mobile Navigation

Reportage

In der Kapelle an der Spitalgasse 8 im Niederdorf beten Katholiken den in der Monstranz ausgesetzten Leib Christi an. Bild: BEL

Beten, wo andere feiern

Von: Isabella Seemann

10. April 2017

Mitten im Rummel des Niederdorfs eröffnete eine Kapelle: Hier soll Jesus Christus im Allerheiligsten Altarsakrament Tag und Nacht angebetet werden. Manchmal lassen sich sogar Atheisten da nieder.

Es ist keiner dieser Orte, die Ehrfurcht gebieten. Beizen, Bars und Boutiquen reihen sich aneinander, aus den Lautsprechern plärrt Popmusik, da lockt ein szeniges Tattoo- und Piercingstudio Kunden an, dort ein cooler Cupcake-Laden. Und just dazwischen eröffnete letzten Sommer ein zu einer Gebetsstätte umgebautes Geschäftslokal. Wem käme es in den Sinn, in diesem spirituellen Funkloch rund um den Hirschenplatz eine Antenne zum Göttlichen zu errichten? René Sager heisst der Mann, 41-jährig, römisch-katholischer Priester und Initiant eines Gebetsraums an der Spitalgasse 8. «Wir wollen gezielt dorthin gehen, wo die Menschen sind», erklärt er die Wahl des Ortes. Getragen wird das Projekt vom Verein Oremus, finanziert wird es nur durch Spenden. Von Bischof Vitus Huonder und dem Generalvikar für Zürich, Josef Annen, gabs den Segen dazu.

Durch eine Tür, die in dieser schrillen Gegend durch ihre Unauffälligkeit auffällt, huschen am späten Vormittag ein Dutzend Leute. Junge mit trendigen Turnschuhen, Weisshaarige in Cordhosen. Für Gott sind alle gleich. Im schlichten Raum setzen sie sich auf ein Holzschemelchen oder knien sich dahinter. Ihre Blicke sind angezogen von der Hostie auf dem Altar.

«Ewige Anbetung» heisst die alte Tradition der katholischen Kirche. Die Katholiken glauben, dass Brot und Wein in den Leib und in das Blut Jesu verwandelt werden und er darin gegenwärtig ist. In der Anbetung verehren sie den in einer Monstranz ausgesetzten Leib Christi in Form einer Hostie. Durch Franz von Assisi und seinen Orden breitete sich diese Praxis, die zuvor in Klöstern ausgeübt wurde, auch ausserhalb von Klostermauern aus. In den vergangenen Jahrzehnten wurde sie wieder populärer. Meist wird sie in Kirchen durchgeführt. So hat René Sager bereits vor zehn Jahren in Luzern die «Ewige Anbetung» in der Leonhardskapelle eingeführt.

Verehrung rund um die Uhr

Die Idee hinter Oremus lautet, Christus in der Gegenwart der Monstranz ununterbrochen zu verehren: 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche. Rund 30 Ehrenamtliche haben sich bisher in Zürich gemeldet, um Gebetszeiten zu übernehmen. Noch ist die Gebetskette unterbrochen: Nachts und sonntags ist die Stätte geschlossen.

Für Aussenstehende erscheint das Ritual altertümlich, zumal bald jedes Shoppingcenter einen Raum der Stille für Ruhesuchende aller Konfessionen bereitstellt. Theologe René Sager ist jedoch selbst überrascht über das grosse Interesse der Zürcher und welch Anziehungskraft die Aussetzung des Allerheiligsten auf die Gläubigen ausübt. Besucher, die jeden Tag kommen oder mehrere Stunden bleiben, sind keine Einzelfälle.

Doch was bringt Menschen dazu, schweigend eine Hostie zu verehren? «Die Oremus-Kapelle ist ein Ort, wo ich hingehe, um mich dem weltlichen, manchmal lauten und chaotischen Alltag zu entziehen und mich ganz auf Christus in der Eucharistie auszurichten», sagt die 25-jährige Jus-Studentin Mia und ergänzt, «da kommt mein Herz zur Ruhe.» Der 60-jährige Gymnasiallehrer Martin findet in der Oremus-Gebetsstätte «Ruhe und Geborgenheit in der Hektik des Alltags», sagt er. «Hier kann ich meine und die Sorgen meiner Schüler vor Jesus im Allerheiligsten Sakrament bringen.»

Ist die Ewige Anbetung etwas für besonders Fromme? Mit diesem Vorurteil konfrontiert, lacht René Sager: «Natürlich gehört eine gewisse ehrfurchtsvolle Beziehung zu Gott dazu», sagt er. Sonst sieht man auf dem Altar eben ein Stück Brot, dann ergibt die Ewige Anbetung keinen Sinn. Viel interessanter sei es, sich die Frage einmal andersherum zu stellen: «Was sieht der Betende in dem Brot, was andere darin nicht sehen? Was passiert da?»

Weitere Informationen: www.oremus-zuerich.ch

 

 

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

4.4 von 5

Leserkommentare

Louise-Anne Zehnder - ,grossartig diese anbetung mitten in zürich. Solche Oasen sind dringend nötig in der heutigen Zeit. Danke Rene für deinen grossen Einsatz.

Vor 5 Jahren 10 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.