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Reportage

Sie sorgen dafür, dass am Oktoberfest niemand hungrig und durstig bleibt (von links): Christoph Bruhin (Gastro), Anna Plieninger, Thomas Lipovics (beide Service), «Tagblatt»-Redaktor Christian Saggese, Ingrid Weber, Michael Hildebrandt (beide Service) und Sabrina Eugster (Gastro). (Bild: Nicolas Y. Aebi/ Comic: Beni Merk)

Bier, Brezn und so mancher Flirt

Von: Christian Saggese

24. September 2019

Die Zapfhähne fliessen wieder im Hauptbahnhof Zürich. Das Oktoberfest Züri-Wiesn hat die Türen geöffnet. Gerechnet wird erneut mit rund 35'000 Besuchern und über 50'000 Liter konsumiertem Bier. «Tagblatt»-Redaktor Christian Saggese stürzte sich für die Reihe «Am Puls» am Freitagabend ins fröhliche Getümmel.

O’zapft is auf der Züri-Wiesn! Nur zwei Schläge benötigte TV-Moderator und Bauernverkuppler Marco Fritsche am letzten Mittwoch für den Fassanstich. Das ist zwar kein neuer Rekord, aber dennoch ein gutes Zeichen, dass das Bier dieses Jahr wieder reichlich fliessen wird. Seit einer Woche und noch bis 12. Oktober kann beim Oktoberfest im Hauptbahnhof geschunkelt werden.

Oktoberfest? Da rümpft noch immer so mancher die Nase. Was hat ein bayrisches Volksfest in der Schweiz zu suchen? «Gegenfrage – warum sollte es nicht hier sein?», kontert Stephan Dubi, Pressesprecher der Züri-Wiesn und Mitglied des vierköpfigen Organisationskomitees. «Wir sind seit über zehn Jahren erfolgreich unterwegs, was beweist, dass ein Bedürfnis nach diesem Fest besteht. Und Lederhosen und Dirndl sind in immer mehr Zürcher Kleiderschränken zu finden.»

16 Uhr, eine Stunde vor der Türöffnung

Das zeigt sich auch am letzten Freitag. Es ist 16 Uhr. Zwar dauert es noch eine Stunde bis zur Türöffnung, dennoch trudeln bereits die ersten Personen in ihren Trachten beim HB-Treffpunkt ein. Sie nehmen im gemütlichen Biergarten vor dem Festzelt Platz, bestellen ein Getränk und sind in bester Laune. Währenddessen herrscht im Zelt emsiges Treiben. Es wird geputzt, die Tische werden gedeckt, es folgen die letzten Instruktionen. Unter anderem in der Küche. Christoph Bruhin vom Gastroteam weiss: «Sobald die Gäste eintreffen, dreht sich bei uns alles um eine gute Logistik und ums Tempo.» Rund 1000 Teller werden pro Abend serviert. Egal, ob Brezn, Poulet, Weisswürste oder Vegetarisches, bei der Züri-Wiesn findet jeder hungrige Gast ein Menü nach seinem Geschmack. Letztes Jahr gingen übrigens 2   Tonnen Fleischkäse und 5000 Haxn über die Theke, zudem wurden 54 000 Liter Bier ausgeschenkt.

Die Züri-Wiesn gibt es seit 2007. Jährlich besuchen um die 35 000 Personen das Bierfest, rund 1200 an einem ausverkauften Abend. Auch am letzten Freitag ist die Halle bis auf den letzten Platz ausgebucht. Generell laufe der Vorverkauf hervorragend, man rechne wieder mit den gleichen Zahlen wie im Vorjahr, eher noch mit etwas mehr. «Es gibt aber an jedem Abend noch ein kleines Kontingent an Tickets für Spontanbesuchende», so Stephan Dubi. Und ergänzt schmunzelnd: «Am Montag und am Dienstag sind die Chancen am grössten, dann haben nämlich einige unserer Stammbesucher noch einen Kater vom Wochenende.»

17 Uhr, das Publikum trifft ein

Zurück zum letzten Freitag. Es ist mittlerweile 17 Uhr. Die Personen strömen gruppenweise herein. Oft sind es Firmen oder Vereine, die einen ganzen Tisch gebucht haben. Auf der Bühne steht die Gruppe Tiroler Alpenfieber. Die Musiker wissen genau, wann ihr Publikum sich welchen Sound wünscht. Während der Essenszeit spielen sie ruhigere Schunkellieder. Ab etwa 20 Uhr gibt es aber kein Halten mehr. Zu Hits von den Toten Hosen oder Liquido steigen die Damen und Herren auf die Sitzbänke, Arm in Arm, und singen lauthals mit, meist mehr schräg als korrekt, doch das merkt keiner mehr. Der Alkoholpegel steigt innert kürzester Zeit schnell an, dennoch ist in keinem Moment eine aggressive Stimmung zu spüren. Ganz im Gegenteil: Auch Leute, die sich noch nie gesehen haben, vermischen sich bei den Tischen und haben eine gute Zeit zusammen. Auch geflirtet wird an vielen Ecken. Zwei Personen, die sich leidenschaftlich küssen, sind beispielsweise davon überzeugt, dass sie soeben ihre neue Liebe gefunden haben. Ihre Namen möchten sie dennoch nicht in der Zeitung lesen, da sie sich erst 30 Minuten kennen.

Ein weiterer Gast, Fabian Bolli, hätte sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können, zu einem Oktoberfest-Stammgast zu werden: «Ich besuche mehr alternative Anlässe oder gehe in Pubs. Doch als ich vor fünf Jahren ans Oktoberfest im Hauptbahnhof mitgeschleppt wurde, hat mich das Fieber gepackt; mittlerweile besitze ich sogar eigene Lederhosen.» Solche Worte sind für die Organisatoren mit die schönsten Komplimente: «Uns war es wichtig, nicht etwa nur einen kommerziellen Event auf die Beine zu stellen, sondern den geselligen Geist von den deutschen Anlässen auf Zürich zu übertragen.» Hierfür habe man zahlreiche Oktoberfeste besucht und sich auch mit dessen Geschichte auseinandergesetzt. Einige Anpassungen wurden trotzdem vorgenommen, so Stephan Dubi: «In Deutschland ist der Einlass meist bereits ab 16  Jahren erlaubt, bei uns ist der Zugang aber erst ab 18. Grund ist auch, die Jungen vor sich selbst zu schützen und schlimme Bilder zu verhindern, wie sie momentan in Deutschland die Runde machen. Sprich, dass zahlreiche Jugendliche, die noch nicht mit Bier umgehen können, bei den Sanitätern landen.»

22 Uhr, noch keine Müdigkeit

Mittlerweile ist 22 Uhr. Noch keine Spur von Müdigkeit im Partyzelt. Stets mittendrin im Dauerstress: das Servicepersonal. Immer wieder beeindruckend, wie dieses sich, trotz zahlreichen Gläsern in der Hand, sicher durch die tanzende Meute bewegt. «Da gibt es kein Geheimrezept, man braucht nur Übung», sagt Kellnerin Ingrid Weber. Ihr macht die Arbeit Spass, was an den gut gelaunten Gästen liegt. Ebenso Thomas Lipovics und Michael Hildebrandt: «Man mag es sich schlimmer vorstellen, als es ist. Doch mit genügend Erfahrung kann man auch mit alkoholisierten Gästen problemlos umgehen.» Dass man auch selbst die eine oder andere Anmache erhält, sei ein netter Bonus, sagen sie lachend: «Doch aus dem Alter sind wir raus, dass wir darauf eingehen würden.»

23 Uhr, das Fazit

Es ist 23 Uhr. Die Besucherinnen und Besucher machen sich auf den Heimweg. Die Organisatoren sind mit diesem Freitagabend mehr als zufrieden: «Es lässt sich selbsterklärend nicht vermeiden, dass ab und an ein Betrunkener über die eigenen Füsse fällt und danach zum Sanitäter muss. Am Freitag hatten wir aber keinerlei solcher Vorkommnisse. Auffällig war, dass der Frauenanteil deutlich höher war als normal, woran das liegt, können wir aber auch nicht begründen.» Nun sei man gespannt auf die kommenden Tage. Und scheut sich auch nicht, ab und an das Konzept umzukrempeln. Heute Mittwoch beispielsweise ist als Stargast der erfolgreiche Schweizer DJ Antoine eingeladen, der die Menge einmal mit einem etwas anderen Schunkelsound unterhalten wird.

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