Reportage

«Ich hoffe, ich darf nach Zürich zurückkehren»: Bonnie (21) aus Hongkong absolvierte ein Praktikum im Hotel Savoy. Bilder: CLA
Bye-bye Zürich
Von: Clarissa Rohrbach
Pro Jahr ziehen rund 10 000 Personen von Zürich ins Ausland. Wird ihnen unsere Stadt fehlen? Ein Augenschein am Abmeldungsschalter im Stadthaus.
Noch eine Unterschrift, und dann ist es aufgelöst, sein Zürcher Leben. João legt den Stift weg und streckt eine seiner rauen Hände nach Ana aus, die auf den Boden schaut: 27 Jahre lang lebte das portugiesische Ehepaar in Altstetten. Nun ist es für die 60-Jährigen Zeit für die Heimat. «Traurig? Wieso sollte ich traurig sein? Ich habe hier hart gearbeitet, Gartenbau, gut verdient, jetzt ist genug.» Ihre Tochter bleibe in Zürich, sie sei Schweizerin. «Was solls, jeder schaut für sich selbst.» Und dann laufen sie vom Schalter weg, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Sie sind zwei von rund 10 000 Personen, die jährlich von Zürich ins Ausland ziehen. Frühestens 30 Tage und spätestens einen Tag vor der Abreise füllen die Wegzüger das Formular aus, bezahlen 30 Franken, bekommen die Abmeldebestätigung und zahlen dann noch sofort vor Ort die ausstehenden Steuern. Der Chef der Zentralen Meldedienste, Oliver Ehrat, hat schon viele emotionale Abschiede erlebt: «Viele verlassen Zürich schweren Herzens, sie haben jahrelang hier gearbeitet und hinterlassen Kinder wie auch Enkel.»
Balchand aus Hyderabad hat auch Mühe, sich von der Stadt zu verabschieden. Der Inder hat vier Jahre lang als Business-Analyst in Zürich gearbeitet, seine Kinder gingen in Seebach zur Schule und lernten Deutsch. «Der Lebensstandard in Zürich ist sehr hoch, man verdient viel, und die Stadt ist gut mit dem Ausland vernetzt. Ich mochte es hier.» Einzig die teuren Wohnungen machten ihm zu schaffen. Der 34-Jährige hofft, dass er in Zukunft hier fest stationiert wird. «Es wäre schön, wenn meine Kinder in Zürich aufwachsen.» Er verabschiedet sich: «Okay, thank you.»
Die Mitarbeiterinnen an den Abmeldeschaltern beraten ein Drittel der Wegzüger in Fremdsprachen, am häufigsten auf Englisch. Laut Ehrat kommen die meisten Ausländer mit einem Stapel Papiere und einem Haufen Fragen ins Stadthaus. Krankenkasse, Mietvertrag, Handyabo, wie man all dies kündige, wollen sie wissen. Man nehme sich Zeit, um die Leute zu beraten, es sei wichtig, mehr Dienstleistung anzubieten als erwartet. «Das Personenmeldeamt ist die Visitenkarte der Stadt: Hier bekommen Menschen den ersten und den letzten Eindruck von Zürich. Und der soll gut sein.» Obwohl die Abmeldung natürlich in erster Linie ein rechtlicher Schritt sei. Damit erlöschen die Pflichten der Bewohner, aber auch die Rechte. Personen, die sich nach der Abmeldung noch hier aufhalten, sind illegal in der Schweiz.
Feindlich oder freundlich?
Einen weniger guten Eindruck von Zürich und der Schweiz hatte der deutsche Architekt Christian (32). Sechs Jahre arbeitete er hier, und doch fühlte er sich nie zu Hause. «Man wird permanent als Ausländer behandelt, ich fühlte mich nie wohl.» Vor allem nach der Masseneinwanderungsinitiative habe er sich nicht willkommen gefühlt. Er zieht nun zurück nach Deutschland und sucht nach einem Job an einem Ort, an dem er sich integrieren könne. «Die Zürcher sind forsch mit mir umgegangen, das will ich nicht mehr. Deshalb ziehe ich weg.»
Ganz okay, aber nicht sonderlich toll war Zürich für Kudret aus der Türkei sowie für das französische Paar Marjorie und Antoine. Die Stadt sei sauber, ordentlich, sicher, es fehle einem an nichts, aber das wäre es auch schon. Kudret kam vor 30 Jahren für eine Frau hierher und kehrt nun zu seinen Wurzeln zurück, im Alter habe man eben mehr Heimweh. Marjorie und
Antoine möchten, dass ihr Baby mit den Grosseltern aufwächst.
Und dann kommt noch Bonnie (21) angewirbelt. Die junge Hongkongerin besuchte die Tourismusschule in Luzern, «weltbekannt ist die». Ihr Praktikum hat sie im Hotel Savoy absolviert. «Zürich ist so sauber und sicher, und die Leute sind unglaublich freundlich!» Leider sei ihr Studentenvisum abgelaufen, sonst würde sie gern bleiben. «Ich hoffe, ich darf zurückkehren und hier arbeiten.» Zürich ist halt auch, wie so ziemlich alles im Leben, Geschmackssache.
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Leserkommentare
Heidi Barbara - Wir haben es auch gewagt und Zürich kürzlich verlassen. Ob das wirklich schlau war wissen wir jetzt noch nicht, vielleicht gibt es aber im Leben auch kein „richtig“ und kein „falsch“ - sondern nur die Frage, ob man seinem Gefühl gefolgt ist. Jetzt
mehr anzeigen ... versuchen wir unser Glück an Elbe und Havel statt an Limmat und Sihl. Ich merke jeden Tag in der alten Heimat, wie wir in acht Jahren doch ziemlich zürcherisch geworden sind... Schnittkäse find ich grusig und die Tatsache, dass sich hier immer alle nur mit dem Nachnamen vorstellen find ich abweisend.... Ich blogge übrigens auch über unsere „Abenteuer in der alten Heimat“ auf rueckwanderer.blogspot.com Liebe Grüsse, v.a. nach Altstetten...