar Leibundgut. Es interessiert sich für die 4-jährige Julie, einen Whippet-Mischling, der im Oktober abgegeben wurde, weil er ein Kind geschnappt hat. Tierpflegerin Alexandra Gschwind klärt die beiden in einem Beratungsgespräch über die speziellen Bedürfnisse und Eigenschaften des Hundes auf, ehe sie mit ihm probeweise und in Gschwinds Begleitung Gassi gehen dürfen. Das wird sich in den folgenden Tagen wiederholen. Finden die Leibundguts und Julie dann immer noch Gefallen aneinander, wird sie erst für rund drei Wochen probehalber in deren Obhut übergeben, ehe sie dann nach einem tierärztlichen Abschlusscheck ganz in ihren Besitz übergeht. «Die Massnahmen sind nötig. Schliesslich wollen wir sicherstellen, dass jedes von uns vermittelte Tier an einen guten Ort kommt», betont Oehler.

Im Behandlungszimmer des Provisoriums legt Tierpflegerin Emanuela Kyritsis Desinfektionsmittel und einen frischen Verband bereit. Auch kleine medizinische Tätigkeiten gehören zum Aufgabenbereich der Pflegerinnen und Pfleger. Heute ist Klaus dran, ein 7-jähriger Mischlingshund. «Er wedelt immer ­enthusiastisch mit dem Schwanz und schlägt ihn dadurch dauernd und überall wund», sagt Kyritsis, während sie den Verband wechselt. Klaus lässt die Prozedur ruhig über sich ergehen. Er weiss, dass er zum Schluss ein Leckerli erhält.

Nun ist es Abend geworden. Während die Katzenkisten gesäubert werden und die Tiere ihr Fressen erhalten, zeigt ­Oehler auf ein Gehege mit einem Kaninchen, das entspannt vor sich hinmümmelt. «Das ist Sunshine. Der ­frühere Besitzer ist ihrer ebenfalls überdrüssig geworden», seufzt Oehler und fügt hinzu: «Es ist immer wieder bedrückend, zu erleben, wie Menschen ihre einstigen Lieblinge zu uns abschieben. Da wird dann erklärt, dass ein Familienmitglied plötzlich allergisch gegen die Haare des Tieres geworden sei. Oder dass in der neuen Wohnung die Haltung eines Hundes nicht erlaubt sei. Ist denn eine neue Wohnung wichtiger als ein Tier, das einen jahrelang durch dick und dünn begleitet hat?»

Nach einem letzten Kontrollgang, bei dem vor allem die Schlösser und die Heizung überprüft werden, ist um 18 Uhr Lichterlöschen. Die Tierpfleger gehen nach Hause. Morgen beginnt ein neuer Tag – mit Neuankömmlingen und hoffentlich auch mit Platzierungen, mit Tieren, die an ein neues Zuhause mit verantwortungsvollen Herrchen und Frauchen vermittelt werden konnten.

Weitere Infos und Spenden unter: www.zuerchertierschutz.ch

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