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Reportage

Dank privater Nachhilfe ins Gymnasium

Von: Ginger Hebel

11. Juni 2013

Eltern investieren viel Geld in Gymikurse, damit ihr Kind die Prüfung ­besteht. Auch Lerntherapien sind sehr gefragt – es gibt sogar Wartelisten.

Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder ein Gymnasium oder eine weiterführende Schule besuchen – oder die Sekundarschule A bestehen. Deshalb bezahlen sie private Vorbereitungs- und Nachhilfekurse. «Wir stellen eine Zunahme bei unseren Gymikursen fest», sagt Franco Faga. Der Sekundarschullehrer hat 1991 das Logos Lehrerteam in Zürich mitbegründet und leitet es heute. Die Gymikurse beginnen jeweils nach den Sommerschul­ferien und dauern 19 Wochen. Kinder mit sehr guten Noten können auch erst nach den Herbstferien einsteigen. «Die Zeugnisnoten sind entscheidend, ob man die Gymiprüfung besteht. Denn sie zählen gleich viel wie die Prüfungsnote.» Faga weiss, warum die Kurse so gut gebucht sind. «Auf die Gymiprüfung kann man sich konkret vorbereiten. Es ist klar definiert, was man können muss, und die Art der Fragen wiederholt sich jedes Jahr.»

Zwei- bis dreitausend Franken kosten der komplette Mathematik- und Sprachkurs beim Lehrerteam. Die Nachhilfe der Kinder stellt viele Eltern vor ein finanzielles Problem. «Es gibt Familien, die verzichten zugunsten des Kurses auf ihre Sommerferien. Aber sie machen das gerne, denn sie sehen es als Familienprojekt», sagt Faga. Auch beim traditionsreichen Lernstudio ist die Nachfrage nach Förderunterricht und Gymikursen gross, wie Unternehmensleiter Franz Schalk bestätigt. Der 14-wöchige Prüfungsvorbereitungskurs für 3.-Sek-Schüler kostet 2730  Franken, es sind auch 10- oder 20-wöchige Kurse buchbar.

Die Regierung plante zwar Vorbereitungskurse, damit Kinder ärmerer Eltern die gleichen Chancen bei der Aufnahmeprüfung haben wie solche aus reichem Haus, doch der Kantonsrat lehnte ab. «Schade», findet Franco Faga, denn: «Für die Gymivorbereitung bleibt in der öffentlichen Schule oft zu wenig Zeit, zum Beispiel für Aufsätze. Doch gerade diese muss man einfach üben: den Aufbau, die Logik. Bei den Primarschülern macht der Aufsatz an der Prüfung die Hälfte der Note im Fach Deutsch aus.» Er stellt fest, dass im Vergleich zu früher mehr Kinder bereits nach der 6. Primarklasse ins Gymi übertreten. «Viele glauben, dass man ohne Gymi keine Karrierechancen hat. Dabei führen die Berufslehren zu einer gefragten Ausbildung. Und dank weiterführender Angebote wie z. B. Fachhochschulen kann man auch nach der Lehre den Bachelor oder Master erwerben. Die Sek ist nicht die Endstation.»

Lerntherapien sind gefragt

Manche Eltern sind mit ihren Kindern gefordert, weil ihr Lernstil einfach nicht zu den Anforderungen der Schule passen will. Sie schicken sie in die Lerntherapie, weil die Schulprobleme in der Familie allein nicht mehr lösbar sind; wenn das Kind eine Lese- und Rechtschreibschwäche hat oder der Teenager eine Null-Bock-Mentalität an den Tag legt und die Noten in den Keller sausen. «Wir führen Wartelisten. Leider können wir aus Kapazitätsgründen nur jede vierte oder fünfte Anmeldung berücksichtigen», sagt Rolf Nyfeler. Der Fachpsychologe hat die Lernpraxis im Zürcher Seefeld 1999 gegründet. Aufgrund der grossen Nachfrage wird im September eine zweite Lernpraxis am Klusplatz eröffnen. Auch sie richtet sich an Personen in Lernkrisen oder mit Lernschwierigkeiten. «Manche haben noch nicht gelernt, wie man richtig lernt. Deshalb vermitteln wir unter anderem Gedächtnisstrategien und arbeiten an der Entwicklung der Persönlichkeit», sagt die diplomierte Lerntherapeutin Claudia Zimmermann.

Viele leiden unter Prüfungsangst. «Das meiste spielt sich im Kopf ab. Bei Schülerinnen und Schülern, die sich einreden, dass sie nichts können und versagen, arbeiten wir mit Mentaltraining und Erfolgstechniken, die auch Sportler anwenden.» Manchmal fehlt aber auch grundlegendes Wissen in einem Schulfach, zum Beispiel in der Mathe, dann geht es darum, Lücken zu füllen. «Wir erarbeiten Lerntechniken, mit welchen das Einmaleins besser trainiert werden kann. Wenn das nicht automatisiert ist, dann wird zum Beispiel beim Kopfrechnen der Arbeitsspeicher im Hirn überlastet. Es ist, wie wenn man ein Haus baut, das Fundament muss stimmen, sonst wackelt später alles.» Rolf Nyfeler fördert und coacht speziell Lehrlinge und Erwachsene, die eine berufliche Weiterbildung machen und effizienter lernen wollen. Er glaubt, dass auch der heutige Leistungsdruck Auswirkungen aufs Lernen hat. «Menschen lernen besser, wenn sie nicht unter Stress stehen.»

 

"Viele sind zu sehr auf das Gymnasium fokussiert"

1820 Mädchen und 1480 Buben haben diesen Frühling die Aufnahmeprüfung an ein Zürcher Gymnasium bestanden – viele dank teuren Vorbereitungskursen. Lilo Lätzsch ist Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands und Sekundarlehrerin. Sie hat eine Erklärung dafür, weshalb Eltern ihre Kinder in private Gymikurse schicken.

Nach den Sommerschulferien beginnen die Kurse für die Prüfung im März 2014. Einige Nachhilfeschulen und Lernpraxen führen bereits Wartelisten. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Lilo Lätzsch: Ich finde es toll, wenn sich Kinder und Jugendliche für die Schule engagieren und in der Freizeit lernen, ­solange sie es selber wollen und es nicht die Eltern sind, die krampfhaft alles daransetzen, dass ihr Kind ins Gymi kommt. Einerseits kann ich die Eltern verstehen; gerade in der 5.  Primarklasse sind viele verunsichert, ob es ihre Kinder ohne Nachhilfe schaffen werden. Besonders Einzelkinder werden stark gepusht. Wenn das Kind viele Hausaufgaben hat und jede freie Minute lernen muss, ist es der Belastung eines Managers ausgesetzt, das ist nicht gut. Auch finde ich es problematisch, wenn Eltern versuchen, ihre unerfüllten Pläne durch das Kind zu realisieren. Entscheidend ist, was für das Kind richtig ist.

Viele Eltern sind der Ansicht, dass es heute ohne Gymi nicht mehr geht. Lätzsch: Viele sind zu sehr auf das Gymnasium fokussiert. Dabei gibt es in der Schweiz so unzählige Möglichkeiten, beruflich Karriere zu machen. Aber Nachhilfe als solche schadet nie, denn es ist wie im Sport. Wer trainiert, verbessert seine Leistung. Wer für die Schule übt, schreibt bessere Noten.

Eltern blättern Tausende von Franken für Förderkurse hin. Wenn die Kinder nicht bestehen, war alles umsonst.
Lätzsch: Laut Bildungsstatistik besteht die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler im Kanton Zürich die Gymiprüfung nicht, und rund 20  Prozent fallen aus dem Gymi zurück in die Sek. Doch das Ziel ist ja nicht nur, die Prüfung zu bestehen, sondern später zu studieren. Die Frage ist, wenn man die Kinder zu stark drängt und auf den Mount Everest hochschubst, bleiben sie dann auch wirklich oben?

Die Regierung plante freiwillige Vorbereitungskurse, damit Kinder ärmerer Eltern die gleichen Chancen bei der Aufnahmeprüfung haben wie solche aus reichem Haus. Doch der Kantonsrat lehnte ab. Wäre es nicht die Aufgabe des Staats, begabte Kinder zu fördern?
Lätzsch: Ich hätte diese Möglichkeit mit der Gratisnachhilfe begrüsst. Gemäss Pisa-Studie haben wir im Kanton Zürich die begabtesten Kinder der Schweiz. Aber auch die grösste Risikogruppe, nämlich Kinder, die kaum lesen, schreiben und rechnen können. In Primarschulen sind individuelle Förderungen eher organisierbar, aber in der Sekundarschule ist der Stoffdruck zu gross und die Organisation schwierig.

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