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Reportage

Waren am Derby alle irgendwie mit von der Partie: Peter Lüscher (Matchprogrammverkäufer), Ralph Steiner (Stadionspeaker), Marina Schwendimann (GC-Fan),Cédric Zesiger (GC-Spieler), «Tagblatt»-Redaktor Sacha Beuth, Kevin Rüegg (FCZ-Spieler), Roger Charbon (FCZ-Fan), Patrick Ernst (Catering ZFV-Unternehmungen) und Björn Queetz (GC-Physiotherapeut). Bild: Nicolas Y. Aebi 

D-Day im Letzigrund

Von: Sacha Beuth

04. Dezember 2018

AM PULS Am letzten Sonntag drehte sich beim 272. Derby zwischen dem FCZ und GC alles um die Frage: Wer ist die Nummer 1 in Zürich? Dabei war nicht nur auf, sondern auch neben dem Spielfeld Einsatz gefragt. Redaktor Sacha Beuth beobachtete für die Serie «Am Puls» im Letzigrund Spieler, Fans und Mitarbeitende. Ein Derbyabend im Tagebuchstil:

Sonntag, 2. Dezember, 10.00 Uhr: Unablässig fällt der Nieselregen vom Himmel. Noch sechs Stunden bis zum Anpfiff. Patrick Ernst hat sich bereits in den Letzigrund begeben. Der 42-Jährige amtet die ZFV-Unternehmungen als Standchef und bereitet mit seinem Team den Stand 18 hinter der Südkurve auf den Anlass vor.

14.00 Uhr: Mit den anderen Standchefs trifft sich Ernst zur Lagebesprechung. Auch Stadionspeaker Ralph Steiner (28) ist im Letzigrund angekommen. Er muss erst zur Regiesitzung und hernach zwei Interviews führen.

14.30 Uhr: Peter Lüscher und zwei weitere Freiwillige fassen die Matchprogramme und bringen sie unter die Leute. Für den 65-Jährigen, der zu jedem FCZ-Heimspiel aus Olten anreist, ein Ehrenamt.

15.00 Uhr: Am Stand 18 verkauft Patrick Ernst die ersten Bratwürste, derweil Ralph Steiner sich das Mikro fasst, seinen Platz zwischen den Spielerbänken einnimmt und Werbe- und Infodurchsagen macht («Meine stressigste Phase»). GC-Anhängerin Marina Schwendimann (30) ist nun ebenfalls im Stadion, während FCZ-Fan Roger Charbon (46) sich erst noch mit Gleichgesinnten in einem Irish Pub ein Bier gönnt. Björn Queetz dagegen hat alle Hände voll zu tun. Der 29-jährige GC-Physiotherapeut redet den Spielern gut zu, macht vorbereitende Mobilisation der Gelenke und klebt wo nötig Tapes. Im Stadion erklingen erste Fangesänge.

15.45 Uhr: Alle Matchprogramme sind verteilt, weshalb sich Peter Lüscher zu den FCZ-Fans in der Südkurve begibt. Auch Charbon hat inzwischen Einlass in die Arena gefunden und hört, wie Speaker Ralph Steiner die Aufstellungen der Teams vermeldet. Auf der Tribüne nimmt Kevin Rüegg (20) mit zwei ebenfalls verletzten FCZ-Spielern Platz. Wehmütig blickt er runter aufs Spielfeld, wo sich seine Mitspieler und die Kontrahenten von GC mit Verteidiger Cédric Zesiger (20) aufwärmen.

16.00 Uhr: Der Anpfiff durch Ref Urs Schnyder ertönt, und zugleich sorgen beide Fanlager mit ihren Anfeuerungsrufen für einen hohen Lärmpegel. Schwendimann hüben und Charbon und Lüscher drüben schreien und singen eifrig mit. Im Gästesektor werden erste Bengalos gezündet. Nur Minuten später wird die Dummheit in der Südkurve nachgemacht.

16.20 Uhr: Die erste Phase gehört GC. Doch zu echten Torchancen kommen die Grasshoppers nicht. Schwendimann verwirft die Hände. Rüegg auf der Tribüne verteidigt in Gedanken mit. Steiner, der zwei Gelbe Karten gegen GC bekannt gegeben hat, muss miterleben, wie der Regen seine Notizen verschwinden lässt.

16.47 Uhr: Halbzeit. Das bisher Dargebotene ist so trist wie das Wetter. Rüegg gibt Autogramme, Steiner erneut Meldungen durch, und GC-Physio Queetz muss einen Spieler wegen muskulärer Probleme kurz behandeln, einem ein Tape kleben und das Eiswasserbad vorbereiten, in das sich einige Spieler nach dem Schlusspfiff begeben werden. Am Stand von Patrick Ernst gehen Hamburger, Bratwürste und Punsch weg wie warme Semmeln. Er ist wohl einer der wenigen im Stadion, die dem Geschehen neutral gegenüberstehen. «Wer gewinnt, ist mir egal. Hauptsache, wir können die Leute speditiv bedienen.» Während Schwendimann zur Stärkung ein paar Chicken Nuggets verdrückt, analysiert Charbon lieber mit seinen Kumpels die erste Halbzeit.

17.02 Uhr: Wiederanpfiff. Die erste Chance gehört den Grasshoppers, doch Cédric Zesiger vergibt per Kopf. Danach übernimmt der FCZ das Spielgeschehen. Schwendimann ahnt Böses.

17.09 Uhr: Die 52. Spielminute läuft. Khelifi erzielt in einer unübersichtlichen Situation das 1:0 für den FCZ. In der Südkurve erklingt explosionsartiger Jubel. Rüegg, Charbon und Lüscher schreien auf und ballen die Fäuste, während Schwendimann traurig zu Boden schaut. Auch Zesiger ist konsterniert. Er sah in dieser Szene gar nicht gut aus, hätte den Ball wegbugsieren können, ja sogar müssen. «Stattdessen fällt er Khelifi irgendwie vor die Füsse», erklärt der GC-Verteidiger hinterher.

17.25 Uhr: An Zesigers Gesicht kann man den Frust nur zu gut ablesen, als er mit Nef aneinandergerät. Beide erhalten die Gelbe Karte. Kopfschütteln bei Lüscher. «Also der Schiedsrichter ist heute nicht wirklich unparteiisch, pfeift bei jeder Schauspielerei der GC-Spieler.»

17.28 Uhr: Doumbia von den Grasshoppers humpelt und muss ausgewechselt werden. Auf der Stirn von Queetz machen sich Sorgenfalten breit. Er legt seinem Schützling umgehend eine Kompressionsbandage um den Oberschenkel und packt noch etwas Eis drauf. «Morgen werde ich das mit unserem Arzt genauer anschauen.»

17.40 Uhr: 2:0 für den FCZ! Dieses Mal ist es Odey, der in der 83. Minute trifft. Und wieder macht Zesiger keine glückliche Figur dabei. Den FCZlern und ihrem Anhang ist es egal. Bei ihnen macht sich Glückseligkeit breit. Sie spüren, die Entscheidung ist gefallen. Und auch Schwendimann glaubt nicht mehr an eine Wende.

17.53 Uhr: Nach ein paar Minuten Nachspielzeit und unter grenzenlosem Jubel der FCZ-Fans wird das Derby abgepfiffen. Artig bedankt sich Speaker Ralph Steiner bei den 14 101 Zuschauern. Diese treten mehrheitlich eiligen Schrittes den Nachhauseweg an. «Ein verdienter Sieg. Aber das nächste Derby will ich nicht mehr als Zuschauer, sondern auf dem Platz erleben. Das war eine Qual», findet Rüegg und grinst. Schwendimann hingegen ist gar nicht zum Lachen zumute: «Mein Mann ist FCZ-Fan. Von dem werde ich mir einiges anhören müssen, wenn ich nach Hause komme.» Trotzdem gratuliert sie fair Lüscher und Charbon zum Sieg. «Das zeigt Charakter», lobt Letzterer. Charakter zeigt auch Zesiger, indem er sich den unangenehmen Fragen der Journalisten stellt. «Wir haben verloren. Jetzt müssen wir das Spiel möglichst schnell abhaken.» Aber eines sei schon jetzt klar: «Gut schlafen werde ich heute Nacht sicher nicht.»

Queetz hätte es ebenfalls gerne anders gehabt. «Ich bin nur zufrieden, wenn alle Spieler fit sind und das Ergebnis stimmt.» Dagegen ist Steiner, obwohl völlig durchnässt, richtig glücklich. «Alles glattgelaufen, und am Schluss hat der FCZ gewonnen – da wird man gerne nass.» Und auch Patrick Ernst zieht ein positives Resümee, während er sich mit seinen Leuten ans Aufräumen macht: «Angesichts des Regenwetters wurde unser Stand gut besucht. Zudem blieb alles friedlich, und unser Betrieb funktionierte wunschgemäss. Ich hätte nichts dagegen, wenn das nächste Derby gleich ablaufen würde.»

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Leserkommentare

Sandra Egger - Super geschrieben! Unterhaltsam wie ein Krimi!

Vor 5 Jahren 3 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.